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Claus Vincon // © vvg

Im Interview Claus Vincon

vvg - 01.10.2016 - 10:00 Uhr

Claus Vincon ist Schauspieler und vor allem als Georg „Käthe“ Eschweiler aus der „Lindenstraße“ bekannt. Er arbeitet als Autor und Produzent und ist seit der letzten Kommunalwahl in der Bezirksvertretung Köln-Innenstadt.

Claus Vincon, vor zwei Monaten hat uns Georg Uecker – dein „Lindenstraße“-Partner Carsten Flöter – mit einem außergewöhnlichem Outing überrascht. Wie waren die Reaktionen in der „Lindenstraße“ darauf und mit welchem Outing willst du uns jetzt überraschen?
Zum Team kann ich nichts sagen, weil wir gerade Sommerpause haben; ansonsten habe ich bisher keine negativen Reaktionen mitbekommen. Womit ich mich oute? Ich werde im kommenden Monat 60! Ich habe lange Jahre behauptet, ich sei jünger, aber ich werde tatsächlich jetzt im Oktober 60. Ein Schock für all meine One-Night-Stands.  Nein, ich habe nie mein wahres Alter verheimlicht – ich bin auch noch gar nicht so alt, sondern nur reifer.

Bist du mit den Jahren ruhiger geworden und mit deinem Leben zufrieden?
Was mich am meisten am Älterwerden nervt, sind die ständigen Wiederholungen. Außerdem habe ich in meinem Leben so viel Sex gehabt, dass da nichts mehr kommen kann, was für mich neu wäre und mich überraschen würde. Was das betrifft, bin ich also ruhiger geworden. Wenn man 40 Jahre lang offen schwules Leben genossen und geliebt hat, was soll da noch kommen? Ich habe ja alles durch. Also Flirten und Knutschen ja, aber der Rest muss nicht mehr sein.

Wärst du gerne noch mal ein Twen?
Mit den Erfahrungen von heute ja, aber das ist leider Utopie. Außerdem müsste ich dann ja noch mehr Wiederholungen mitmachen. Ich finde es gut, dass der liebe Gott es so eingerichtet hat, dass der Testosteronspiegel ab einem bestimmten Alter sinkt. Viele alte Leute sind verbittert, das bin ich gar nicht. Meine erste Single war von Udo Jürgens und hieß: „Und immer wieder geht die Sonne auf“; das ist eigentlich mein Lebensmotto geworden.

Altern Schwule anders als Hetero-Männer?
Ich denke ja, da wir nicht so geprägt sind, ein Lebensmodell zu erfüllen, also heiraten, Kinder in die Welt setzen, ein Haus bauen, Familie ernähren etc.. Ich weiß, dass in Familien mit drei Söhnen die beiden heterosexuellen Jungs ihren schwulen Bruder oft beneidet haben, weil er den Druck der Familie nicht erfüllen musste und dadurch freier leben konnte.

Gehen wir mal 40 Jahre zurück; was wolltest du als Kind werden?
Zuerst Tierpfleger. Ich hatte in meiner Heimatstadt Hamburg ein dreimonatiges Praktikum bei einem Tierarzt im damals größten Tierheim von Deutschland. Dann änderte sich das durch meinen Onkel, der Schauspieler in Lübeck war. Da wollte ich nur noch Schauspieler werden. Im Übrigen spielte mein Onkel lange Zeit mit Joachim Luger zusammen, der heute den Hans Beimer in der „Lindenstraße“ spielt. Ich kenne Joachim also, seit ich 14 bin.

Wird man im Alter ängstlicher, vielleicht vor dem Alleinsein?
Nein, ich war insgesamt 36 Jahre lang in festen Beziehungen und bin nunmehr seit 16 Jahren mit einem 17 Jahre jüngeren Mann zusammen. Eigentlich habe ich gar keine Ängste. Vielleicht nur politisch gesehen davor, dass die Dummheit in diesem Lande weiter um sich greift.

Wann hast du das letzte Mal geweint?
Als sich Fabian Hambüchen bei Olympia die Goldmedaille erturnt hat. Ich schaltete den Fernseher ein, als noch drei vor ihm dran waren. Dann turnte er und es war von der Wertung her gar nicht klar, ob er gewinnen würde. Dass dieser kleine Kämpfer, der nur 1,63 m misst, nach Bronze (2008 in Peking) und Silber (2012 in London) nun in Rio seine Goldmedaille holte, fand ich einfach großartig. Ich hatte ihm das so gewünscht; da saß ich mit Tränen vor dem Fernseher.

