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Ungarn verhängt Geldstrafen gegen LGBTI* // IMAGO / PuzzlePix
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Ungarn verhängt Geldstrafen gegen LGBTI* Begründung der Regierung: Das untergrabe die Verfassung

ms - 11.04.2022 - 13:50 Uhr

Mit einem anderen Wort lässt sich kaum umschreiben, wie der erneut gewählte Ministerpräsident Victor Orbán und seine Fidesz-Partei einmal mehr direkt die LGBTI*-Community angreifen. Hintergrund dieses Mal ist das gescheiterte Referendum, über das Orbán im Rahmen der regulären Wahlen zudem abstimmen hatte lassen. Während er die Parlamentswahlen mit einer Zweidrittelmehrheit für sich entscheiden konnte, stimmte die Mehrheit der ungarischen Wähler nicht für das Referendum. Orbán wollte damit seine homophoben Gesetze (Verbot von LGBTI*-Themen an Schulen), die er bereits im Sommer 2021 verabschiedet hatte, vom Volk mehrheitlich absegnen lassen und zudem künftig noch stärker in das ungarische Fernsehen eingreifen. Nach dem Willen Orbáns wären so nicht nur jedes LGBTI*-Thema an den Schulen weiterhin verboten worden, sondern auch im Fernsehen hätte es queeres Leben praktisch nicht mehr gegeben.

Mehrere LGBTI*-und Menschenrechtsorganisationen riefen vor der Wahl deswegen dazu auf, alle Felder der vier Suggestivfragen im Referendum anzukreuzen und somit ungültig zu wählen – rund 1,6 Millionen Ungarn waren diesem Aufruf gefolgt, sodass keine Mehrheit für das Referendum zusammengekommen war. Das muss Orbán so geärgert haben, dass er nun versucht, all jene Organisationen anzugreifen, die zum Boykott aufgerufen hatten. So stellt der Nationale Wahlausschuss (NEC) von Ungarn nun plötzlich fest, dass die Kampagne der LGBTI*- und Menschenrechtsgruppen „den verfassungsmäßigen Zweck der Machtausübung untergräbt“ und verhängte deswegen gegen 16 NGOs (Nichtregierungsorganisationen) eine Geldstrafe von insgesamt 24.000 Euro.

Darunter sind Organisationen wir der Budapest Pride, die ungarische LGBT-Society, die Prizma Transgender Community, die Foundation für Regenbogenfamilien oder auch Amnesty International Ungarn (AI).  Der Direktor von AI Ungarn, Vig Dávid, lässt sich seine Freude über das gescheiterte Referendum trotzdem nicht nehmen und schrieb via Twitter:

„Ein Lächeln, das in Ungarn 24.000 € kostet. Wir haben uns für LGBTI*-Rechte eingesetzt und das Propaganda-Referendum der ungarischen Regierung zusammen mit 16 NGOs und 400 Aktivisten besiegt. Jetzt haben uns die Behörden mit einer Geldstrafe belegt, weil wir uns für Menschenrechte eingesetzt haben. Aber Sie können uns nicht zum Schweigen bringen!“

Für Amnesty International Ungarn ist die Ausgangssituation dabei ganz klar. In einem offiziellen Statement schreibt die Menschenrechtsorganisation weiter: „Die Ungültigkeit des Referendums zeigt, dass die Mehrheit der Ungarn die Ausgrenzungspolitik der Regierung nicht unterstützt. Mit den Geldstrafen soll die große Gemeinschaft von Menschen zum Schweigen gebracht werden, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen und das Anti-LGBTI*-Referendum der Regierung mit demokratischen Mitteln abgelehnt haben!“ Dabei befinden sich unter den abgestraften NGOs sogar einige, die gar nicht an der Kampagne teilgenommen haben – die Willkür der ungarischen Regierung tritt also sehr deutlich zu Tage.

Für Amnesty International ist das jetzige Vorgehen gegen die NGOs in erster Linie auch ein starkes Signal dafür, dass Ungarn Angst vor der eigenen Bevölkerung hat: “Die Menschen sandten durch das Referendum eine direkte Botschaft: Schluss mit der Propaganda nach russischem Vorbild, Schluss mit der Hetze! Das Ergebnis des Referendums ist eindeutig: Das Propagandagesetz russischer Prägung muss aufgehoben werden. Die rechtswidrige Entscheidung des NEC sagt uns eines: Es reicht der Regierung nicht mehr aus, einfach nur zu verschweigen, dass das Referendum gescheitert ist - die Regierung hat Angst und will nun mit Geldstrafen diejenigen zum Schweigen bringen, die gegen die homophobe und transphobe Kampagne vorgegangen sind!“

Die Ungültigkeit des Referendums zeige eindeutig, dass die Mehrheit der Ungarn die Ausgrenzungspolitik der Regierung nicht weiter unterstützt. Das bestätigt auch Ungarn-Experte und Direktor der LGBTI*-Organisation Forbidden Colours, Remy Bonny, der nach dem verlorenen Referendum schrieb: „Herr Orban, Europa ist nicht Russland. Wenn Sie Minderheiten zum Sündenbock machen wollen, um eine Diktatur zu errichten, können Sie nach Russland gehen (…) Wie ich schon immer gesagt habe, sind die Ungarn nicht homophob oder transphob. Für Orban gibt es nur eine demokratische Sache zu tun: Rücktritt von seinen Anti-LGBTI*-Gesetzen nach russischem Vorbild.“ Frei nach dem Motto „Jetzt erst recht“ gibt sich auch Amnesty International kämpferisch.  

"Wir werden uns nicht einschüchtern lassen. Wir werden die Entscheidung des NEC bei der Curia, dem höchsten ungarischen Regionalgericht, anfechten, und diese eindeutig rechtswidrige Geldstrafe wird aufgehoben werden“, so Dávid Vig weiter. Und sein Kollege Luca Dudits, Vorstandsmitglied der ebenso zu einer Geldstrafe verurteilten Háttér-Gesellschaft, ergänzt: "Die vergangenen Monate haben gezeigt, was wir gemeinsam erreichen können. Die Ungültigkeit des Referendums hat vielen Menschen Hoffnung gegeben. Wir werden uns diese Hoffnung nicht nehmen lassen. Wir werden uns weiterhin für ein sicheres und freies Ungarn für alle einsetzen."

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