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100.000 Unterschriften für Grundgesetzänderung // © Julia Shropshire

100.000 Unterschriften Verfassungsrechtler bezweifeln die Chance auf Umsetzung

ms - 18.05.2022 - 13:45 Uhr

Seit rund drei Jahrzehnten wird immer wieder darüber debattiert, den Artikel 3 des Grundgesetzes im Abschnitt 3 bei der Nennung besonders schützenswerter Gruppierungen um den Passus “sexuelle Identität“ zu erweitern. Im letzten Jahr forderten zwei bundesweite Kampagnen mit prominenter Unterstützung aus Gesellschaft, Kunst, Medien und Politik kurz vor dem Ende der schwarz-roten Koalition unter Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel den Koalitionszwang aufzuheben und so eine Abstimmung zu ermöglichen.

 

Das Vorhaben scheiterte zwar, doch die Initiative “Grundgesetz für alle“ sammelte weiter aktiv Unterschriften, um ihren Forderungen auch in der neuen Ampel-Koalition Nachdruck zu verleihen. Nun übergaben die Initiatoren 100.000 gesammelte Unterschriften an den Queer-Beauftragten der Bundesregierung, Sven Lehmann.

Der Grünen-Politiker und Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfamilienministerium stellte dabei klar: „Dem expliziten Schutz von LGBTI* in Artikel 3 des Grundgesetzes schließe ich mich an. Unsere Sicherheit verdient Verfassungsrang!“

 

Bereits Anfang 2022 hatte Lehmann betont, dass es sich die aktuelle Regierung zur Aufgabe gemacht habe, in dieser Legislatur-Periode eine Grundgesetz-Änderung durchzubringen. Wie realistisch dieses Vorhaben allerdings tatsächlich ist, wird vielerorts bezweifelt, gerade auch von Verfassungsrechtlern wie beispielsweise Professor Dr. Christian Pestalozza von der Freien Universität Berlin: „Chancen auf eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag oder im Bundesrat hat das Vorhaben keine. Vergleichbare Vorstöße, die ´sexuelle Identität´ in den Absatz 3 aufzunehmen, sind seit 1994 mehrfach, zuletzt 2021 im Bundesrat, gescheitert. Das wird auch diesmal so sein.“

 

Die Hürden zur Änderung des Grundgesetzes wurden einst bewusst hoch angesetzt, weswegen aktuell ohne die breite Zustimmung der CDU/CSU nichts aus dem Vorhaben werden wird. Auch wenn einige Unions-Politiker wie jüngst der bisherige und wahrscheinlich auch neue NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst betonten, für die Ergänzung stimmen zu wollen. Die Frage bleibt trotzdem offen, wie sich die Partei insgesamt positioniert und ob sie die Frage zur Grundgesetzänderung nicht zu einem politischen Ränkespiel machen wird.

Verfassungsrechtler wie Pestalozza sehen nur eine einzige Chance, die kühnen Pläne doch noch umzusetzen und zwar dann, wenn die Ampel-Koalition der Opposition anderweitig politische sowie gesetzliche Zusagen unterbreitet. Ob Rot-Grün-Gelb dazu bereit ist, ist indes noch vollkommen offen.

 

Zudem gibt es auch nach wie vor teils heftige Diskussionen innerhalb der LGBTI*-Community darüber, wie genau die Ergänzung formuliert werden soll: Den einen geht die Begrifflichkeit “sexuelle Identität“ nicht weit genug, weil vermeintlich geschlechtliche Minderheiten wie trans- oder nicht-binäre Personen nicht explizit genannt werden. Sie fordern einen Eintrag zur “geschlechtlichen Identität“ – diesen Begriff lehnte die CDU allerdings bereits mehrfach auch mit der Aussicht auf Zugeständnisse von der Ampel-Koalition ab.

Die anderen sehen gerade juristisch in dem Wort “Identität“ ein Problem, weil es einen rechtlichen Definitionsspielraum offen lässt – so wünschen sich jene ähnlich wie im Primärrecht der Europäischen Union eine Ergänzung mit dem Begriff  “Ausrichtung“.

Am Ende bleiben zwei Fragen: Wird sich die Community selbst auf eine Bezeichnung einigen können? Und ist die geplante Grundgesetzänderung unter diesen Vorzeichen nicht insgesamt mehr ein politisches Feigenblatt, als eine realistisch tatsächliche umsetzbare Aktion?

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