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Homosexuell im Handwerk oder in einem echten “Männerjob“? Wie sieht die Realität im Jahr 2022 wirklich aus?

Schwul in einem “Männerjob“ Wie sieht die Job-Realität für junge Homosexuelle tatsächlich aus?

ms - 10.12.2022 - 17:00 Uhr

Out and Proud – immer wieder tönen uns die Forderungen von LGBTI*-Vereinen in den Ohren, dass sich mehr Homosexuelle wie auch queere Menschen outen sollten, es bedürfe einer größeren Sichtbarkeit, um ein besseres Arbeitsumfeld für alle zu schaffen. Das mag vielleicht tatsächlich sogar auf der einen Seite stimmen, verkennt auf der anderen Seite aber oft die Arbeitsrealität von Millionen homosexuellen Menschen, die abseits der großen Städte leben. Ganz normale Menschen, möchte man sagen. Doch wie sieht das Leben für junge Homosexuelle tatsächlich aus, die abseits der schwulen Klischeejobs zwischen Friseur, Pflegeberuf oder “irgendwas mit Medien“ vielleicht in einem handwerklichen Betrieb arbeiten? SCHWULISSIMO wollte es genauer wissen und fragte nach bei Christian Behrens* (28), der heute in Niedersachen lebt, als Fachkraft für Schutz und Sicherheit arbeitet und gerade im Fernstudium seinen Meister macht.

Christian, erzähle uns bitte zu Beginn, wie verlief deine Ausbildung?

Ich habe mit 21 Jahren meine Ausbildung bei einem Sicherheitsunternehmen in Braunschweig begonnen, vorwiegend in den Bereichen Objektschutz, Revierdienst und in der Notrufleitstelle. Man arbeitet hier meistens mit den gleichen Kollegen zusammen und verbringt so auch viel Zeit miteinander, da bleiben persönliche Fragen natürlich nicht außen vor. Ich fand das zunächst schwierig, über mein Privatleben zu sprechen, aber natürlich kommt immer wieder auch die eine Frage nach der Freundin auf, also habe ich mich schlussendlich vor ein paar wenigen vertrauten Kollegen als schwul geoutet und auch über meinen damals festen Freund erzählt. Mit diesen Kollegen hatte ich außerhalb der Arbeit ab und an zu tun, weswegen ich dachte, es ist in Ordnung, ihnen die Wahrheit im Vertrauen zu sagen. Meine Homosexualität wurde aber dann in der Belegschaft sehr schnell breitgetreten, schlussendlich wussten es alle. Es wurde sich dann sehr schnell auch hämisch über mich lustig gemacht und das blieb bis zum Ende meiner Ausbildung so. Ich wurde dann als der “Süße“ bezeichnet, ständig gab es Witze über Schwule allgemein aber auch direkt über mich und auch diverse Formen von Schikanen. Einmal hat sich der Objektleiter vor der versammelten Mannschaft ungefragt auf meinen Schoß gesetzt, mir über die Oberschenkel gestrichen und dabei für alle hörbar immer wieder gefragt, ob es mir denn gefällt.

Christian ist jung, schwul und eigentlich glücklich in seinem Job. Nur das Mobbing der Kollegen macht ihm bis heute zu schaffen – für sie ist er oftmals nur “der Süße“. © iStock / Andrey Popov

Wie hast du darauf reagiert?

Ich habe immer versucht, das alles zu verdrängen. Mir war es wichtiger, meine Ausbildung fertig zu machen und in meinem Leben voranzukommen. Manchmal habe ich zwar auch blöde Sprüche zurückgegeben, aber das hat die Kollegen eigentlich nur noch weiter angestachelt und provoziert. Die Angriffe wurden dann nur noch direkter und es kamen Sprüche wie “Du bist ja sowieso nicht normal“ oder “Ich hoffe, ich werde nicht so einen Sohn wie dich haben!“ Meiner Beziehung hat das allerdings definitiv geschadet und sie ging schlussendlich auch deswegen in die Brüche. Das Thema Beziehung habe ich in meinem Leben in den letzten Jahren bis heute sehr vernachlässigt, weil ich einfach kaum mehr eine Motivation in mir habe, mich dafür einzusetzen. Mir fehlt auch bis heute zumeist die Lust, überhaupt noch außerhalb der Arbeit auf neue Leute zuzugehen.

Hast du die Erlebnisse aus deiner Ausbildung inzwischen verarbeitet?

