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André Lossin - Berliner Aids-Hilfe e.V
Rubrik

Kampf gegen das ANST-Merkmal „Wir lehnen die Erfassung von Infektionskrankheiten in Polizeidatenbanken grundsätzlich ab“

km - 01.12.2021 - 18:00 Uhr

Die Berliner Aids-Hilfe e.V. kämpft seit mehr als zehn Jahren gegen das ANST-Merkmal in Polizeidatenbanken. Diese steht für „ansteckend“ und soll Auskunft darüber geben, ob bei der Person beispielsweise eine bekannte HIV- oder Hepatitis-Infektion vorliegt. Warum dieses Kürzel aus den polizeilichen Datenbanken verschwinden muss, was die Berliner Aids-Hilfe e.V. bereits dagegen unternommen hat und welche Erfolge vor Kurzem verzeichnet werden, konnten berichtete André Lossin Vorstandsmitglied der Berliner Aids-Hilfe e.V. in einem Interview mit SCHWULISSIMO.

 

Wie kam es überhaupt dazu, dass „ANST“ in die Polizeidatenbank aufgenommen wurde?
In den polizeilichen Datenbanken der Bundesländer und des Bundes werden verschiedene Merkmale / Kategorien gelistet und den dort erfassten Personen zugeordnet. So sollen bei einem Einsatz schnell Informationen über die vermutete Gefährlichkeit und z.B. Vorstrafen einzelner Personen abgefragt werden können. Das Merkmal „ANST“ für „ansteckend“ soll dabei Auskunft darüber geben, ob bei der Person beispielsweise eine bekannte HIV- oder Hepatitis-Infektion vorliegt.

Warum muss dieses Kürzel verschwinden?
Wir lehnen die Erfassung von Infektionskrankheiten in Polizeidatenbanken grundsätzlich ab. Dies trifft insbesondere für Menschen mit HIV zu, die im Alltag vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. HIV gilt medikamentös behandelt als chronische Erkrankung. Unter der erfolgreichen Behandlung sinkt die Viruslast im Blut eines HIV-positiven Menschen unter die Nachweisgrenze und damit ist diese Person nicht mehr infektiös. Schutz durch Therapie ist hier das Stichwort. Dies gilt beim Sex, erst recht für den Alltag und aus unserer Sicht auch für Polizeieinsätze. Die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung geht bei Behandelten gegen Null. Es gibt keinen dokumentierten Fall einer HIV-Übertragung im Kontext der Polizeiarbeit. Daher ist es ungerechtfertigt, Menschen in einer Datenbank zu führen, von denen keine Ansteckungsgefahr ausgeht. Dasselbe gilt übrigens für Hepatitis. Selbst die Hepatitis-C ist mittlerweile nicht nur behandelbar, sondern in fast allen Fällen heilbar.

Wie lange setzt sich die Berliner Aids-Hilfe bereits gegen dieses Kürzel ein und vor allem, wie?
Seit wir vor mehr als zehn Jahren von der Existenz des „ANST“-Merkmals erfahren hatten, kämpfen wir dagegen an. Unsere Forderung, das Merkmal aus den polizeilichen Datenbanken zu entfernen und die Datensätze der hierzu gespeicherten Personen zu löschen, haben wir seither bei nahezu jedem CSD auf Transparenten eingefordert, sie waren auch Teil des Forderungskataloges des Berliner CSD e.V. Darüber hinaus gab es kontinuierliche Gespräche - und vor allem Aufklärungsarbeit - mit politischen Akteuren, damit dieses diskriminierende und stigmatisierende Merkmal verschwindet.

Kürzlich gab es erste Erfolge in Berlin. Wie sahen diese aus?
Die rot-rot-grüne Berliner Landesregierung hatte das Thema in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Im Mai 2019 hat Berlin bei der Innenministerkonferenz der Länder beantragt, die rechtlichen Vorgaben – für alle Bundesländer – zu verändern. Dies wurde auch beschlossen. Das führte zumindest in Berlin dazu, dass die polizeiliche Datenbank bearbeitet und große Teile der „ANST“-Daten endlich gelöscht wurden. Von den wohl 900 Datensätzen verbleiben geschätzt circa 200. Diese werden nun von der Hochschule für Wirtschaft und Recht mit dem Ziel evaluiert, die Anzahl der mit „ANST“ erfassten Personen sachbegründet weiter zu reduzieren. Insofern kann man hier von einem Erfolg sprechen. Wir bleiben weiter am Thema dran.

Wie kann man bundesweit und nachhaltig dafür sorgen, dass der Wissenstand aus den 80er-Jahren in der Gegenwart keinen Platz mehr findet – nicht nur bei der Polizei?
Der Kampf gegen Diskriminierung und Stigmatisierung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Diese Frage muss jeden Tag neu gestellt werden. Dabei gibt es einerseits eine Bringschuld, d.h. Experten lassen die Gesellschaft an ihrem Wissen teilhaben und befeuern so einen gesellschaftlichen Diskurs zum aktuellen Stand von Wissenschaft und Forschung. Dieses Wissen gilt es dann breit und flächendeckend in die Bevölkerung zu tragen. Hier sind alle öffentlichen Akteure wie Behörden, Medien, Organisationen und insbesondere die Aidshilfen in Bezug auf HIV gefordert. Es gibt jedoch auch eine Holschuld. Wenn ich im Umgang mit einem bestimmten Thema unsicher bin, dann ist es auch an mir, diese Wissenslücken zu schließen und mir diese Informationen zu holen. Dabei helfen wir als Aidshilfen nicht nur Privatpersonen, sondern gehen in Schulen und Institutionen, geben Workshops und schulen Multiplikator*innen, damit die veralteten Positionen verschwinden und der aktuelle Wissensstand an diese Stelle tritt.

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