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Ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban

Schwule Afghanen werden vergessen „Die Bundesregierung muss endlich alles in ihrer Macht stehende tun, um gefährdete Menschen schnell aus Afghanistan rauszuholen!“

ms - 12.08.2022 - 12:00 Uhr
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Vor einem Jahr zogen sich Deutschland und die USA mit ihren Streitkräften aus Afghanistan zurück – seitdem hat sich die Lage für Frauen und Homosexuelle in einem erschreckenden Ausmaß immer weiter verschlechtert. Die Rechtsanwältin Clara Anne Bünger, Mitglied im Deutschen Bundestag für die Partei Die Linke, spricht jetzt von einer “katastrophalen Bilanz“. Zudem: Auch ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban würden noch immer Zehntausende frühere Ortskräfte deutscher Ministerien und Institutionen und besonders gefährdete Personen wie beispielsweise homosexuelle und queere Menschen in Afghanistan festsitzen. Mehrfach hatten über 40 Organisationen in den letzten Monaten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sowie Bundesinnenministerin Nancy Faeser energisch dazu aufgefordert, endlich aktiv zu helfen – eine konkrete Antwort steht bis heute aus.

Im Koalitionsvertrag von Ende 2021 hatte die Ampel-Regierung noch ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanistan vereinbart, zuvor hatte sogar noch die ehemalige schwarz-rote Bundesregierung zugesagt, achtzig queere Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Geschehen ist seitdem bis heute offensichtlich nicht viel, wie auch Patrick Dörr vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) kritisiert: „Dem Auswärtigen Amt liegen seit Monaten Fälle mit Namen gefährdeter afghanischer LGBTI* vor, die verzweifelt auf Rettung warten. Doch bei Bundesaußenministerin Baerbock und Bundesinnenministerin Faeser stoßen wir bisher auf taube Ohren mit unserer Forderung, auch gefährdete LGBTI* bei dem, im Koalitionsvertrag vereinbarten humanitären Aufnahmeprogramm explizit zu berücksichtigen.“

Abgeordnete Bünger von den Linken schildert die Lage vor Ort so: „Sie harren in Verstecken aus und wissen oft nicht einmal, wie sie die nächsten Tage überleben sollen. Viele von ihnen haben keine Aufnahmezusage für Deutschland erhalten oder warten trotz Zusage seit Monaten auf ihre Evakuierung, andere mussten erleben, dass ihre Aufnahmebitten eiskalt abgelehnt wurden oder schlichtweg im Sande verliefen. Nach wie vor melden sich viele verzweifelte Menschen bei mir, die selbst flüchten wollen oder um Hilfe für ihre Angehörigen bitten. Doch auch meine Schreiben ans Auswärtige Amt bleiben oft unbeantwortet oder man teilt mir mit, es könne nichts für die Betroffenen getan werden. Will die Bundesregierung weitere Tote riskieren, nachdem sie im Frühjahr bereits einräumen musste, Kenntnis von Todesfällen von Personen im Aufnahmeverfahren oder mit Aufnahmezusage für Deutschland zu haben? Die Bundesregierung muss endlich alles in ihrer Macht stehende tun, um gefährdete Menschen schnell aus Afghanistan rauszuholen!“

Es steht zu befürchten, dass auch diese Appelle an oberster politischer Stelle anscheinend ungehört verhallen. Wie dramatisch die Situation gerade für Homosexuelle in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban ist, bekräftigte in diesem Jahr auch bereits Human Rights Watch sowie OutRight Action International – die Menschenrechtsorganisationen hatten in einem erschütternden Bericht die Lage von rund sechzig LGBTI*-Afghanen festgehalten. Gerade schwule Männer werden in Afghanistan inzwischen auf offener Straße immer wieder verfolgt, geschlagen und massakriert, ohne dass die Täter Konsequenzen befürchten müssten. J. Lester Feder von OutRight Action International dazu: Man kann gar nicht genug betonen, wie verheerend und erschreckend die Rückkehr der Taliban-Herrschaft für LGBTI*-Afghanen ist. Wir haben mit LGBTI*-Afghanen gesprochen, die Gruppenvergewaltigungen und Mob-Angriffe überlebt haben oder von ihren eigenen Familienmitgliedern, die sich den Taliban angeschlossen haben, gejagt wurden, und sie haben keine Hoffnung mehr, dass staatliche Institutionen sie schützen werden.“ Zuletzt wurde bekannt, dass die Taliban auch die Affenpocken als Vorwand benutzen, um abermals verstärkt Jagd auf schwule Männer zu machen – und das mit Unterstützung der Gesellschaft, auch wenn bis heute kein einziger MPX-Fall im Land registriert worden ist. 

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