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Pubertätsblocker in der Kritik

Pubertätsblocker in der Kritik Fach-Publikation belegt offenbar massive lebenslange Langzeitfolgen

ms - 26.09.2022 - 17:30 Uhr

Ein neuer Fachartikel mit über 150 Querverweisen auf medizinische Fachstudien wirft nun ein eher düsteres Bild auf die Vergabe von Pubertätsblockern, die bei Trans-Jugendlichen und Kindern zum Einsatz kommen, um eine Pubertät zu unterdrücken und so leichter in das gewünschte Geschlecht wechseln zu können. Befürworter erklären dabei immer wieder, dass die Pubertätsblocker einfach nur die Pubertät für einen gewissen Zeitpunkt anhalten würden, ohne weitere Langzeit- oder Nebenwirkungen zu erzeugen. Michael Biggs, außerordentlicher Professor an der Fakultät für Soziologie und am St. Cross College der Universität von Oxford, widerspricht diesen Aussagen nun klar und deutlich im renommierten Journal of Sex and Marital Therapy, eine der weltweit führenden Fachpublikationen auf dem Gebiet der menschlichen Sexualität.

Dabei zeichnet Biggs zu Beginn detailliert nach, wie in den Niederlanden Forscher erstmals vor rund 25 Jahren Pubertätsblocker als Intervention für vermeintlich "jugendliche Transsexuelle" vorgeschlagen haben, die heute zum internationalen Standard für die Behandlung von Geschlechtsdysphorie zählt. Pubertätsblocker, in der Fachsprache Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten (GnRHa) genannt, wurde erstmals Mitte der 1990er Jahre in drei Klinikern in Utrecht und Amsterdam entwickelt, weswegen das Vergabe-Verfahren weltweit als “niederländisches Protokoll“ bekannt wurde.  Biggs dazu: „Der Eingriff wurde mit der Behauptung gerechtfertigt, er sei reversibel und diene der Diagnose, doch diese Behauptungen erweisen sich zunehmend als unglaubwürdig. Die wichtigsten Belege für das niederländische Protokoll stammen aus einer Längsschnittstudie mit 70 Jugendlichen, die einer Pubertätsunterdrückung mit anschließender Verabreichung von geschlechtsübergreifenden Hormonen und einer Operation unterzogen wurden.“

Inzwischen scheint klar, dass bei der Studie vieles unterschlagen worden war, obgleich sie bis heute eine der wesentlichen Argumente der Befürworter für Pubertätsblocker ist: „Die Beweise sind weniger überzeugend, als es den Anschein hat: Die Zahl der Beobachtungen war deutlich geringer als 70, die berichtete Verringerung der Geschlechtsdysphorie hing von nicht messbaren Skalen ab, und in den Ergebnissen fehlt eine Patientin, die starb, weil die Unterdrückung der Pubertät eine riskantere Vaginoplastik erforderte“, so Biggs, der im weiteren Verlauf stichhaltig aufzeigt, dass die „Kluft zwischen dem in offiziellen Manifesten beschriebenen Protokoll und der tatsächlichen klinischen Praxis deutlich“ erkennbar sei. Reproduzieren ließen sich die positiven Ergebnisse nie mehr, eine Vergleichsstudie Jahre später in London kam zu gänzlich anderen Ergebnissen, die mehrere Jahre lang erst gar nicht publik gemacht wurden – erst auf Druck der Medien und des britischen Gerichts wurden die Daten schlussendlich veröffentlicht und zeigten auf, dass die Pubertätsunterdrückung in diesem Fall weder die Geschlechtsdysphorie noch das psychologische Funktionieren verbesserte.

Trotzdem wurde von der Gründerin der Utrechter Kinderklinik, Peggy Cohen-Kettenis, eine Senkung des Alters von Jugendlichen, denen Pubertätsblocker verabreicht werden sollte, immer weiter vorangetrieben, so Biggs. Bestätigt sind dabei Fälle von Mädchen, die früh Pubertätsblocker bekamen, weil sie “keine mädchenhaften Dinge“ tun wollten. Das "niederländische Protokoll" wurde 2006 in einem einflussreichen Artikel veröffentlicht und verbreitete sich angetrieben durch die positive Berichterstattung immer weiter – hinterfragt wurde es indes offenbar selten. Nach jeder einseitig positiven Berichterstattung stieg die Zahl der Anfragen an die Kliniken, beispielsweise nach einer Sendung 2011 bei Oprah Winfrey Television. Auch die Leiterin der Londoner Klinik Tavistock Polly Carmichael warb im britischen Kinderfernsehen der BBC für Pubertätsblocker und verbreitete ebenso die Mär davon, dass die Vergabe frei von Risiken sei. Mitte der 2010er Jahre galt das niederländische Protokoll dann als Standard für die Transgender-Medizin. Im Frühjahr dieses Jahres kritisierten auch mehrere deutsche Autoren die, aus ihrer Sicht einseitig positive Berichterstattung von Pubertätsblockern und einer Transition im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk. Die Autoren wurden daraufhin allesamt als transphob und menschenfeindlich beschimpft.  

