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HateAid
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HateAid Interview zum Thema Hass im Netz

km - 09.03.2022 - 10:00 Uhr

HateAid ist eine gemeinnützige GmbH zur Beratung und Unterstützung von Opfern von Online-Hass mit Sitz in Berlin. Sie bietet Betroffenen digitaler Gewalt ein kostenloses Beratungsangebot und Prozesskostenfinanzierung. Menschen, die online Hass und Hetze erleben, die beleidigt, verleumdet oder bedroht werden, können sich an die Experten und Expertinnen von HateAid wenden. Sie helfen allen, die selbst keinen Hass verbreiten – unabhängig von Nationalität, Hautfarbe, Religion, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, politischer Meinung und körperlicher Versehrtheit.
SCHWULISSIMO interviewte
Clara Taruba (Betroffenenberaterin) und Josephine Ballon (Head of Legal) von HateAid, um mehr zu erfahren.

Andrea Heinsohn
Clara Taruba (Betroffenenberaterin) © Andrea Heinsohn

Was ist HateAid?
In Deutschland ist HateAid die erste Organisation, die speziell Betroffene von digitaler Gewalt berät, unterstützt und sich für ihre Rechte stark macht. Wir beraten digital, kostenlos und bundesweit. Neben der Beratung bieten wir auch noch Prozesskostenfinanzierung an und ermöglichen es Betroffenen, sich ohne eigenes Kostenrisiko, auch juristisch zur Wehr zu setzen. Im Rahmen unserer Policyarbeit setzen wir uns dafür ein, dass sich die Rahmenbedingungen für die Betroffenen insgesamt verbessern.

Wer kann sich alles bei HateAid melden und wer bekommt Hilfe?
Sie können sich bei uns melden, wenn Sie online Hass und Hetze erlebt haben, beleidigt, verleumdet oder bedroht wurden – in der akuten Situation oder auch schon davor, wenn Sie sich präventiv informieren wollen. Dabei unterstützen wir alle Menschen, die selbst keinen Hass verbreiten, unabhängig von Alter, Nationalität, Religion, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung und Identität, politischer Meinung und körperlicher Versehrtheit.

Wie sehen diese Hilfsangebote aus?
Wir unterstützen zunächst mit einer emotional-stabilisierenden Erstberatung, um Betroffene erstmal aufzufangen und bieten ihnen einen sicheren Raum, um über das Erlebte zu sprechen.
Dann überlegen wir gemeinsam welche Schritte die nächsten sein können. Im Rahmen einer Sicherheitsberatung schauen wir dann z.B. welche Daten über die Betroffenen im Netz zu finden sind. Ist vielleicht die Adresse online? Gibt es Sicherheitslücken wie Angaben über den Arbeitgeber, wo man sich ehrenamtlich engagiert etc. Wir helfen dann, bspw. Löschanträge zu stellen und unterstützen auch bei der Einrichtung einer Melderegistersperre. Viele wissen nicht, dass die Privatadresse leicht beim Einwohnermeldeamt abgefragt werden kann.

Zudem erarbeiten wir bei Bedarf eine Kommunikationsstrategie. Viele Betroffene sind nach einer Gewalterfahrung verunsichert und wissen nicht, wie sie sich weiterhin im Netz bewegen sollen.

Möchte jemand Rechte juristisch durchsetzen und den Täter*innen Grenzen aufzeigen, unterstützen wir auch dabei. In geeigneten Fällen können wir dank unseres Fonds sogar die Prozesskosten für die Finanzierung von Zivilklagen übernehmen.

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Josephine Ballon (Head of Legal) © Andrea Heinsohn

Läuft das Ganze anonym?
Ja, unsere Beratung kann auf Wunsch auch anonym erfolgen.

Ab wann handelt es sich um ein Hassverbrechen und inwieweit werden Hassverbrechen anders behandelt als andere Verbrechen?
Oh, es gibt keine allgemeingültige Definition von Hassverbrechen, genau genommen ist ein solches im Gesetz überhaupt nicht vorgesehen. In der Regel sprechen wir von Hasskriminalität, wenn die Motive der Täter*innen menschenverachtend sind oder sich die Tat gegen das Opfer wegen seiner*ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe richtet. Solche können zum Beispiel dann vorliegen, wenn die Tat aus rassistischen, fremdenfeindlichen, misogynen oder homophoben Beweggründen begangen wird.

Hasskriminalität soll insofern anders behandelt werden, dass immer eine Strafverfolgung erfolgen soll und Verfahren nicht, zum Beispiel wegen eines mangelnden öffentlichen Interesses, einfach eingestellt werden. Außerdem gibt es auch bestimmte Straftatbestände, die explizit an die Motive der Täter*innen anknüpfen – zum Beispiel die verhetzende Beleidigung oder auch die Volksverhetzung.

Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Betroffene bei der Anzeigeerstattung immer explizit darauf hinweisen, wenn konkrete Anhaltspunkte für ein Hassdelikt vorliegen, damit dieses auch als solches erkannt und behandelt wird.