Nein, definitiv nicht. Ich versuche eher seit damals, mich besonders auf der Arbeit anzustrengen, um meine Homosexualität dadurch sozusagen zu kompensieren. Und ich fasse kaum oder gar nicht mehr Vertrauen zu anderen Kollegen.

Ich versuche seit damals, mich besonders auf der Arbeit anzustrengen, um meine Homosexualität dadurch sozusagen zu kompensieren.

Nach deiner Ausbildung hast du in zwei kerntechnischen Anlagen in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen gearbeitet, wie ging es dort weiter?

Ich hatte zu der Zeit einen neuen Freund und wir lebten in einem kleinen Dorf zusammen, da ist das Thema relativ schnell wieder rumgegangen. Warum leben da zwei Männer zusammen? Das gelangte dann über Mundpropaganda sehr schnell bis zu meinen neuen Kollegen. Das Spiel ging sozusagen von vorne los, schlussendlich ging auch meine zweite Beziehung in die Brüche.

Ein weiterer Grund für deine Zurückhaltung heute also – macht das die Arbeit inzwischen einfacher?

Ja und Nein. Wenn man über einen längeren Zeitraum Single ist, empfinden das viele Kollegen nach wie vor als seltsam. Dazu kommt, dass mein “Geheimnis“ bis heute nie lange unentdeckt geblieben ist. Ich habe nach der kerntechnischen Anlage bis vor kurzem als Einsatzleiter bei einer bekannten Sehenswürdigkeit in Potsdam gearbeitet und merkte, dass von der ersten Minute an von Seiten der anderen Kollegen in der Führungsebene eine große Missgunst mir gegenüber herrschte. Das machte die Arbeit gerade dort besonders schwierig, denn man ist da sehr aufeinander angewiesen.

Wieso wussten deine neuen Kollegen sofort über dich Bescheid?

Ich kann das natürlich nur vermuten, aber die Firmen im Sicherheitsgewerbe sind oftmals sehr gut miteinander vernetzt. Wenn dann wie bei mir ein neuer Mitarbeiter einige hundert Kilometer zu einem neuen Arbeitgeber umzieht, entstehen da sofort Fragen, warum er das tut. Ich nehme also an, dass sich hier meine Arbeitsstellen untereinander ausgetauscht haben. Das Verhalten meines direkten Vorgesetzten in Potsdam war einfach von der ersten Minute an so extrem abweisend, dass das schon sehr auffällig war. Es gab keinen Grund, mich so schlecht zu behandeln. Dabei bin ich deswegen nach Potsdam umgezogen, weil ich davon ausgegangen bin, dass in der Führungsetage anders mit dem Thema Homosexualität umgegangen wird, dem war aber nicht so.

Einmal hat sich der Objektleiter vor der versammelten Mannschaft ungefragt auf meinen Schoß gesetzt, mir über die Oberschenkel gestrichen und dabei für alle hörbar immer wieder gefragt, ob es mir denn gefällt.

Schlussendlich bist du wieder weg aus Potsdam und wolltest zurück in die kerntechnische Anlage nach Sachsen-Anhalt, weil die Chefs dort in Ordnung waren. Was passierte dann?

Die Firma suchte dringend Personal und der oberste Geschäftsführer hat mir binnen von 24 Stunden einen neuen Arbeitsvertrag zukommen lassen. Es musste nur noch durch den lokalen Betriebsrat meines alten Arbeitsplatzes gehen, doch dieser hat mehrheitlich gegen mich gestimmt. Eine Begründung gab es nie. Von der Objektleitung wurde mir bestätigt, dass es keine sachlichen oder arbeitstechnischen Gründe gab. Schlussendlich hat mir die oberste Firmenleitung eine Arbeitsstelle an einem neuen Objekt angeboten, dort fange ich im Januar an. Zudem hat man mir nahegelegt, falls dort künftig Fragen aufkämen, meine Sexualität zu verleugnen.

Wie gehst du damit heute für dich um?

Ich habe mir immer gesagt, wenn ich an einen Punkt komme, wo es für mich nicht mehr weitergeht, dann höre ich auf. Dieser Punkt ist aber noch nicht erreicht. Es gab auch einige, die mir zu Beginn davon abgeraten haben, diesen Beruf als schwuler Mann überhaupt zu ergreifen, aber ich war mit 21 Jahren auch in einer Phase, wo ich mir dachte: Jetzt erst recht! Die Arbeit als Sicherheitskraft liegt mir einfach sehr, auch wenn ich von außen oft das Gefühl habe, dass man mich das nicht machen lassen möchte. Bis heute bin ich als schwuler Mann auch eine Ausnahme in dem Gewerbe, ich habe bis heute mit rund eintausend unterschiedlichen Mitarbeitern zusammengearbeitet und offensichtlich war da bis heute nicht eine einzige schwule Fachkraft dabei.