Du spielst in den Folgen 526 bis 911 und seit der 1136. Folge in der „Lindenstraße“ mit. Im Oktober läuft die 1.600. Folge. Du hast als Georg Eschweiler alias Käthe zunächst im Kindertheater später den „Dr. Sonnenberg“ gespielt. Gibt es Parallelen zwischen Käthe und dir?
Ich habe lange Zeit in Oberhausen und Kiel Kinder- und Jugendtheater gemacht. Ich bin ja ein klassisch ausgebildeter Schauspieler, habe über zwölf Jahre auf der Bühne Stücke von Shakespeare bis Tschechow gespielt. Irgendwann habe ich meine drei eigenen Solos „Männer im Park“, „Der geile Günther“ und „Ein Kerl fürs Leben“ geschrieben und aufgeführt – ich habe also nicht nur „Lindenstraße“ gemacht. Außerdem habe ich 117 Folgen der erfolgreichsten deutschen Sitcom „Die Camper“ geschrieben, war Hausregisseur im Schmidt-Theater, habe vier große Programme mit Georgette Dee inszeniert, das Solo „Ich bremse auch für Männer“ für Hella von Sinnen und das erste große Solo für Ernie Reinhardt gemacht. Die Figur „Lilo Wanders“ ist übrigens im Stück „Blaue Jungs“ entstanden. Da macht Ernie eine Parodie von Evelyn Künneke, und spielt einen Star Lilo, die in der Pension „Blaue Jungs“ übernachtet. Ich war also ständig in Hamburg und habe auf dem Kiez „gelebt“. 

Nachdem die Rolle des Dr. gestrichen wurde, übernahmst du halbseidene Synchronsprecher-Jobs an.
Meine Kollegen am Landestheater in Neuss haben das gemacht und ich bin einmal mitgegangen. Ich saß da also Frühmorgen vor der Probe in einem Ton-Studio und produzierte Stöhnschleifen. Man sah zwar kein Bild, stöhnte aber in allen Stöhn-Variationen. Ich habe keine Ahnung, wer sich dann in welchem Porno mit meinem Gestöhne eine schöne Zeit machte. 

Schließlich übernahmst du die Moderation einer TV-Verkaufsshow für Küchenutensilien.
Was das angeht, kann ich nur sagen: Ich kann das nicht gucken. In den ersten zehn Minuten kann ich mich köstlich amüsieren; aber dann entsteht irgendwie das Gefühl im Kopf, dass ich das Teil auch haben muss. Dann schalte ich ganz schnell ab. Nur einmal war ich zu langsam, da habe ich mir eine ferngesteuerte Lautsprecherbox für die Dachterrasse bestellt. Es ist aber bewundernswert, wie viele Schwule damit ihr Geld verdienen und älteren Oversize-Frauen Röcke verkaufen. Selbst Harald Glööckler macht damit einen riesigen Gewinn. Also das Moderieren überlasse ich lieber anderen, mein Kollege Georg Uecker kann das viel besser als ich; aber wenn man mich fragt… Ich moderiere aber alle zwei Jahre „Die Ehrung der Jubiliare“ bei verdi.
 

Claus Vincon // © vvg

Anfang 2003 gabst du Carsten Flöter das TV-Ja-Wort? Hast du das privat auch schon getan?
Obwohl ich die Ehe eigentlich ganz oder gar nicht wollte, habe ich meinem Mann die berühmte Frage gestellt, weil er gerne heiraten wollte. Es ist gut, dass wir diesen Schritt nicht gemacht haben, sonst hätte er nicht den Job bekommen, den er heute hat. Ich bin ein Kind der 1970er-Jahre und „Ehe“ war das, was wir eigentlich nie wollten. Ich glaube, selbst wenn ich hetero wäre, hätte ich nicht geheiratet.

Bevorzugst du einen bestimmten Typ Mann?
Nein, das habe ich nie. Aber bei wem ich sofort ohnmächtig werde, sind rothaarige Männer mit heller Haut und Sommersprossen; wo andere schwule Männer sofort davor weglaufen würden. Aber mein Mann, mit dem ich jetzt seit Mai 2000 zusammenlebe, ist nicht rothaarig. 

Tanja und Suzanne machst du bei ihrer Verpartnerung ein außergewöhnliches Geschenk, du bietest dich als Tagesvater an.
Ich bin auch privat ein großzügiger Mensch: Ich habe immer nahestehende Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht so viel Geld haben, gern unterstützt. Ich bin so erzogen worden, dass man gibt, ohne zu nehmen. Wenn es einem gut geht, sollte man das mit anderen Menschen teilen. Ich würde mich auch privat jederzeit bei Bekannten als Babysitter anbieten und wenn gewünscht einen Abend auf ein Kleinkind aufpassen.

