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Ungarns Medienwächter im Kampf gegen Jurassic World

Ungarn geht gegen Netflix vor Ungarns Medienwächter im Kampf gegen Jurassic World

ms - 22.08.2022 - 14:00 Uhr

Warum auf Spatzen schießen, wenn man doch gleich den Adler erlegen kann – so oder so ähnlich scheinen sich die Sittenwächter in Ungarn dazu durchgerungen zu haben, jetzt gegen den Streamingdienst Netflix vorzugehen. Der Vorwurf: Das amerikanische Unternehmen betreibe in einer Zeichentrickserie für Jugendliche Werbung für Homosexualität – und dies ist seit dem äußert umstrittenen Homo-Propaganda-Gesetz des vergangenen Jahres in Ungarn verboten.

Konkret geht es dabei um “Jurassic World: Neue Abenteuer“, eine sehr beliebte und erfolgreiche Animationsserie, in der eine Gruppe von Jugendlichen, eingebettet in die Grundstory der Jurassic-World-Kinoreihe, auf einer Insel mit Dinosauriern zurückbleibt und um das Überleben kämpfen muss. Zwischendrin geht es für eine Kinderserie durchaus auch einmal ziemlich brutal vor, mehrere andere Menschen, die immer wieder auf die Insel kommen, werden dabei auch beispielsweise von diversen Dinosauriern gefressen. Das alles haben die ungarischen Sittenwächter bis heute natürlich nicht beanstandet, Gewalt ist schließlich kein Problem für Kids. In der finalen fünften Staffel, die vor kurzem von Netflix veröffentlicht wurde, gestehen sich zwei Mädchen allerdings ihre Liebe und küssen sich.

Skandal! Wenigstens für die staatliche Medienbehörde NMHH, die jetzt gegen Netflix ermittelt, wie das Portal Politico berichtet. Angeblich habe es mehrere Beschwerden von ungarischen Zuschauern gegeben, die von der animierten Zeichentrickserie geschockt gewesen seien – ausdrücklich natürlich nur aufgrund des lesbischen Kusses. Mit Spannung wird also nun das Urteil der ungarischen Behörde erwartet, wie mag dieses nur ausgehen? Sollten die Medienwächter zu dem Schluss kommen, ganz überraschend natürlich, dass so ein lesbischer Kuss zu viel des Guten ist, wird der Fall an die niederländischen Kollegen für Medienaufsicht weitergeleitet, die für ganz Europa zuständig sind. Die dürfen dann sozusagen im Namen Ungarns an die Türen von Netflix klopfen. Böse Zungen würden behaupten, Ungarn hätte nicht einmal genug Mut, selbst direkt mit Netflix in Kontakt zu treten. Sowohl die niederländische Medienaufsicht wie auch Netflix waren auf Anfrage übrigens zu keiner Stellungnahme bereit.

Auch für viele Einheimische dürfte die neue Eskalationsstufe in Ungarn für Kopfschütteln sorgen, erst im Juli demonstrierten trotz eines Verbots rund 35.000 Menschen beim Budapest Pride für die Rechte von Homosexuellen und queeren Menschen. Wenige Tage zuvor ebenso im Juli hatte die Europäische Union offiziell bestätigt, gegen das ungarische Homo-Propaganda-Gesetz nach russischem Vorbild vorgehen zu werden. Der Fall wird derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt und Ungarn könnten abermals Strafzahlungen oder eingefrorene EU-Fördergelder drohen. LGBTI*-Aktivist Rémy Bonny von der Organisation Forbidden Colors hatte dazu erklärt: „Ungarns Anti-LGBTI*-Gesetz hat nur ein Ziel: die Community zum Schweigen zu bringen. Orbán wählt Putins Spiel. Die Gleichstellung der LGBTI*-Community ist ein fester Bestandteil der europäischen Werte und Normen. Daran ist nicht zu rütteln!“ Insgesamt hat die ungarische Medienbehörde aufgrund des Gesetzes im vergangenen Jahr 84 Beschwerden bekommen, in diesem Jahr bisher zwölf. Einen Schuldspruch hat es bis jetzt aber noch nicht gegeben. So zeichnet sich für Ungarn am Ende ein bizarres Bild ab: Während in der Welt von Jurassic World alle Menschen um das nackte Überleben kämpfen müssen und darum, schlicht nicht gefressen zu werden, liegt für die Sittenwächter in Ungarn die größte Gefährdung bei einem homosexuellen Kuss.  

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