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Kirche von England

Kirche von England am Ende? Trennt sich Großbritannien aufgrund der homophoben Haltung endgültig von der Staatskirche?

ms - 07.02.2023 - 12:00 Uhr

Es wäre ein bis dato einmaliges und starkes Statement gegenüber der Ablehnung der Kirche gegenüber Homosexuellen – die britische Regierung überlegt offenbar ernsthaft, ein jahrhundertealtes Parlamentsgesetz aufzugeben, dass es bisher der Kirche von England erlaubt, sich selbst zu regieren. Die Abgeordneten mehrerer Parteien beratschlagen gerade über diesen Schritt, weil die Kirche von England Unwillens ist, schwulen und lesbischen Paare die Ehegleichheit zu gewähren. Der Schritt bedeutet im Grunde das Ende der Institution als Staatskirche.

Haltung der Kirche verursacht Schmerz und Trauma

Sollte sich für diesen Entschluss tatsächlich eine Mehrheit finden lassen, wäre das der zweite Donnerknall dieser Art in Europa – derzeit plant auch die deutsche Bundesregierung, die Ablasszahlungen der letzten zweihundert Jahre an die beiden größten Kirchen des Landes endgültig zu beenden. In Großbritannien taten sich für das Vorhaben zur Streichung der Sonderprivilegien Abgeordnete der Konservativen sowie der Labour-Partei zusammen. Chris Bryant, Abgeordneter der Labour-Partei, Vorsitzender des Ausschusses für Standards und Privilegien und ehemaliger anglikanischer Priester, erklärte dazu, die Haltung der Kirche verursache "sehr realen Schmerz und Trauma. Wenn die Kirche nicht handeln will, dann sollte das Parlament ihr einen Schubs geben".

Kein Ja für Homosexuelle

Der Erzbischof von Canterbury Justin Welby (siehe Bild) erklärte nach Angaben des Guardians dazu zähneknirschend, dass man wohl eher den Status als Staatskirche verlieren würde, als sich für Homosexuelle zu entscheiden – er habe schlicht Angst, dass die Weltkirche an dieser Frage zerbrechen könnte. Ein Ja zur Segnung Homosexueller würde die römisch-katholische Kirche insgesamt in arge Bedrängnis bringen, nachdem erst vor wenigen Tagen Papst Franziskus mehrfach beteuert hatte, dass Homosexuelle zwar keine Verbrecher, aber Sünder seien und blieben.

Fauler Kompromiss reicht nicht aus

Im Januar zuletzt hatte die Kirche von England versucht, mit einem eher faulen Kompromiss die Wogen in Großbritannien zu glätten – offensichtlich vergebens. Der Kompromissvorschlag sah vor, dass gleichgeschlechtliche Paare auch weiterhin nicht heiraten dürfen, aber nach ihrer standesamtlichen Hochzeit gesegnet werden könnten – allerdings nur dann, wenn der jeweils dafür zuständige Bischof das auch wollen würde. Eine landesweit verbindliche Entscheidung wollte die Kirche von England nach wie vor nicht treffen.

Keine Sonderrechte mehr für die Kirche?

Die Aufhebung der bisherigen Sonderrechte der englischen Kirche hätte weitreichende Konsequenzen: Die Kirche dürfte keine eigenen bindenden Gesetze mehr erlassen und wäre nicht mehr ausgeklammert bei den gesetzlichen Regelungen, beispielsweise dem Gleichstellungsgesetz. Damit wäre die Kirche grundsätzlich juristisch verpflichtet, die gleichgeschlechtliche Ehe anzuerkennen – ob sie will oder nicht.

"Wenn die Synode keine größeren Fortschritte macht, als in den Empfehlungen der Bischöfe enthalten sind, denke ich, dass das Parlament diese Angelegenheit sehr ernst nehmen wird", so Ben Bradshaw, der Labour-Abgeordnete und ehemalige Kabinettsminister. Sir Peter Bottomley, ein altgedienter konservativer Abgeordneter, sagte im Unterhaus, dass "die Kirche von England endlich aufwachen muss". Und Chris Loder, ein weiterer Tory-Abgeordneter, erklärte: "Vielleicht sind die synodalen Regelungen, die wir bisher haben, nicht zweckmäßig, und wir sollten sie reformieren."

Keine politische Macht mehr für Bischöfe

Auch anderweitig könnte die eiserne Haltung der Kirche von England teuer zu stehen kommen. Die lesbische britische Komikerin und Fernsehmoderatorin Sandi Toksvig erklärte nach einem Treffen mit Erzbischof Welby: "Die Staatskirche und die Gesellschaft, die sie zu vertreten vorgibt, sind nicht im Entferntesten auf einer Linie. Ich habe nicht die Absicht, auf die Kirche zu warten. In den nächsten Wochen werde ich mich an die LGBTI*-Community und alle unsere Verbündeten wenden, um zu sehen, was getan werden kann. Die derzeitige Position ist unhaltbar". Bereits Ende letzter Woche startet Toksvig daraufhin eine Petition, in der sie die Abschaffung der 26 Sitze im Oberhaus fordert, die den Bischöfen der Kirche vorbehalten sind.

Eine Kirche am Ende?

Stephen Kettell, der an der Universität Warwick Politik und Religion lehrt, verwies in der Debatte auf die Tatsache, dass sich inzwischen weniger als die Hälfte der britischen Bevölkerung überhaupt noch als Christen bezeichnet: "In diesem Jahrhundert eine offizielle Staatsreligion zu haben, ist ein absurder Anachronismus. Die Abschaffung der Staatskirche könnte die Kirche von England wiederbeleben und ihr neue Impulse geben. Oder es ist das Letzte, was die Kirche noch stützt. Es ist schwer vorstellbar, dass sie vorankommt, wenn man das Ausmaß der Probleme bedenkt, mit denen das Land konfrontiert ist."

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