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Haft und Verfolgung
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Haft und Verfolgung Brutal und oft willkürlich ist die Strafverfolgung von Schwulen in vielen Teilen der Welt bis heute, so die ILGA World

ms - 01.12.2023 - 14:00 Uhr

Noch immer gibt es viele Länder weltweit, die sich strikt gegen gleiche Rechte für Homosexuelle aussprechen oder sogar strafrechtliche Verfolgungen und Verhaftungen durchsetzen – die ILGA World legt nun in ihrem neuen Bericht „Our Identities Under Arrest“ dar, wie gefährlich die Lage auch in vermeintlich sicheren Ländern bis heute ist beziehungsweise wie schnell die Sicherheit schwinden kann.

Gerade einmal drei Länder weltweit haben 2023 homosexuelle Handlungen entkriminalisiert: Singapur, die Cook-Inseln und Mauritius. In 63 UN-Mitgliedsstaaten stehen einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen indes weiterhin unter Strafe.

Die meisten Taten werden nie publik

Dabei legt die ILGA gleich zu Beginn in ihrem Bericht auch Wert auf die Feststellung, dass die gesammelten Daten nur die Spitze des Eisberges sind, viele Verfolgungen werden gar nicht erst publik. „Die tatsächliche Zahl dürfte jedoch viel höher sein: Offizielle Aufzeichnungen sind oft nicht zugänglich oder nicht vorhanden. Darüber hinaus wurden viele Fälle entweder nie registriert oder es wurde auf unklare und voreingenommene Weise darüber berichtet.“

Klar ist allerdings, dass es allein im ersten Halbjahr 2023 in mindestens 32 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) zur Strafverfolgung von Homosexuellen gekommen ist. Insgesamt untersuchte die internationale LGBTI*-Organisation dafür mehr als tausend Fälle in den letzten zwei Jahrzehnten. Die Strafmaßnahmen reichen dabei von Geldstrafen, willkürlichen Verhaftungen, strafrechtlichen Verfolgungen und Körperstrafen bis hin zu Haftstrafen sowie der Todesstrafe.

Unberechenbar und willkürlich

Besonders bedrohlich dabei: „Die dokumentieren Fälle zeigen, wie unberechenbar diese Verhaftungen und Verfolgungen sind. In Ländern, die weithin als ´sicher´ oder ´ruhig´ gelten, ist es relativ kurzfristig zu plötzlichen Veränderungen gekommen. Wachsende Hassreden gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt - sei es von politischen Persönlichkeiten oder religiösen und kommunalen Führern, auch mit der Komplizenschaft der Medien - verwandeln sich regelmäßig in Razzien oder organisierte Kampagnen, deren Dauer, Ausmaß und Gewalt nicht vorhersehbar sind“, so Kellyn Botha, Forschungsberaterin bei ILGA World und Autorin des Berichts.

Und weiter: „Uganda hat aggressive neue Gesetze verabschiedet, deren negative Auswirkungen bereits in der gesamten Region zu spüren sind. Kenia, Tansania, Nigeria, Ghana und Senegal haben Versuche unternommen, die bestehenden Gesetze zu verschärfen, während im Irak, in Niger und Mali verstärkt versucht wurde, unsere Gemeinschaften formell zu kriminalisieren, wo es zuvor keine Gesetze gab. Trotz der positiven Entwicklungen in Singapur, auf den Cook-Inseln und auf Mauritius, wo einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen entkriminalisiert wurden, ist der Weg zur Gleichstellung selten geradlinig."

Polizisten prügeln, foltern und vergewaltigen

Wenn es darum geht, wie diese Gesetze durchgesetzt werden, ist das Bild zudem besonders düster: „Die von den Gerichten verhängten Haftstrafen sind je nach Zeit und Region sehr unterschiedlich und reichen von ein paar Monaten bis hin zu 30 Jahren in bestimmten Fällen. Es gibt eine überwältigende Anzahl von Dokumenten, die belegen, dass die Polizei verprügelt, erniedrigt, gefoltert, vergewaltigt, Bestechungsgelder erpresst oder auf andere Weise LGBT- und geschlechtsspezifische Menschen misshandelt, die sie festgenommen oder inhaftiert hat. Viele Opfer solcher Übergriffe erstatten keine formelle Anzeige aus Angst vor erneuter Viktimisierung“, erklärt Lucas Ramón Mendos, Forschungsleiter bei ILGA World.

Zumeist im Fokus der Angriffe: Homosexuelle

Die meisten kriminalisierenden Gesetze zielen speziell auf einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen ab, wie die ILGA weiter festhält. „In vielen Gerichtsbarkeiten kann die Art und Weise, wie sich eine Person kleidet, verhält oder spricht, bereits als 'Beweis' für 'Homosexualität' gelten und eine Verhaftung rechtfertigen. Es ist weitaus wahrscheinlicher, dass jemand wegen seines unangepassten Aussehens oder seiner Verhaltensweisen ins Visier genommen wird als wegen einer nachweisbaren 'unerlaubten' sexuellen Handlung“, so Mendos weiter.

Ein Leben unter ständiger Bedrohung

Dieses düstere Szenario habe dabei unmittelbare Auswirkungen auf das tägliche Leben vor allem für die am stärksten betroffene LGBTI*-Gruppe, Schwule und Lesben: „Die bloße Existenz von kriminalisierenden Gesetzen bedeutet, dass unsere Gemeinschaften in vielen Teilen der Welt unter einer ständigen Bedrohung leben. Dies gilt nicht nur für die Bevölkerung an der Basis, die von plötzlichen Wellen der Feindseligkeit getroffen wird, sondern auch für Asylbewerber, die aufgrund falscher Einschätzungen der Sicherheit Gefahr laufen, in Länder zurückgeschickt zu werden, in denen sie verfolgt werden", so Gurchaten Sandhu, Direktor bei ILGA World.

Zudem, so Sandhu weiter: „Unsere Gemeinschaften werden oft auch ohne ausdrückliche kriminalisierende Bestimmungen ins Visier genommen. Dies gilt insbesondere für Gebiete, in denen die Rechtsstaatlichkeit geschwunden ist und aufständische Gruppen die Macht übernommen haben. Dass ein Land nicht zu den 63 UN-Mitgliedstaaten gehört, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen ausdrücklich unter Strafe stellen, reicht einfach nicht aus, um als sicherer Ort für LGBT- und geschlechtsspezifische Personen zu gelten.“

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