Wie hoch sind die Erfolgschancen, wenn man Hass im Netz erfährt und dies zur Anzeige bringt?
Die Erfolgschancen kann man nicht pauschal beziffern. Wir raten allen Betroffenen dazu, immer Strafanzeigen zu stellen. Denn eines steht fest: wenn keine Anzeige gestellt wird, dann kommt es auch mit 100 % iger Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Strafverfolgung. Die größte Hürde bei Ermittlungen im Internet ist die Identifizierung der Täter*innen. Wir kooperieren hier mit einer spezialisierten Staatsanwaltschaft, die eine Identifizierungsquote von rund einem Drittel erreicht – was für uns schon ein großartiger Erfolg ist.

Es ist insgesamt wichtig Strafanzeigen zu stellen, denn nur dann sehen die Strafverfolgungsbehörden, dass es nicht nur ein Einzelfallproblem ist, sondern viele Leute betrifft. Das ist wichtig, um eine Evidenz und somit auch einen politischen Willen zu schaffen – zum Beispiel die Justiz mit den entsprechenden Ressourcen auszustatten oder Gesetze anzupassen. Ansonsten kommt es zu Situationen, in denen wir mit den Strafverfolgungsbehörden sprechen und sie bitten Fortbildungen für die Ermittlungen im Netz anzubieten und mehr Ressourcen zu schaffen und sie fragen, wozu der ganze Aufwand nützlich sein soll, wenn sie nur fünf Anzeigen im Jahr bekommen.

© DjelicS
© DjelicS

Welche Formen von Hass und Hasskriminalität im Netz gibt es?
Wir sehen Hass und Hasskriminalität im Netz als digitale Gewalt an, die verschiedenen Formen der Herabsetzung, Belästigung, Diskriminierung, soziale Isolation und Nötigung beinhaltet. Konkret können das sein: Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Bedrohung, Erpressung, Hassrede/Hatespeech, Cybermobbing und Cyberstalking. Auch die Veröffentlichung von privaten Daten, das so genannte Doxxing, gehört dazu.

Wie sichert man am besten die Beweise – was gilt als Beweis bei einem Verfahren?
Wenn Sie z.B. Kommentare zur Anzeige bringen wollen: Machen Sie zügig Screenshots! Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass Datum und Uhrzeit des Kommentars zu sehen ist. Außerdem ist der Kontext wichtig. Fiel der Kommentar im Rahmen einer Diskussion: Dokumentieren Sie auch diese. Auf unserer Homepage gibt es detaillierte Anleitungen dazu, wie Sie vorgehen können.

Was liegen für Zahlen vor bei Hasskriminalität im Netz bezogen auf LGBTI* und wie hoch schätzt ihr die Dunkelziffer?
Bislang sind in unserer Beratung nur wenige solcher Fälle bekannt. Das bedeutet jedoch nur, dass sich wenig Betroffene an uns gewandt haben. Wir vermuten, dass die Dunkelziffer bzw. der Bedarf in der Community weitaus größer ist. Wir wissen, dass Menschen, die im analogen Bereich bereits häufig von Hass-Diskriminierungen betroffen sind, auch in der digitalen Welt häufig angegriffen werden. Dazu gehören neben Menschen aus der LGBTI* Community, z.B. auch PoC, Frauen, Aktivist*innen, Politiker*innen und geflüchtete Menschen.

Wie kann man sich am besten im Netz schützen?
Es ist wichtig, so wenig persönliche Daten über sich selbst im Netz preiszugeben wie möglich, denn dann ist man viel weniger angreifbar. Deswegen sollte man sich als allererstes darüber informieren, welche Daten öffentlich im Netz über die eigene Person zu finden sind. Das bedeutet konkret: Googeln Sie sich und schauen Sie auch auf Seite zwölf noch nach, ob dort vielleicht noch die Adresse oder die Schule der Kinder zu finden ist, weil sie dort eventuell einmal ein Amt übernommen haben. Fragen Sie sich immer, ob man aus den Informationen auf den eigenen Wohnort schließen kann.

Außerdem unbedingt die Sicherheits- und Privatsphäreeinstellungen der Social-Media-Konten überprüfen. Wer kann dort was sehen und wer kann mich kontaktieren? Wichtig ist auch ein verantwortungsbewusster Umgang mit Passwörtern, denn dann verringert man die Chancen, dass das E-Mail-Konto gehackt wird – ein Passwortmanager ist sehr empfehlenswert, um das zu vermeiden.

© Victollio
© Victollio


Wie teuer ist ein Verfahren? Wie bekommt man auch bei finanziellen Problemen von euch Unterstützung?
Eine Strafanzeige kostet zunächst nichts, da sie auch ohne Anwalt gemacht werden kann. Trotzdem unterstützen wir Betroffene auch im strafrechtlichen Bereich, indem wir für anwaltliche Unterstützung aufkommen.

