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Romy Haag / © vvg

Im Inerview Romy Haag

vvg - 03.07.2015 - 10:00 Uhr

Romy Haag - eine Dame und mehr - ist die schillernste Dame im deutschen Showgeschäft mit einem bewegten Leben. Den Haag, Paris, New York und Berlin sind nur einige von vielen Stationen. Ihr „Chez Romy Haag“ in Berlin wurde in den Siebzigern zum Inbegriff von Glamour und Verruchtheit.

Romy, du hast als Clown Kinder im Circus Strassburger unterhalten, mit 16 im Pariser Nachtclub Alcazar als Schönheitstänzerin performt und hattest mit 17 Jahren Shows auf Fire Island, Long Island und Atlantic City. Wäre ein American Way of Life nie für dich in Frage gekommen?
Ich bin noch oft in New York, das ist schon meine City, aber Berlin ist ein „better life“. Was mich damals an NY störte, war, dass man Travestie immer mit Imitation verband. Ich hatte aber meinen eigenen Charakter und wollte den durchziehen. Hinzu kam: Ich hatte weder Papiere, noch eine Green-Card. Ich kam als Tourist, lebte dort Ende der 1960er und machte den ersten CSD 1969 mit. Nach dem Verkauf von „Chez Romy“ bin ich in den 1980ern nochmals nach NY, was damals schwerer war, als nach Moskau reinzukommen.

In den Staaten lerntest du einen Berliner Straßenmusiker kennen, mit dem du zurück nach Berlin bist. Kanntest du Berlin?
Ich fand Berlin spannend und war schon im Berliner „Chez nous“, wie so viele andere auch. Nach einem Chef-Wechsel bin ich nach Paris und habe mit Jean-Marie Revieré das Alcazar de Paris miteröffnet. Das war ein Riesenerfolg. Ich war noch minderjährig, aber durch den Pariser Polizeipräsident, der ein- und ausging, geschützt. Nachdem mir ein Lover dann aus Neid und Eifersucht mein Appartement angezündet hatte, bin ich bin nach Luxembourg zum amerikanische Attaché gegangen, der mir ein Visa gab. So kam ich zum ersten Mal nach NY, konnte mich dort aber nicht entfalten. Ich flog aus jeder Dragqueen-Show mit den Worten: „Du bist uns zu feminin, über dich kann man nicht lachen“. Da bin ich mit dem besagten Straßenmusiker zurück nach Berlin.

Wo du 1974 – mit 26 - in Schöneberg dein „Chez Romy Haag“ eröffnet hast.
Im „Chez nous“ hatte gerade die Direktion gewechselt, es war total uninteressant und nicht so mein Ding. Deshalb habe ich für 8.000 DM meinen eigenen Laden gekauft: die Wände schwarz angestrichen, einen roten Vorhang aufgehängt und los ging‘s.

Und die angesagtesten Männer gingen ein und aus: Udo Lindenbeg, Brian Ferry, Lou Reed, Mick Jagger – habe ich einen wichtigen Namen vergessen?
Alle, die weltweit im Show-Business und in den Charts waren, kamen zu mir. Mein Liebling war Freddy Mercury, der sein Programm geändert und in der Deutschlandhalle für mich als Opening „Big Spender“ gesungen hat.

Nach neun Jahren hast du dein Lokal verkauft und dich mit 35 Jahren einer geschlechtsangleichenden OP unterzogen. Würdest du heute alles noch mal so machen?
Natürlich, ich bereue nichts. Ich hätte das nur schon mit 17 machen sollen, nur war es vorher nicht möglich, die primären Geschlechtsmerkmale so aufzubauen, dass es echt und ästhetisch ausschaut und auch die Nerven weiterhin funktionieren. Als Frau hätte ich ganz sicher auch eine andere Karriere gemacht.

