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Umschwung oder Untergang?

Umschwung oder Untergang? Corona und die Kunst-, Kultur- und Eventbranche

km - 06.12.2020 - 10:00 Uhr

Schallendes Gelächter, tosender Applaus, glückliche Darsteller, der Vorhang fällt, Standing Ovation, der Vorhang öffnet sich, Verbeugung, eine jubelnde Menschenmenge. Ein gelungener Abend für alle Beteiligten: Die Regie, der Requisiteur, Produktionsleiter, Bühnen-, Masken- und Kostümbildner, Beleuchter, Choreograf, Souffleur, Tontechniker und so viele mehr. Bilder und Emotionen, die aktuell der Vergangenheit angehören.
Nicht nur Theater, auch Museen, Konzerte, ganze Festivals, Weihnachtsmärkte und weitere Vertreter in der Event- und Kulturbranche hatten ein furchtbares Jahr 2020. „Keine Systemrelevanz“ war die Diagnose der Bundesregierung und steht bis heute in der Corona-Krankheitsakte. Die großen Wirtschaftsplayer und der Gesundheitssektor hatten „verständlicherweise“ erstmal Vorrang und so fügte sich die Kulturbranche und geriet in Vergessenheit. Im November der zweite Lockdown. Friseure bleiben dieses Mal geöffnet – im Gegensatz zu Fitnesscentern und der Kulturbranche. Nichts gegen den positiven Effekt auf den Gemütszustand nach einem wohltuenden Friseurbesuch, aber in unsicheren Zeiten, in der nur noch gearbeitet werden darf, wird die psychische Gesundheit genauso relevant wie das Coronavirus selbst. Kunst und Kultur können einen wesentlichen Teil für das seelische Wohlbefinden beisteuern. Der Maler Pablo Picasso sagte schon „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele“.

Hifen © Ralf Liebhold
Finanzielle Hifen © Ralf Liebhold

Hilfen
In den eigenen Reihen gibt es Hilfen: Songs werden aufgenommen oder Konzerte mithilfe von Livestream gespielt und der Gewinn als Fördermittel für Menschen aus der Branche genutzt. Es gibt die Möglichkeit, über Crowdfunding im Internet mit Kunst und Kultur weiterhin Geld zu verdienen.
Der Staat unterstützt mit Überbrückungshilfe I, II und III und justiert immer wieder nach. Inzwischen wurden die Novemberhilfen bis Juni 2021 ausgeweitet. Zusätzlich wurden die Hilfen um die Neustarthilfe erweitert, welche Soloselbstständigen eine Sonderunterstützung von einmaligen 5000 Euro als unbürokratischen Zuschuss gewährt. Weitere Information und Online-Antragsformulare unter: www.bundesfinanzministerium.de.
Die Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, versprach Kulturbetrieben in Not im Juni eine Milliarde Euro für Hilfsmaßnahmen. Davon wurden bis Mitte Oktober lediglich 50 Millionen ausgezahlt. Es ist ein langer und zehrender Prozess, bei dem es Grütters auch laut Spiegel „um einen verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern geht“. Zusätzlich sollten Künstler und Galeristen mithilfe des erhöhten Ankaufsetats für die Kunstsammlung des Bundes unterstützt werden. Statt 500.000 sollen drei Millionen Euro investiert werden. Von den geplanten 150 Werken, die erworben werden sollten, hat sich die Kommission bisher nur auf ein Drittel geeinigt.
Staatshilfen sind ja eigentlich eine gute Sache, wenn sie denn rechtzeitig bei denen ankommen, die sie wirklich benötigen. Aber am Ende sollte man tiefer greifen und zum Beispiel die Digitalisierung vorantreiben. Genau das, was seit Mitte März in den Schulen verpennt wurde, könnte man nutzen, um den Kultursektor zu entlasten. Ausharren statt Ausbauen scheint jedoch die Divise und zeigt eine sehr unkreative und bewegungslose Politik auf.


Meinungen
Herbert Grönemeyer sieht die Lösung in der Solidarität, Zusammenhalt wird in diesen Zeiten immer wieder gepredigt. Die Idee des Musikers ist, die circa 1,8 Millionen Millionäre in Deutschland dazu zu bewegen, für die Bedürftigen aufzukommen: „Wenn sich die Wohlhabendsten zu einer zweimaligen Sonderzahlung von zum Beispiel 50.000 bis 150.000 Euro bereit erklären würden, jeweils in diesem wie auch im nächsten Jahr, stünden ad hoc circa 200 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung, um Existenzen zu sichern, Pleiten aufzufangen und Ängste zu mildern.“ Ob die Wohlhabenden geschlossen dazu bereit wären, ist zu bezweifeln.
 