Teuer wird es dann, wenn man sich zivilrechtlich gegen die Täter*innen oder die Onlineplattformen, die z.B. Inhalte nicht entfernen, zur Wehr setzen möchte. Dann kommen gut und gern schon einmal ein paar tausend Euro Kostenrisiko auf einen zu, was für die meisten Betroffenen keine Option ist. Wir unterstützen Betroffene digitaler Gewalt unabhängig von ihrem Einkommen bei der Rechtsdurchsetzung. Es genügt, sich an unsere Beratung zu wenden und ihnen den Fall zu schildern sowie Screenshots zu übermitteln. Wir überprüfen dann, ob wir die Prozesskostenfinanzierung übernehmen können.

Wie finanziert ihr euch und wie kann man eure Arbeit unterstützen?
Unsere Beratung finanziert sich vor allem aus öffentlichen Mitteln, zum Beispiel vom Familienministerium und vom Justizministerium. Für die anderen Bereiche und insbesondere die Prozesskostenfinanzierung sind wir auf Fördergelder von Stiftungen sowie private Spenden angewiesen.

Wir freuen uns natürlich immer über eine Unterstützung durch Spenden, es ist aber auch schon hilfreich, uns einfach auf Social Media zu folgen, unseren Newsletter zu abonnieren und unsere Kampagnen zu unterstützen.

Wie könnte man die Strukturen des Internets und von Social Media ändern, um ein sichereres und liebevolleres Umfeld im Netz zu schaffen?
Die Strukturen auf Social Media sind ein ganz entscheidender Punkt bei der Bekämpfung von digitaler Gewalt. Wir sind davon überzeugt, dass die Plattformen mehr Verantwortung übernehmen müssen. Sie haben etwas erschaffen, das ganz konkrete Gefahren für unsere Gesellschaft hervorruft und deswegen kontrolliert werden muss. Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass wir hier nicht auf eine freiwillige Selbstverpflichtung setzen können, sondern es klare gesetzliche Vorgaben braucht. In Deutschland haben wir bereits das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, was hierbei helfen soll. Auf europäischer Ebene wird derzeit der Digital Services Act verhandelt, der die Plattformen künftig regulieren soll.

Wir müssen in erster Linie dafür sorgen, dass das Internet wieder ein sicherer Ort für alle Nutzenden wird. Das erreichen wir nur, wenn wir es schaffen, Betroffene gegenüber den Plattformen wehrhaft zu machen, damit sich diese effektiv gegen digitale Gewalt verteidigen können. Die Plattformen können sich nicht länger darauf ausruhen, dass sie für nutzergenerierte Inhalte keine Verantwortung tragen. Vor allem müssen sie ihre internen Prozesse transparent machen, damit wir überhaupt erst einmal verstehen, wie Entscheidungen getroffen werden und Algorithmen kontrolliert werden.

©svetikd
©svetikd

Ist ein positiver Umgang im Netz eine Utopie oder gibt es Pilotprojekte wie man so etwas umsetzen könnte?
Ein positiver Umgang im Netz ist unbedingt wünschenswert. Er kann jedoch nicht erreicht werden, so lange bestimmte Gruppierungen das Netz strategisch für digitale Gewalt missbrauchen, um vor allem marginalisierte Gruppen aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen und diesen so zu vergiften. Dies wird durch die Plattformen begünstigt, die am Hass ganz konkret Geld verdienen.

Eine tolle Initiative, die sich für einen sachlicheren Umgangston in den Kommentarspalten einsetzt, ist „ichbinhier“. Sie leistet großartige Arbeit im Bereich der Gegenrede und der Schulung im Umgang mit Hate Speech.

Was hat es mit der Facebook-Klage auf sich? Worum geht es, gibt es bereits Erfolge/Schritte und kann man euch unterstützen?
Bei der Klage mit Renate Künast gegen Facebook geht es darum, dass ein verleumdendes Meme von Renate Künast, welches mit einem Falschzitat über sie versehen ist, auf Facebook hundertfach verbreitet wird. Wir sind der Meinung, dass es nicht die Aufgabe von Frau Künast und all den Betroffenen, für die sie steht, ist, ihr halbes Leben damit zu verbringen Lügen über sie im Netz aufzuspüren, zu melden und darauf zu hoffen, dass die Plattformen etwas dagegen unternehmen. Letzteres ist alles andere als selbstverständlich. Zum Teil ist es auch gar nicht möglich, wenn sich die Inhalte nämlich in geschlossenen Gruppen oder auch auf privaten Profilen befinden. Wir wollen daher erreichen, dass Facebook durch das Gericht verpflichtet wird, nicht nur die wenigen gesuchten und gemeldeten Memes zu löschen, sondern seiner Verantwortung nachzukommen und weitere Memes zu suchen und proaktiv zu entfernen. Wir sind guter Dinge, dass wir das erreichen werden. Ihr könnt Neuigkeiten über den Fall auf unseren Social-Media-Kanälen und in unserem Newsletter verfolgen.

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