Direkt zum Inhalt
ESC in Alarmbereitschaft

ESC in Alarmbereitschaft Der größte Musikwettbewerb der Welt zwischen Heiterkeit und Angst

ms - 10.05.2024 - 14:00 Uhr
Loading audio player...

So sehr die ESC-Organisation, die Europäische Rundfunkunion (EBU), auch versucht, den internationalen Musikwettbewerb in diesen Tagen zu einem freudigen Event im Sinne der Völkerverständigung zu machen, so ganz gelingt es ihr bisher nicht – nach zwei Halbfinal-Shows blicken alle nun angespannt auf das Finale am Samstag. Immer wieder versuchten die ESC-Veranstalter dabei auch, die Weltpolitik beim Song Contest rauszuhalten, doch auch das glückt ganz offensichtlich nicht.  

United by Music? Eher nicht!

Der Gaza-Krieg ist und bleibt allgegenwärtig in Malmö und sorgt für angespannte Stimmung und Angst in der Stadt. Bereits vorab hetzte die Gruppe „Queers for Palestine“ gegen die Teilnahme Israels beim internationalen Musikwettbewerb – die queeren Aktivisten sehen das Land als einzigen Aggressor an. Inzwischen gesellten sich tausende weitere Menschen, darunter auch viele schwedische Künstler, zu den Protesten, allen voran auch Klimaaktivistin Greta Thunberg. Klar ist schon jetzt: Der diesjährige ESC-Leitspruch „United by Music“ dürfte nicht sinnstiftend gewirkt haben.

Im Fokus der Angriffe: Israels Sängerin Eden Golan @ IMAGO / TT

Israel singt im Finale – Deutschland erneut zero Points?

Israels Sängerin Eden Golan setzte sich trotz aller Kritik im Halbfinale diese Woche mit ihrem Song „Hurricane“ durch und erntete viel Applaus aber auch vereinzelte Buh-Rufe in der Halle – sie wird beim Finale am Samstag dabei sein. Neunzehn weitere Acts haben sich zudem für die Abschlussshow qualifiziert, darunter auch der nicht-binäre Kandidat Nemo aus der Schweiz. Als Favorit wird in den Wettbüros derzeit der kroatische Sänger Baby Lasagna gelistet und hat damit Nemo vom Wett-Thron gestürzt.   

Dem deutschen Beitrag indes, Isaak Guderian (28) mit seinem Song „Always On The Run“, werden praktisch keine Chancen mehr zugerechnet. Die Experten von Eurovision-World sehen die Siegerchancen aktuell bei unter einem Prozent – sie lagen mit ihren Einschätzungen bisher fast immer richtig. Im Finale ist Deutschland als ein Land der Big Five neben Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien sowie dem Gastgeberland Schweden trotzdem mit dabei. Ein kleiner Trost, wenn Deutschland erneut „zero Points“ einsammeln sollte: In der Statistik des ESC sind bisher Finnland und Norwegen noch öfter auf dem letzten Platz gelandet. 

Scharfschützen der Polizei sichern das Gebiet rund um die Malmö Arena @ IMAGO / TT

Großaufgebot der Polizei 

Die schwedische Polizei indes ist nicht in Feierlaune, sie ist seit Beginn dieser Woche bereits in höchster Alarmbereitschaft, befürchtet werden mögliche islamistische Terroranschläge oder anderweitige gewalttätige Auseinandersetzung. Ein bisher nie dagewesenes Großaufgebot der schwedischen Polizei wird verstärkt durch Kollegen aus Dänemark und Norwegen

Bereits im Vorfeld formierten sich in dieser Woche rund 12.000 Demonstranten vor der Austragungshalle in Malmö, zum Finale ist zu befürchten, dass die Zahl noch einmal ansteigt. Das gesamte Austragungsgebiet wird bei der Finalshow großräumig mit Hubschraubern, Kameras, Drohnen in der Luft und Polizisten auf der Straße sowie Scharfschützen auf den Dächern überwacht. Alle öffentlichen Live-Übertragungen und ESC-Events in der Stadt sind abgesagt. Gefeiert werden darf nur in gesicherten Bereichen mit strenger Einlasskontrolle.   

Bambie Thug aus Irland sorgt für nervöse Stimmung beim ESC-Veranstalter © IMAGO / TT

Die Nerven liegen blank

Wie aufgeheizt die Stimmung auch bei den Organisatoren ist, zeigt der Fall Bambie Thug: Der nicht-binäre ESC-Teilnehmer aus Irland muss seine Körperbemalung ändern, urteilte die EBU. Thug hatte bei den Proben in der altirischen Ogham-Schrift das Wort „Waffenstillstand“ sowie die Aufforderung „Freiheit für Palästina“ mit schwarzer Farbe auf seinen Körper geschrieben. 