Sänger und Bassist Attila (oben) © Nils Jöhnk und Make-up Artist David Lovric (unten) © David Lovric
Sänger und Bassist Attila (oben) © Nils Jöhnk und Make-up Artist David Lovric (unten) © David Lovric

SCHWULISSIMO hat den Sänger und Bassisten Attila Erüstün von Super Wang! (im Folgenden mit SW abgekürzt) und den Make-up-Artist und Medienschaffenden David Lovric (im Folgenden mit DL abgekürzt), der vermutlich bekannt ist aus „Prince Charming - Staffel zwei“, zur aktuellen Situation befragt.
SW: Generell sehe ich die Situation für Musiker natürlich sehr angespannt. Zum einen muss jeder seinen Beitrag zur Verhinderung der Ausbreitung von Corona leisten. Das bedeutet zurzeit, die sozialen Kontakte sehr drastisch runterzufahren, was wiederum für den Musiker bedeutet, dass ihm eine Menge Einkommens- und Präsentationsmöglichkeiten fehlen. Es gibt nur wenig hoch dotierte Musiker, die die jetzige Zeit gut überbrücken können. Die meisten Musiker können das nicht. Und da sind wir alle mit Schuld, weil wir durch die sozialen Medien eine Kultur des kostenlosen Konsumierens entwickelt haben. Das zieht sich durch alle Bereiche, insbesondere aber im kreativen Bereich. Dem Künstler bleibt nur übrig, auf die Bühne zu gehen und durch Präsenz Einnahmen zu erwerben. Das fällt jetzt weg.
DL: Es ist schwierig, da viele Events abgesagt wurden wie Beauty-Messen oder das Public Viewing von Prince Charming, bei dem ich Gastgeber oder Host gewesen wäre. Durch fehlende Einnahmen bin ich gezwungen, mehr Werbung auf Social Media zu machen, was aber wiederum rufschädigend sein kann.

Gibt es genügend Unterstützung?
SW:
Die Unterstützung von der Regierung fehlt, sodass den Künstlern nur noch bleibt, AlG2 zu beantragen. Was fast noch schlimmer als die finanzielle Situation der Künstler ist (Ich glaube, der ein oder andere ist es gewohnt, mit wenig Geld auszukommen), ist das Signal, was damit gesendet wird: „Es ist es uns nicht wert, in Kunst zu investieren. Kunst ist nicht wichtig.“ – Und damit auch letztendlich der Künstler. Das ist traurig und schmerzlich.
DL: Es gab beim ersten Lockdown glücklicherweise vom Staat 9.000€ als Unterstützung für Kleinbetriebe. Jedoch ist jetzt im zweiten Lockdown die finanzielle Lage wieder sehr schwer. Abwarten, was da noch kommt... 

Sind Projekte verschoben oder abgesagt worden?
SW: Wir haben als Band „Super Wang!“ unsere Proben gerade auf Eis gelegt, weil wir da gewissenhaft sind. Gigs gibt es derzeit sowieso nicht - wir haben auch schon einige Konzerte absagen müssen. Die, die wir aufs nächste Jahr verschieben mussten, werden sicherlich auch nicht stattfinden - es waren einige Konzerte im Frühjahr geplant. Was wir als Band machen, ist zum Beispiel Ideen sammeln, am Computer vorproduzieren, manchmal Livestreams anbieten – was alles längst nicht das Gleiche ist, wie wirklich auf der Bühne zu stehen. Oder wir schreiben gemeinsam per Zoom Lyrics für neue Songs. 

Was erhoffst du dir von der Zukunft?
SW: Ich erhoffe mir von der Zukunft, dass Kunst wieder mehr geschätzt wird. Durch die sozialen Medien hat sich für viele eine Bühne für kreatives Schaffen ergeben. Da wird sich ausgetobt und man inspiriert sich gegenseitig. Und ich hoffe, dass bei den Menschen ein Bewusstsein dafür erwächst, dass Kunst etwas wert ist. Dass sie merken, dass die Freude, die ihnen Kunst bereitet, für andere Arbeit bedeutet. Arbeit, die auch bezahlt werden muss.
DL: Ich erhoffe mir mehr Unterstützung vom Staat als auch Möglichkeiten zur Wiederaufnahme der Arbeit. Als Make-up-Artist kann ich mich mit Maske und Desinfektion eigentlich auch ausreichend schützen. Zudem sollte die Gastronomie wieder geöffnet werden, dort gibt es genug Vorkehrungen, um Kunden und Mitarbeiter zu schützen. 

Neue Konzepte und Alternativen für den Umschwung © FG Trade
Neue Konzepte und Alternativen für den Umschwung © FG Trade

Alternativen
Es gibt schon Einige in der Kunst-, Event- und Kulturbranche, die reagieren und mit digitalen Konzepten gegen die Stilllegung der Branche kämpfen. Menschen, die sich zeigen, für alle erreichbar sind und betonen, dass ihre Arbeit etwas Wertvolles ist. Museen laden derweil zu digitalen Rundgängen ein, es werden Wohnzimmerkonzerte auf digitale Art und Weise gestaltet. Auch Theaterstücke werden abgefilmt und zugänglich gemacht, um Spenden zu sammeln. Sogar Festivals wie das „Bachenfestival“ haben es dieses Jahr geschafft, Events Corona-konform zu planen und zu kreieren. Mit gutem Beispiel voran zeigen alle diese Projekte, dass es geht. Das ist in solchen Zeiten besonders wichtig.
Es ist an den kreativen Menschen, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und sich zu vernetzen, um sich gegenseitig zu unterstützen und Kultur umzudenken. Zumindest die Präsentation der Kultur, denn auch ein Impfstoff zum Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres wird nicht direkt die Konzertsäle füllen. Die Kulturbranche wurde als Erste runtergefahren und wird sicher nicht als Erstes wieder hochgefahren.
Um mit den Worten eines Künstlers abzuschließen: „Die Kunst ist eine Metapher für das Unsterbliche“ – Prof. Ernst Fuchs, ein österreichischer Maler. Hoffen wir, dass Kunst eine Metapher für das Unsterbliche bleibt und sie nicht auch am Corona-Virus stirbt. 

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