Heutzutage sind Geschlechtsangleichungen sozusagen „in“, wie man z.B. bei Balian Buschbaum, der Tochter von Cher, oder auch Bruce Jenner aus dem Kardashian-Clan sieht. Und nicht zu vergessen: Conchita Wurst hat mit ihrem männlich/weiblichem Aussehen für Kultcharakter gesorgt.
Conchita ist das Beste, was der Gay-Zzene überhaupt passieren konnte. Man muss bedenken, sie ist erst 24 Jahre; also in dem Alter hätte ich nie im Leben so intelligente Interviews geben können. Sie ist einfach sehr clever, mit dem, was sie macht und was sie aussagt. Ich wundere mich sehr über Österreich, wo es selbst schwule Ampeln gibt. Conchita ist Werbeperson einer wichtigen österreichischen Bank und ihr Konterfei auf vielen Kreditkarten zu sehen. Da war wirklich zur richtigen Zeit die richtige Person an der richtigen Stelle. Sie ist eine fantastische Person und ich schätze, dass sie in fünf Jahren in der Politik mitmischen wird. Sie ist die Person, die auch etwas bewegen kann.

Wann wusste der kleine Eduard, dass er eine Frau sein wollte?
Ich war nie etwas anderes. Meine Mutter machte mir schon immer Locken und ich sah eher aus wie Shirley Temple. Natürlich gab es Krach in der Familie. Mit meinem Vater, einem Macho, so ein Clark-Gable-Typ, habe ich mich nicht vertragen und darum mit 13 Jahren mein Zuhause verlassen.

Du bist eine Wahnsinnsfrau. Hast du noch männliche Charaktermerkmale?
Oh ja, natürlich habe ich noch eine dominante Seite. Und selbstverständlich könnte ich auch einen Nagel in die Wand schlagen. Allerdings frage ich immer zuerst meinen Mann, ob er das nicht macht.
 

Romy Haag // © vvg

Wo kann man dich live sehen?
Ich mache weniger in Deutschland. Ich bin zur Kölner Aids Gala eingeladen worden; aber die Anfrage kam leider zu spät, die Zeit war schon verplant. Sehen kann man mich mit meinem neuen Programm „Love Revolution“ am 16. Oktober im Stuttgarter Renitenz-Theater und Ende November bei den Wühlmäusen in Berlin. (www.romyhaag.de) Ich trete aber oft in London, New York und Paris auf, bei Leuten, die mich für Privat-Events buchen. Was fabelhaft ist: Zu den Auftritten in den Wühlmäusen kommen die Leute extra für ein Wochenende aus Australien, New York oder Bali angereist, um meine Lieder zu hören. Das ist Liebe.

Auf Facebook sucht man dich unter Romy Haag vergebens…
Wenn ihr zweifelt, ob ihr überwacht werdet, kann ich euch bestätigen, dass der deutsche Staat von Facebook alle Daten eingekauft hat. Herr Zuckerberg hat gezweifelt, dass Romy Haag mein richtiger Name ist. Ich musste eine Ausweiskopie mailen, in der neben meinen Künstlernamen auch mein Geburtsname Verbaarsschott steht. Daraufhin wurde mein Profil „umgetauft“ und seitdem erhalte ich von deutschen Behörden, Versicherungen etc. – obwohl mich jeder als Romy Haag kennt – Post mit meinen Geburtsnamen.

Was bringt dich denn zur Weißglut?
Unpünktlichkeit und zu viel Ego. Es muss einen Austausch zwischen den Menschen geben; alles ist ein Geben und Nehmen. Wenn das nicht funktioniert, interessiert mich der Mensch nicht.

Wovor hast du Angst?
Vor Krankheiten. Ich möchte einschlafen und tschüss sagen. So wie bei Udo Jürgens. Josefine Baker hat sich zwei Tage nach einer Premiere ins Bett gelegt und ist für immer eingeschlafen. So etwas wünscht man sich. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen könnte, von anderen, fremden Menschen abhängig zu sein.

