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Verbot der Konversionstherapien

Konversionstherapien Die FDP lehnt einzelne Aspekte der Reformforderungen ab!

ms - 27.03.2024 - 10:00 Uhr
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Mehrere LGBTI*-politische Themen wie beispielsweise das Selbstbestimmungsgesetz oder auch eine angedachte Grundgesetzänderung bezüglich der sexuellen Identität scheinen aktuell immer weiter nach hinten geschoben zu werden – kommen sie überhaupt noch in dieser Legislaturperiode? Der Lesben- und Schwulenverband LSVD+ forderte jetzt dazu auf, die Reform des Konversionsbehandlungsschutzgesetzes endlich anzupacken. Einzelne Forderungen gehen der FDP dabei allerdings viel zu weit. 

Reform, ja oder nein?

Seit 2020 verbietet das Gesetz, solche unseriösen Therapieangebote zur „Heilung“ von Homosexualität oder einer geschlechtlichen Identität anzubieten, zu vermitteln oder dafür zu werben. Ebenso verboten sind die Durchführung solcher Behandlungen bei Minderjährigen sowie bei erwachsenen Personen, deren Einwilligung auf einem Willensmangel beruht. Für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ein durchaus weitreichender Gesetzestext, wie im SCHWULISSIMO-Interview auch Dr. Johannes Breuer, stellvertretender Referatsleiter für Sexuelle Gesundheit, bestätigte.

Auf der anderen Seite zeigt eine BZgA-Umfrage vom letzten Jahr, dass jedem dritten Homosexuellen in Deutschland bis heute vorgeschlagen wird, seine sexuelle Orientierung zu ändern (29%) oder zu unterdrücken (32%) – die guten Ratschläge kommen von Eltern, Freunden oder auch Lehrern. Auch 14 Prozent der Psychotherapeuten in der Bundesrepublik und 32 Prozent der Seelsorger sprechen sich nach wie vor für Konversionstherapien aus. Die Frage, die im Raum steht, ist dabei: Lässt sich ein Umdenken durch ein härteres Verbotsgesetz erzwingen? 

Forderungen nach Gesetzesverbesserungen

Die Ampel-Regierung hat im Koalitionsvertrag 2021 zugesagt, das Gesetz reformieren zu wollen. Der LSVD+ fordert so unter anderem ein Verbot für alle Altersklassen, die Streichung der Strafbarkeitsausnahme für Eltern, effektivere Sanktionen, die Aberkennung der Gemeinnützigkeit bei Organisationen, die dies anbieten, und eine „öffentliche Meldestelle“ für die Aktivitäten von Anbietern in Deutschland sowie im grenznahen Ausland. Außerdem bedürfe es einer deutschlandweiten Informations- und Kommunikationskampagne. Wie realistisch können diese Forderungen tatsächlich umgesetzt werden? SCHWULISSIMO fragte nach bei Jürgen Lenders, dem queer-politischen Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. 

Seit 2020 gibt es das Gesetz zum Schutz von Konversionsbehandlungen in Deutschland. Die Ampel-Regierung hat eine Novellierung des Gesetzes im Koalitionsvertrag zugesichert. Wie stehen Sie aktuell den Reformplänen gegenüber? 

Die FDP-Fraktion steht einer Novellierung des Gesetzes offen gegenüber.

Der LSVD+ fordert neben der Einbindung aller Altersklassen im Gesetz vor allem auch eine „öffentliche Meldestelle“, um Anbieter und vermeintliche Aktivitäten im Bereich Konversionstherapie künftig öffentlich zu machen. Bei allem Verständnis für den Kampf gegen Konversionstherapien, ist ein solches Vorhaben denn mit dem liberal-freiheitlichen Gedanken einer FDP überhaupt in Einklang zu bringen? 

Auch wenn ich viele Forderungen des LSVD teile, bei dem Punkt "Meldestelle" schießt der Verband übers Ziel hinaus. Die Schaffung einer „öffentlichen Meldestelle“, um Anbieter und vermeintliche Aktivitäten im Bereich Konversionstherapie künftig öffentlich zu machen, lehne ich grundsätzlich ab. Der Koalitionsvertag sieht das übrigens auch nicht vor. Ich sehe die große Gefahr darin, dass hier unnötig in die Privatsphäre der Menschen eingegriffen wird und sehe ein großes Missbrauchspotential. Es kann nie gut sein, wenn eine staatliche Stelle Daten zu sensiblen und persönlichen Themen sammelt und speichert. Wir wollen kein Denunziantentum fördern, das schafft ein Klima der Angst und des Misstrauens.

Ebenso scharf in der Kritik steht eine weitere Forderung: Es soll künftig keine Strafbarkeitsausnahme für Fürsorge- und Erziehungsberechtigte mehr geben. Das sorgt bei einigen Eltern und Familienverbänden für starke Verunsicherung und Bedenken. Können Sie diese Ängste verstehen? 

Schon in der letzten Wahlperiode hatte sich die FDP-Fraktion in einem Änderungsantrag dafür stark gemacht, dass die Ausnahme für Erziehungsberechtigte gestrichen wird. Da sich Jugendliche und junge Erwachsene in der Identitätsfindungsphase befinden, sind sie häufig besonders vulnerabel für Diskriminierungs- und Stigmatisierungserfahrungen. Der Einfluss anderer Personen darf in diesem Lebensalter nicht unterschätzt werden. Fürsorge- und Erziehungsberechtigte spielen hierbei eine hervorgehobene Rolle. Starke emotionale Abhängigkeiten oder dysfunktionale Bewältigungsstrategien sind eine mögliche Folge. Daraus resultiert, dass Betroffene es nicht schaffen, sich ausreichend von externen Einflüssen zu emanzipieren, die ihnen schädliche Konversionsmaßnahmen anraten. Daher muss grade sichergestellt werden, dass Jugendliche und junge Erwachsene keinem Druck aus ihrem familiären Umfeld ausgesetzt werden. Konversionsmaßnahmen, mit der Fürsorge- oder Erziehungspflichten nicht verletzt werden, sind nicht vorstellbar. Da genau das aber in § 5 Absatz 2 suggeriert wird, ist Absatz 2 ersatzlos zu streichen. Leider konnte die Union, mit dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn, dem nicht folgen. Wir brauchen eine deutschlandweite Informations- und Kommunikationskampagne, wie sie auch der Nationale Aktionsplan Queer Leben vorschlägt. Denn gerade im ländlichen Raum sehe ich große Defizite und einen großen Bedarf. Höchste Zeit, dass die Maßnahmen endlich umgesetzt werden.

Wie realistisch schätzen Sie aktuell die Chance ein, dass eine Reform des Konversionstherapieverbotes in Deutschland tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird? Aus politischen Kreisen ist zu hören, dass sich immer mehr abzeichnet, dass bis zur Bundestagswahl 2025 erst einmal nichts geschehen könnte. 

Ich würde mir wünschen, dass es noch in dieser Wahlperiode umgesetzt werden kann.

Herr Lenders, vielen Dank für das Gespräch. 

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