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Bundesamt für Migration ignoriert Rechte von LGBTI*s

Gerichte urteilen für LGBTI*-Flüchtlinge LSVD kritisiert die Ampel-Koalition scharf für ihre Ignoranz

ms - 08.08.2022 - 10:15 Uhr

Die beiden Verwaltungsgerichte Würzburg und Bremen haben jetzt nach Klagen von zwei bisexuellen Asylbewerbern die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angestellten, sogenannten Diskretionsprognosen über eine “diskrete“ Lebensweise im Herkunftsland für unzulässig erklärt. Das BAMF begründet negative Beschlüsse und eine Rückführung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in ihre homophoben Herkunftsländer oftmals mit dem Credo, dass die Menschen in ihrer Heimat nur versteckt und eben “diskret“ leben müssten, dann würde niemand ihre Homosexualität erfahren und sie könnten in Sicherheit vor Ort weiterleben. Mit Würzburg und Bremen haben nunmehr insgesamt vier Verwaltungsgerichte klargestellt, dass diese Diskretionsprognosen des BAMF unzulässig sind.

Zudem hat auch die aktuelle Bundesregierung im Koalitionsvertrag die Überarbeitung dieser, oftmals als menschenunwürdig charakterisierte Behandlungspraxis von LGBTI*-Verfolgten versprochen, bisher allerdings noch nicht umgesetzt. Immer wieder haben einzelne Verbände und Vereine die Ampel-Koalition und namentlich auch Außenministerin Annalena Baerbock sowie im Speziellen Bundesinnenministerin Nancy Faeser zum Handeln aufgerufen – eine Antwort blieb bis heute offen. Zu den jüngsten Entschlüssen der Gerichte erklärt Patrick Dörr, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD): „Der LSVD freut sich, dass die Verwaltungsgerichte im Sinne der beiden Asylsuchenden entschieden haben. In ihren Herkunftsländern Nigeria und Iran sind für bisexuelle und schwule Männer Strafen bis hin zur Todesstrafe vorgesehen. Im Falle einer Abschiebung wären sie gezwungen gewesen, ein lebenslanges Doppelleben zu führen, um sich vor der massiven staatlichen und nichtstaatlichen Gewalt zu schützen. Wir sind jedoch entsetzt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bis heute das europarechts- und verfassungswidrige ´Diskretionsgebot´ anwendet und immer wieder Geflüchteten unterstellt, sie würden aus eigenem, freiem Willen ein lebenslanges Doppelleben führen wollen. Sind Personen, die aus den schlimmsten Verfolgerstaaten stammen, nach ihrer Flucht in Deutschland nicht in kürzester Zeit ´out and proud´, wird ihnen schnell das innere Bedürfnis nach einem öffentlichen Umgang mit ihrer sexuellen beziehungsweise geschlechtlichen Identität abgesprochen und ihr Asylgesuch abgelehnt.“

Dabei übersehe das BAMF beispielsweise, dass viele Asylbewerber zur Zeit ihrer Anhörung noch in allgemeinen Sammelunterkünften leben, in denen ein offizielles Coming Out sehr schnell zu Anfeindung und Gewalt von Seiten anderer Flüchtlinge führen kann. Wie strikt das BAMF trotzdem weiterhin seine internen Richtlinien verfolgt, zeigen laut dem LSVD auch Fälle, in denen die Bundesbehörde sogar dann Asyl verweigerte, wenn zwei homosexuelle verheiratete Personen diesen Antrag gestellt hatten. Dörr vom LSVD weiter: „Die beiden aktuellen Urteile benennen diese Praxis nicht nur klar als mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs von 2013 unvereinbar. Sie sind auch deshalb eine deutliche Mahnung an das BAMF, weil es sich um bisexuelle Antragsteller handelt. In der Vergangenheit hatte das BAMF Anträge bisexueller Asylsuchender teilweise mit der Begründung abgelehnt, dass diese ihre ´homosexuelle Seite´ unterdrücken und sich so vor Verfolgung schützen könnten. Auch dieser Argumentation erteilen die Gerichte mit Verweis auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von 2020 eine erneute Absage. In den vergangenen zwölf Monaten haben vier Verwaltungsgerichte ausdrücklich die Anwendung der ´Diskretionsprognosen´, die in der Dienstanweisung Asyl des BAMF derzeit noch erlaubt sind, für unzulässig erklärt. LGBTI*-Geflüchtete dürfen nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem ihnen staatliche oder nicht-staatliche Verfolgung droht, wenn sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben. In einem Artikel der WELT haben inzwischen Bundestagsabgeordnete aus allen drei Regierungsfraktionen ihre Kritik an der aus unserer Sicht menschenverachtenden Praxis des BAMF geäußert. Der LSVD fordert Bundesinnenministerin Faeser erneut auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen und die Dienstanweisung Asyl des BAMF endlich anzupassen, um die hanebüchenen und rechtswidrigen Diskretionsprognosen ersatzlos und ohne Hintertürchen zu streichen.“

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