Was macht dich traurig?
Wenn mich Leute enttäuschen. Ich glaube, es ist eine Kunst, wenn man älter wird, offen und flexibel zu bleiben. Viele ältere Leute sind sehr verbittert, die zicken dann nur noch rum.

Welche politischen Ereignisse beschäftigen dich zurzeit?
Die Mauer steht nicht mehr in Deutschland, sie steht um Europa herum. Wenn ich die Geschichten höre, dass sich Menschen auf die Flucht begeben und dann im Meer ertrinken. Das ist doch eine Riesenschande. Und dass das mit der Homo-Ehe bei uns wieder nicht durchgegangen ist – selbst in Irland hat das doch geklappt – das ist unglaublich.

Warum bist du medial so wenig vertreten?
Ich bin schon mehrmals angefragt worden, ob ich z.B. bei Big Brother oder im Dschungelcamp mitmachen würde; aber ich leiste es mir, das abzusagen. Man verschwindet so zwar allmählich aus dem Fernsehen, aber ich möchte das den Zuschauern nicht wirklich antun. Vielleicht, wenn ich heute noch 20 wäre...

Wärst du denn gerne noch einmal 20?
Nein, um Gottes Willen. Ich glaube, meine Generation hat die schönste Zeit erlebt. Und wir haben eine Zeit gehabt ohne Krieg, wofür ich sehr dankbar bin. Man weiß jetzt, wo die Welt hingeht. Das war in der „Hippiezeit“ anders, da sind die Menschen viel besser miteinander klargekommen. Da ging man respektvoll mit älteren Leuten um. Jeder hat sich frei gefühlt. Leider kann man den Zeitgeist nicht zurückholen; dafür kann man aber den Kids mitteilen, dass man frei sein kann. Viele reagieren heute wie kleine Roboter und wir leben längst in Science Fiction. Nein, ich möchte auf gar keinen Fall noch einmal 20 sein. Die jungen Leute tun mir im Grunde genommen leid. Aber das spreche ich nicht aus, ich gebe denen lieber Hoffnung.

Bleiben wir bei deiner Jugend. Erinnerst du dich an dein „erstes Mal“?
Schatz, mein erstes Mal aus Liebe? Ich bin ja ein geschädigtes Kind, ich bin vom Bischof von Antwerpen vergewaltigt worden. An mir haben sich selbst alte Frauen gerieben, es war alles irgendwie zum K*****. Meine wirklich „erste Affaire“ hatte ich dann mit 13, das war eine schöne Liebesgeschichte, die ich sehr genossen habe.

Hattest du denn jemand, mir dem du über das Erlebte sprechen konntest?
Nein, keinen Menschen. Ich sah aber in einem Klatschmagazin einen Bericht über Coccinelle, eine berühmte transsexuelle Pariserin. Die hatte geheiratet und ihre Operation in Casablanca machen lassen. Von da an – ich war 8 – wusste ich, dass ich nicht die Einzige war, und mein Ziel hieß dann nur noch Paris.

Wie ist dein Verhältnis zu Schwulen und zur schwul-lesbischen Szene?
Muss ich darauf antworten? Ich liebe die Szene und glaube, so langsam werde ich heterophob. Nein, ich fühle mich in der Szene sehr wohl; hier in Berlin oder auch in NY. Wir haben Spaß zusammen. Es sind Freunde, denen man nichts zu erklären braucht. Da fühle ich mich einfach am wohlsten, ganz ehrlich.

1981 hieß ein Album von dir „So bin ich“. Wie bist du heute, fast 35 Jahre später?
Na, ich hoffe doch, dass ich sehr viel dazugelernt habe. Und ich lerne immer noch. Ich glaube, offen zu sein ist das Allerbeste.

Dieses Interview hat SCHWULISSIMO mit Romy Haag im Juni 2015 geführt.

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