In deinem Bühnen-Solo „Der geile Günther“ hast du einen verklemmten Schwulen gespielt. Der Günther war Beamter des Grünflächenamtes, der durch Beobachtungen in einem Cruising-Park zu seinem Coming-out fand. War dein Coming-out auch so schwierig?
Nein. Mein „inneres“ Coming-out war mit elf Jahren, da war ich total in Ron Ely verliebt, der den Tarzan spielte. Vier Jahre später hat mich in einer Hamburger Hetero-Sauna ein Endzwanziger mit Blicken und kleinen Zärtlichkeiten verführt. Wir sind in einer Seitenausfahrt der Hamburger Autobahn gelandet. Er war sehr liebevoll, sanft und zärtlich und ich war hin und weg. Zwei Tage später saß ich mit meinen Eltern beim Abendessen und im Werbeblock kurz vor 7 erschien genau dieser Mann als Schauspieler in einem Werbefilm und sagte: „Guten Abend, meine Damen und Herren, hier ist das Gard Haarstudio...“ Wirklich geoutet habe ich mich zehn Jahre später, als ich meinen ersten Freund hatte. Meine Mutter sagte nur: „Das habe ich mir schon gedacht. Welcher 13-Jährige liegt schon vier Stunden mit Kerzenlicht und einer Quarkmaske im Gesicht im Schaumbad?“ Dabei hatte ich eine ganz schwere Akne, und sähe heute aus wie Jürgen Prochnow, hätte ich nicht einen guten Hautarzt gehabt.

Dagegen kann man heute ja was machen lassen!
Oh, ich habe schon was machen lassen. Ich habe eine strenge Stirnfalte. Also bin ich zum Neurologen und habe mir Botox spritzen lassen. Das habe ich ein paar Mal gemacht, allerdings hielt das immer nur 14 Tage. Darauf erzählte mir der Arzt, dass ich zu den 5% gehöre, die gegen Botox immun sind. Das ist mein Outing: Ich bin gegen Botox immun und muss damit leben.

Du bist ein schwuler Aktivist der ersten Stunde; hat sich all das Kämpfen gelohnt?
Ich denke, heute ist so einiges wieder prüder geworden. Darum fand ich es großartig, dass Alfonso Partisano, der Sprecher von „enough is enough“ beim diesjährigen CSD von der Bühne ermahnte: „Wenn ihr AfD wählt, spuckt ihr all den Leuten ins Gesicht, die für euch gekämpft haben, damit ihr heute so ein Event überhaupt feiern könnt!“

Du hast mit Stephan Runge der Stadt Köln ein musikalisches Denkmal gesetzt; bröckelt das langsam?
„Der geilste Arsch der Welt“ sollte ja ein Lied über ein Lebensgefühl werden und nicht über Kölner Kneipen. Sicherlich existiert einiges nicht mehr, aber wir fanden es wichtig, an diese „alte Zeiten“ zu erinnern. Zukunft braucht Erinnerungen.

Du bist in viele männliche Rollen geschlüpft und in den legendären Röschen-Sitzungen auch schon mal in ein Kleid. Wärst du gerne mal eine Frau?
Mich als Frau zurechtzumachen, ist schwierig, ich sehe dann ziemlich Sch**** aus. Wenn es aber ginge, würde ich mal als Mann miterleben wollen, wie oft Frauen belästigt, angegrapscht und mit dummen Sprüchen diskriminiert werden. Diese dauerhafte Diskriminierung, auch in Form sexueller Belästigung in unserem Land, finde ich schon unglaublich. Genauso wie ich nicht verstehe, dass Frauen im selben Job 20% weniger verdienen …

Du bist Parteimitglied der Grünen.
Ja, seit 2008, ich wollte nicht nur ein zahlendes Mitglied sein, sondern aktiv am politischen Geschehen teilnehmen. Seit der letzten Kommunalwahl sitze ich in der Bezirksvertretung von Köln. Wir haben z.B. Möglichkeiten für die Außengastronomie auf Parkflächen geschaffen. Zurzeit setzte ich mich für die Wiederanschaffung von Trinkbrunnen ein.

Deine sehr kurze Meinung zur weltpolitischen Lage und ihrem nicht sehr lustigen Dreigestirn.
Ich hoffe, wir werden Trump bald vergessen. Bei Putin hat die EU viele Fehler gemacht, und Erdogan verfolgt bestimmte politische Ziele, wobei ihm klargemacht werden muss, was der Unterschied zwischen Demokratie und Erdokratie ist. Ich hoffe, dass man mit beiden im Gespräch bleibt und die Menschen Geduld haben und verstehen, dass Politik auch einmal dauert.

Du wirst bald 60; wie feierst du?
In meiner WG, die ist groß genug und hat schon viele Feten mitgemacht. Und ich freue mich jetzt schon darauf, viele liebe Freunde wiederzusehen, mit denen ich im Leben schöne Zeiten verbracht habe. Es ist wichtig, dass Erinnerungen bleiben.

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Claus Vincon im September 2016 geführt.

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