Eine Sprecherin der EBU erklärte dazu: „Die Schrift, die auf Bambie Thugs Körper während der Kostümproben zu sehen war, verstieß gegen die Wettbewerbsregeln, die den unpolitischen Charakter der Veranstaltung schützen sollen.“ Einmal mehr betonte die EBU dabei auch, dass palästinensische Flaggen und Symbole in der Malmö Arena während der Live-Show verboten sind. Kurz gesagt: Die Nerven liegen offensichtlich blank, eine Eskalation vor 150 Millionen Live-Zuschauern soll um jeden Preis vermieden werden. 

Antisemitismus in Malmö 

Eine Besonderheit lässt die angespannte Lage noch weiter eskalieren: Bereits seit einigen Jahren, lange vor dem ESC 2024, fliehen viele jüdische Menschen aufgrund von immer mehr antisemitischen Taten aus der Stadt in Südschweden, das Klima ist  dadurch bereits seit geraumer Zeit sehr aufgeheizt, wie Fredrik Sieradzki, Leiter des jüdischen Bildungszentrums, gegenüber dem Tagesspiegel erklärte: „Unsere Mitglieder verlassen die Stadt. Sie haben Angst, fühlen sich alleingelassen.“ 

Die drittgrößte Stadt Schwedens ist in den vergangenen Jahrzehnten stark angewachsen auf insgesamt mehr als 350.000 Einwohner, rund ein Drittel davon ist im Ausland geboren. Die Kriminalitätsrate ist hoch und Malmö gilt inzwischen nach Angaben des Tagesspiegels als landesweit bekanntes Symbol für eine gescheiterte Migrationspolitik. Diese Ausgangssituation könnte die aufgeheizte Lage jetzt zum ESC so noch einmal dramatisieren. 

Der Grindr-Plop-Sound überrascht ESC-Moderatorin Mede @ Screenshot / EBU

Schwule Dating-App sorgt für Lacher

Zwischendurch gibt es allerdings glücklicherweise doch auch noch heitere Momente in der ESC-Woche – international für Lacher sorgte während der Live-Übertragung im Halbfinale ein Fauxpas: Die ESC-Moderatorin Petra Mede wollte auf die Eurovision-App aufmerksam machen und schnappte sich dazu das Smartphone eines Zuschauers in der Halle. 

Während sie das Smartphone in den Händen hielt, kamen gut hörbar mit dem typischen Grindr-Plop-Sound gleich mehrere neue Message-Nachrichten der schwulen Dating-App auf dem Smartphone an. Die sichtlich irritierte Moderatorin Mede gab dem schwulen Mann schlussendlich sein Handy mit den Worten zurück: „Du wirst eine großartige Woche hier in Malmö haben.“    

Anzeige
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE

Auch Interessant

Opfer mit Böller angegriffen

Verdächtige 16 und 18 Jahre alt

Vor zwei Monaten kam es im Hamburger Stadtpark zu einem schwulenfeindlichen Angriff. Zwei Brüder wurden nun als Hauptverdächtige festgenommen.
Bilanz ESC 2025

Mehrwert für die Schweiz

Die Schweiz zieht ein positives Fazit über den ESC 2025 in Basel: Die Kassen klingelten und das Image hat sich deutlich verbessert.
Schwules Paar überfahren

Homophober Angriff in London

Mordprozess in London: Am Weihnachtsabend 2024 raste ein 30-Jähriger in eine Menschenmenge, darunter ein schwules Paar. Ein Mann starb dabei.
Lügen vor Millionenpublikum

Anti-LGBTIQ+-Rhetorik von rechts

In der „Tucker Carlson Show“ mit dem rechten Aktivisten Milo Yiannopoulos entlud sich wieder einmal eine Welle LGBTIQ+-feindlicher Rhetorik.
Lynchversuch an Universität

Student in Uganda angegriffen

Eine Gruppe homophober Studenten versuchte an der größten Universität in Uganda einen Kommilitonen zu ermorden. Jetzt hat der Fall erste Konsequenzen.
Neue Vorwürfe in England

Homophobie unter Polizisten

Erneut steht die britische Polizei in der Kritik: Verschleppte sie die Aufklärung von Raubüberfällen auf Schwule aufgrund von Homophobie?
Italiens neue Zensur

Verbotspläne schreiten voran

"Gott, Vaterland und Familie“: Nur Sexualkunde und LGBTIQ+ soll es an vielen Schulen Italiens bald nicht mehr geben, beschlossen die Parlamentarier.
Jugend unter Druck

Psychische Probleme stark vertreten

Viele queere Jugendliche haben Zukunftsängste, neuerdings auch mit Blick auf die Spaltung der Gesellschaft. Details offenbart eine neue Studie.