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Schwul-lesbische Pflegefamilien

Schwul-lesbische Pflegefamilien Welche Hürden gibt es aktuell?

ms - 25.05.2023 - 17:00 Uhr
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Viele Schwule und Lesben hegen immer öfter einen Kinderwunsch. Jenseits der eigenen Familie gibt es dabei auch die Möglichkeit, als Regenbogen-Pflegefamilie Kindern anderer Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Doch sind die Hürden dafür gerade für Homosexuelle nicht sehr hoch? Mitnichten, wie Nicole Wagener SCHWULISSIMO verraten hat.  

Der Verein Context begleitet Erziehungsstellen, sprich Menschen, die Kindern ein neues Zuhause geben, wenn sie nicht in ihren Herkunftsfamilien verbleiben können. Was ist das genau?

Erziehungsstellen sind eine besondere Form der Pflegefamilie. Im Unterschied zur klassischen Pflegefamilie bekommen Erziehungsstellenfamilien vom Jugendamt einen Träger wie uns zur Seite gestellt. Wir schulen, begleiten und unterstützen die Familien im Alltag. Wir beraten zum Beispiel in pädagogischen Fragen, helfen bei diversen Antragsstellungen, arbeiten mit dem Kind und begleiten Besuchskontakte mit der Herkunftsfamilie. So kann die Erziehungsstellenfamilie sich ganz auf ihr Familienleben konzentrieren.

Nicole Wagener © Context e.V.

Es gibt auch viele schwule und lesbische Paare, die ein Kind aufnehmen wollen. Mit welchen besonderen Herausforderungen sehen sich diese Paare konfrontiert?

Wer ein Kind aufnehmen und eine Erziehungsstellenfamilie bei uns werden  möchte, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Zum einen gibt es rechtliche Vorgaben, zum anderen spielen die persönlichen Ressourcen und Stärken eine große Rolle, wenn es um die Eignung als Pflege- beziehungsweise Erziehungsstellenfamilie geht. Die Rahmenbedingungen sind aber für alle unseren zukünftigen Erziehungsstelleneltern gleich – unabhängig von Familienstand, Geschlecht, Religion, Herkunft oder der sexuellen Orientierung.

Welche rechtlichen Vorgaben sind das?

Rechtliche Vorgaben sind zum Beispiel ein einwandfreies erweitertes Führungszeugnis oder ein eigenes Zimmer als Rückzugsort für das Kind. Man sollte zudem in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen leben, um auszuschließen, dass der Aufnahme eines Kindes finanzielle Motive zugrunde liegen. Was viele Menschen nicht wissen: Man muss nicht verheiratet sein. Man braucht nicht zwingend eine pädagogische Ausbildung. Und man kann auch ein Kind aufnehmen, wenn man älter als 40 Jahre ist. Das sind häufige Irrglauben!

Sie haben gerade gesagt, dass besonders die persönlichen Ressourcen und Stärken wichtig sind bei der Eignung als Erziehungsstelle. Welche sind das?

Die persönlichen Eigenschaften spielen eine entscheidende Rolle. Wer ein Kind aufnehmen möchte, sollte geduldig, emphatisch und reflektiert sein. Auch Reflektions-, Kooperations- und Lernbereitschaft sollte man mitbringen. Pflege- und Erziehungsstellenfamilien sind immer ein Stück weit „öffentliche Familien“. Das bedeutet, es gibt immer Mitwirkende wie zum Beispiel das Jugendamt, der Vormund oder gegebenenfalls die Herkunftsfamilie. Auch wir als Träger sitzen regelmäßig mit am Familientisch, um die Eltern in ihrer Aufgabe zu beraten.

© Context e.V.

Wie können sich Eltern diese Unterstützung vorstellen?

Alle unsere Erziehungsstellenfamilien bekommen eine persönliche Fachberatung zur Seite gestellt, die die Familie in pädagogischen Fragen unterstützt und mit dem Kind arbeitet. Ergänzend bieten wir regelmäßige Fortbildungen zu relevanten Themen an. Und es gibt viele Möglichkeiten zum Austausch unter Gleichgesinnten. Für Regenbogenfamilien tun sich neben dem „Pflegekind“-Thema oft auch andere Fragen im Familienalltag auf. Dafür laden wir regelmäßig zum queeren Familientreffen ein. Unser Ziel ist es, unsere Familien bestmöglich zu begleiten.

Gehen Pflegekinder irgendwann zu ihrer leiblichen Familie zurück?

Es gibt verschiedene Arten von Pflege- beziehungsweise Erziehungsstellenfamilien. Eine Bereitschaftspflegefamilie nimmt Kinder kurzfristig und für einen bestimmten Zeitraum auf - meistens für die Zeitspanne, in der das Familiengericht über den weiteren Verbleib eines Kindes entscheidet, nachdem es in Obhut genommen wurde. Je nach Entscheidung des Familiengerichts kann es dann unterschiedliche Möglichkeiten geben. Das Kind kann zum Beispiel zurück zur Familie, in eine Wohngruppe oder in eine langfristig und auf Dauer angelegte Erziehungsstellefamilie ziehen. Bei uns können Interessierte sowohl eine Bereitschaftspflegefamilie als auch eine auf Dauer angelegte Erziehungsstellenfamilie werden. Eine Rückführung ist bei letzterem äußerst selten.

Context spricht auch ganz bewusst LGBTI*-Menschen an, die sich vorstellen können, ein Kind aufzunehmen. Sie sagen, dass gerade die Vielfaltserfahrung nützlich sein kann – wie das?

LGBTI*-Menschen setzen sich oft früh und intensiv mit sich selbst, Geschlechterrollen und Erwartungshaltungen der Gesellschaft auseinander. Auch das Gefühl „anders zu sein“ haben viele vielleicht schonmal erlebt. Das kann auch ein Thema für Pflege- und Erziehungsstellenkinder sein. Wer selbst früh seinen Platz gesucht hat, kann diesen Kindern häufig mit viel Verständnis begegnen und ist offen dafür, dass sie ihren Platz noch finden müssen.

Regenbogenfamilien werden dabei bis heute mit dem Klischee konfrontiert, sie seien keine „richtigen“ Familien.

Für uns gibt es nicht „DIE“ Familie. Unsere Erziehungsstellen sind alle eine Art Patchworkfamilie, denn sie alle haben ein nicht leibliches Kind aufgenommen. Die Familienkonstellationen sind dabei ganz unterschiedlich und individuell – und das ist sehr hilfreich. Denn es gleicht ja auch kein Kind dem anderen. Wir schauen immer, was das Beste fürs Kind ist. Und das kann ganz unterschiedlich und nicht automatisch ein „klassisches“ Familienkonstrukt sein. Kinder brauchen in erster Linie Erwachsene, die ihnen Sicherheit, Geborgenheit und ein stabiles und langfristiges Bindungsangebot geben.

www.context-ev.de

© Context e.V.
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