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„Man benötigt seine Wurzeln, um zu wachsen!“

Schwul, schwarz, schonungslos gut. "Man benötigt seine Wurzeln, um zu wachsen"

ms - 02.04.2023 - 17:00 Uhr

Blazey hat eine Mission! Das wird einem sofort klar, wenn man diese Urgewalt selbst einmal auf der Bühne erleben durfte. Aufgewachsen in einer bayerischen Kleinstadt nahe München, war sein Leben trotzdem schon früh geprägt von westafrikanischer Musik. Leicht war das Leben als kreativer schwarzer schwuler Junge trotzdem nicht. Davon und von seiner Verbindung zu seinen westafrikanischen Wurzeln erzählt er uns heute in seinen Songs, eine wilde Kombination aus Afrobeats-Sounds, queerer Ballroom-Ästhetik und Mainstream-Popmusik.

Blazey, du bist in einer Kleinstadt nahe München aufgewachsen – das passt nicht ganz zu dem Glamour, den du heute ausstrahlst. Wie hast du es von Bayern auf die Bretter, die die Welt bedeuten, geschafft? Was hat es dazu abseits von Mut wahrscheinlich noch alles gebraucht?

Man braucht viel Geduld und Selbstvertrauen. Ich hatte viele hilflose Momente in meinem kleinen Zimmer, in denen ich mich nach Möglichkeiten und Wegen sehnte, um an einen Ort zu fliehen, an dem ich mich mehr gesehen und wertgeschätzt fühlen würde.  Ich träumte weiter und bereitete mich vor, bis ich eines Tages auf eine passende Gelegenheit traf. Es braucht auch viel Kraft, um mit den vielen Absagen zurechtzukommen. Manchmal muss man auch einfach den Schritt ins Ungewisse wagen, und drauf hoffen, dass es irgendwie funktioniert.

Ihr wart zu Hause eine richtige Rasselbande, du hast vier ältere Brüder. Wie ist die Beziehung heute zu deinen Brüdern?

Meine Brüder haben mich so gut wie möglich unterstützt und mich aufgefangen, wenn ich Selbstzweifel hatte. Es ist so wichtig, als unabhängiger Künstler ein gutes unterstützendes System zu haben. So konnte ich mich entwickeln und zu dem Künstler heranwachsen, der ich jetzt bin. Aber es erfordert auch viel Disziplin, vor allem in so jungen Jahren. Durchhaltevermögen ist auch wichtig, besonders in dieser sich ständig verändernden und schnelllebigen Branche. Deshalb ist Selbstvertrauen der Schlüssel zum Erfolg .

© Kenneth Dumevi

Du wurdest sehr früh auch durch die westafrikanische Musik aus der Heimat deiner Eltern, Togo, geprägt. Später hat dich dann deine Großmutter zum Kirchenchor der westafrikanischen Community mitgenommen. Spürst du musikalisch aber vielleicht auch emotional heute noch diese familiären Wurzeln in dir?   

Natürlich spüre ich die musikalischen Einflüsse aus dem Heimatland meiner Eltern. Ich denke, weil ich in jungen Jahren mit der togolesischen Musik aufgewachsen bin, prägt sie mich auch jetzt noch. Die Melodien und der Rhythmus spiegeln sich unbewusst in meiner Musik wider. Man benötigt seine Wurzeln, um zu wachsen, und ich denke, dass meine Einflüsse aus der Vergangenheit meine musikalische Zukunft prägen werden.

Wie war es für dich, als schwarzer schwuler Junge in Bayern aufzuwachsen?

Es war ein Kampf, oft fühlte ich mich weder gesehen noch gehört oder gewürdigt. Das ließ mich meine Identität und meinen Selbstwert oft in Frage stellen. Da ich merkte, dass ich hier nicht akzeptiert werden würde, wenn ich laut und offen schwul bin, versuchte ich, diese Teile von mir zu verstecken. Als ich begann, mein Schwulsein und mein Schwarzsein zu verbergen, hatte ich irgendwann immer mehr das Gefühl, ein Doppelleben zu führen. Das machte mich in München einfach unglücklich. Ich glaube, eines der schwierigsten Dinge für mich war es, meine Familie zu verlassen und wirklich für mich selbst zu entscheiden, nicht zurückzuschauen und das Leben als Einzelperson zu leben.

Ich glaube, du hast ein wirklich gütiges Herz. Deinen ersten Song hast du mit elf Jahren geschrieben – für eine Mitschülerin, die gemobbt worden ist. Hast du dir bis heute dein gütiges Herz bewahren können? Und was machst du heute, wenn du mentale Unterstützung brauchst?

Ich empfinde Musik als eine Art Therapie, und für mich ist die Musik, die ich mache, eine Selbsttherapie. Wenn ich also heute das Bedürfnis habe, eine Emotion zu verarbeiten, gehe ich zum Klavier oder ins Musikstudio und singe mir die Seele aus dem Leib. Vielleicht bewahre ich mir damit auch mein gütiges Herz. Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist, von Menschen umgeben zu sein, die die gleichen Ansichten und Absichten teilen. Meine Freunde und meine Familie halten mich wirklich auf dem Boden der Tatsachen. Ich glaube jedoch, dass meine Mutter meine größte Inspiration ist, wenn es um Nächstenliebe geht.

© Alexis Rummler

Bleiben wir noch kurz beim Thema Diskriminierung. In der Statistik würdest du als „mehrfach marginalisierte Person“ erscheinen, weil du schwarz und schwul bist und daher sozusagen mehrfach eine Angriffsfläche bietest. Ist deine neue Heimat Berlin, der Safe Space, den du brauchst?