Sicherheitskräfte sind ein eingeschworener Verein “echter“ Kerle. Für Homosexuelle ist da oftmals noch immer kein Platz, ihnen wird der Rücken zugekehrt. © iStock / pwdigital.ca

Stimmt denn das Klischee, das oftmals von handwerklichen Berufen ausgeht, sprich, es herrscht ein Umfeld, in dem häufig über Frauen und Homosexuelle verächtlich gesprochen wird.

Das Klischee stimmt definitiv. Ich würde sogar sagen, dass Frauenhass und Homophobie an manchen Orten zum guten Ton gehört. Das Thema Homophobie zeigt sich dabei ganz unterschiedlich, mal absolut offensichtlich, an anderer Stelle eher unterschwellig oder hinten herum. Ein Beispiel: Da man mir arbeitstechnisch nichts ankreiden konnte, wurde erzählt, ich hätte einmal keinen Beitrag für die Kaffeekasse bezahlt. Dann wird unter Kollegen direkt vor mit gewarnt: „Vor dem musste aufpassen, der hat seinen Kaffee nicht bezahlt!“ An anderer Stelle sind Beschwerden beim Betriebsrat über mich eingegangen, weil die Kollegen der Meinung waren, ich würde sie in der gemeinschaftlichen Umkleide beobachten. Absolut absurd. Das wurde dann ernsthaft im Betriebsrat ausführlich besprochen, mich selbst hat man dazu allerdings nie angehört.

Würdest du heute einem jungen schwulen Mann dazu raten, sich in einem handwerklichen Betrieb zu outen?

Ich würde ihm nur dann dazu raten, wenn er auch wirklich zu einhundert Prozent sicher ist, dass er das machen möchte. Er muss sich vorher klarmachen, wo seine Grenzen liegen und sich auch bewusst darüber werden, dass es in der normalen Gesellschaft noch einen engen Horizont gibt, wenn es um Homosexualität geht. Kurz gesagt, er sollte ein dickes Fell haben, bevor er sich wirklich outet und nicht leichtfertig da hineinschlittern.

Wie sieht dein schwules Leben heute aus?

Ich persönlich kann mit dem, wie schwules Leben in Bars oder Clubs gelebt oder gezeigt wird, nicht viel anfangen. Das ist für mich zu übertrieben. Wenn ich online Männer kennenlerne, sind viele auch erst einmal überrascht, wenn sie von meinem Job erfahren. Ich bin eher normal gebaut und kein muskelbepackter Kerl, wie man sich das vielleicht mancherorts vorstellt. Ich bin generell aber auch vorsichtiger im Umgang mit Menschen geworden, wenn es um das Thema Vertrauen geht. Das Arbeitsumfeld fühlt sich durch so ein extrovertiertes Auftreten, wie es oft in der Community vorherrscht, definitiv sehr provoziert.

Wie kann sich die Situation für Homosexuelle in klassischen “Männerberufen“ deiner Meinung nach verbessern?

Es würde sehr helfen, wenn Arbeitsgeber und Chefs offen und ehrlich darüber reden würden und klar Stellung für einen homosexuellen Mitarbeiter beziehen würden.

Die Bundesregierung plant im nächsten Jahr einen nationalen Aktionsplan, wo das Thema LGBTI* im Bildungsbereich an Schulen stärker präsent sein soll. Wie siehst du das?  

Ich finde das generell richtig und gut, dass das gemacht wird. Aber vielleicht muss man nicht unbedingt von sieben Milliarden unterschiedlichen Geschlechtern sprechen, ich denke, man sollte es hier nicht übertreiben, weil sich sonst erneut andere Menschen auf den Fuß getreten fühlen. Schritt für Schritt würde ich eine Herangehensweise richtig finden. Ich denke, es kann falsch sein, alles zu wollen, zu übertreiben und damit viele Menschen eher abzuschrecken.
 
Christian, vielen Dank für das Gespräch.

*Der Name wurde auf Wunsch unseres Interviewpartners geändert. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.

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