Ich habe durch Berlin ein Stück Sicherheit erfahren. Vor allem in der Berliner Ballroom Community. Die Community hat mich inspiriert, meine Queerness auszuleben und meine Kreativität zu entwickeln. Deshalb bewege ich mich auch die meiste Zeit in diesem Umfeld und ich muss sagen, ich fühle mich einfach gut! Und das wiederum bietet weniger Angriffsfläche. Das heißt aber nicht, dass die Statik nicht der Realität entspricht.

Du warst inzwischen bei The Voice of Germany, hast für San Marino in Israel beim Eurovision Song Contest gesungen und deine Songs wurden millionenfach via Stream und im Radio gehört. Für dich kam trotzdem 2021 der große Bruch. Du wolltest frei sein von gesellschaftlichen Konventionen und einem erzwungenen „Hetero-Look“. Was ist da passiert?

Als ich 2019 Berlin besuchte und auf dem Rückflug nach München aus dem Fenster blickte, gab ich mir selbst das Versprechen, nach Berlin zu ziehen, um meinen musikalischen Traum zu verfolgen. Da ich künstlerisch aber auch privat einfach nicht mehr glücklich war mit dieser nicht authentischen Person meinerseits. Das hat viel Mut gekostet, aber es hat mir auch den Antrieb gegeben, wirklich neu anzufangen. Heute bereue ich absolut nichts, ich denke immer noch, dass der Umzug nach Berlin und der Neuanfang das war, was mich wirklich zum Leben erweckt hat. Manchmal muss man einfach auf seine Intuition hören und sich von Dingen verabschieden, über die man hinausgewachsen ist.

Inzwischen bis du tief in die queere Ballroom-Szene Deutschlands eingetaucht und hast dir in der Community einen Namen als hypnotisierender Life-Act gemacht. Warum ist für dich diese Szene eine ganz besondere?

Weil die queere Szene für mich ein Ort ist, an dem queere und meist auch schwarze Persönlichkeiten für ihre Authentizität und ihr Talent gefeiert werden. Darüber hinaus ist es nicht nur inspirierend, sondern auch der beste Ort, um zu lernen, wie man außerhalb der Norm denkt und unsere Gesellschaft und ihre Schönheitsstandards in Frage stellt. Die meisten dieser Orte laden dich auch dazu ein, genau so zu kommen, wie du bist, ohne zu urteilen.

© Alexis Rummler

Du zeigst dich auch gerne genau so, wie du bist, und nimmst auch kein Blatt vor den Mund. Wie gehen deine Familie und deine Freunde damit um?

Wenn meine Freunde mich nicht unterstützen oder mich nicht so akzeptieren können, wie ich bin, dann sollte ich meine Freundschaften wirklich in Frage stellen. Aber meine Freunde sind ein großer Teil davon, warum ich so laut und stolz sein kann. Sie ermutigen mich, ganz ich selbst zu bleiben, besonders in Momenten, in denen ich zu viel Angst habe, ich selbst zu sein. Meine Familie ist ein wahres Glück, denn sie hat mich auf meinem Weg der Selbstfindung unterstützt, vor allem mein älterer Bruder Lu, der immer für mich da war und mich und meine Kunst vor allen anderen verstanden hat. Und als Kind westafrikanischer Migranten ist es nicht einfach, offen schwul zu sein und trotzdem seine Familie als Unterstützungssystem an seiner Seite zu haben, also betrachte ich meine Freunde und Familie definitiv als Segen.

Immer wieder sprichst du von einer besonderen Energie, die dich erfasst, wenn du auftrittst, gerade auch in queeren Clubs. Wie fühlt sich diese Energie an und was macht sie mit dir?

Ich glaube, dass jeder wahre Entertainer ein Alter Ego hat, ähnlich wie Beyonce eine Sasha Fierce hat. Ich gebe dieser Energie nicht wirklich einen Namen, denn für mich ist es eher ein Gefühl. Ein Gefühl von Selbstvertrauen mit einer Nuance von Macht und einer Menge kreativer Freiheit. Es ist, als ob dieses Gefühl voll von Adrenalin alle meine Ängste und Zweifel verschluckt und mich ermutigt, das Publikum mit allem zu erfreuen, was ich habe. Ich möchte, dass sie für eine Stunde oder auch nur für einen einzigen Song all ihre Schmerzen und Sorgen vergessen.

In deinem neuen Song „Scorpio Eyes“ wolltest du eigentlich die Trennung von deinem Freund verarbeiten, dann kam es aber ganz anders und eines nachts bist du zwei Fremden in den berüchtigten Berliner KitKat Club gefolgt und hast dort eine leidenschaftliche Nacht erlebt. Wieso hat dich dieses Erlebnis so sehr geprägt, dass du selbst darüber sagst, dass deine tiefsten Sehnsüchte zum Leben erweckt worden sind?

Wenn man die Erwartungen an das Leben loslässt und bereit ist, die Kontrolle für eine Minute abzugeben, dann geschieht die Magie des Universums, und ich denke, das ist es, was in dieser Nacht passiert ist. Sich selbst mit dem Fluss der Ereignisse gehen zu lassen. Ich meine, es endete damit, dass ich mit diesem wirklich heißen Fremden auf der Tanzfläche im KitKat tanzte und anschließend rummachte, was ich vorher nie getan hatte, weil ich zu schüchtern und zu ängstlich war. An diesem Abend hatte ich einen Punkt erreicht, an dem ich meine Begierden einfach nicht mehr verurteilte, was mich zu meiner sexuellen Befreiung führte.

 

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