Fakt ist laut Biggs, dass die massiven und teils lebenslangen Nebenwirkungen von Pubertätsblockern schlicht ignoriert wurden. Dabei hält der Professor aus Oxford fest: „GnRHa-Präparate sind für die Behandlung verschiedener Erkrankungen zugelassen, darunter frühe Pubertät bei Kindern, Endometriose und Uterusmyome bei Frauen sowie fortgeschrittener Prostatakrebs und sexuelle Abweichungen bei Männern. Für die Behandlung von Geschlechtsdysphorie wurden die Medikamente noch nie zugelassen.“ Laut  Biggs sind die negativen Auswirkungen auf den Aufbau der Knochenmasse inzwischen stichhaltig untersucht und bewiesen, auch wenn die "unzureichende Bildung von Knochenmasse" immer wieder kleingeredet wurde. Erst unter Druck wurde schlussendlich zugegeben, dass die Patienten "mit einer verminderten Knochendichte enden könnten, was mit einem hohen Osteoporoserisiko verbunden ist". Mehrere Studien belegten so eine breite Palette von Knochenbrüchen über ständige Schmerzen im Skelett bis hin zu schwerer Osteoporose bei Kindern.

Des Weiteren gibt es massive Hinweise darauf, dass Pubertätsblocker auch negative Auswirkungen auf die kognitive und emotionale Entwicklung sowie auf die sexuelle Funktion haben könnten. „Die Auswirkungen der Pubertätsunterdrückung auf die emotionale und kognitive Entwicklung sind schwieriger zu ermitteln, aber folgenreicher, da sie möglicherweise die Fähigkeit zur Einwilligung in die Einnahme geschlechtsübergreifender Hormone und Operationen beeinträchtigen könnten. In einem Fallbericht über eine Pubertätsunterdrückung, die kurz vor dem 12. Lebensjahr begann, wurde ein Rückgang des IQ um 10 Punkte nach 28 Monaten gemessen. Ein einziger Fall ist natürlich nicht aussagekräftig, aber es gibt ähnliche Ergebnisse von Kindern, die wegen frühzeitiger Pubertät mit GnRHa behandelt wurden“, so Biggs. Trotz inzwischen zahlreicher Vermerke von Ärzten werden auch die Auswirkungen auf die sexuelle Funktion bei Seite gewischt, was insofern überrascht, da bekannt ist, dass Männer, die GnRHa zur Behandlung von Prostatakrebs einnehmen, ihr erotisches Interesse vollständig verlieren. „Das Medikament ist daher für die chemische Kastration von Männern mit sexuellen Obsessionen zugelassen“, so Biggs weiter. Während bei männlichen Jugendlichen so offensichtlich die Libido komplett unterdrückt wird, wisse man noch gar nicht, welche Auswirkungen dies auf die sexuellen Funktionen bei Mädchen habe. In Studienergebnissen eines renommierten Forschers finden sich beispielsweise schon im Jahr 1996 Vermerke dazu, dass die Einnahme von Pubertätsblockern für Männer "sehr unangenehm sein könne"; eine solche Warnung lag seiner Empfehlung desselben Medikaments für Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie nicht bei, so Biggs.

Auch bei der Frage, wer überhaupt Pubertätsblocker bekommen solle, wurden die Grenzen offenbar immer mehr verwischt. Zu Beginn standen noch folgende Grundvoraussetzungen fest: Erstens sollte die Geschlechtsdysphorie bereits in der frühen Kindheit begonnen haben und sich mit dem Einsetzen der Pubertät verschlimmern. Zweitens sollte der Patient psychologisch stabil sein und nicht unter anderen psychischen Problemen leiden. Drittens sollte der Patient Unterstützung durch seine Familie haben. All das wurde nachweislich inzwischen vielfach unterlaufen, sowohl das Mindestalter wie beispielsweise auch eine erforderliche Unterstützung der Familie wurden untergraben und das Medikament wurde auch an psychisch labile Jugendliche verabreicht. Selbst die Vorreiterin der Pubertätsblocker, Cohen-Kettenis, kam bereits 1997 zu der Erkenntnis, dass „die meisten GID-Kinder unter 12 Jahren nicht zu Transsexuellen heranwachsen werden. Prospektive Studien mit GID-Jungen zeigen, dass dieses Phänomen eher mit späterer Homosexualität als mit späterem Transsexualismus zusammenhängt". Diese Ergebnisse wurden in späteren Veröffentlichungen laut Biggs dann heruntergespielt. Biggs dazu weiter: „Bekannt ist, dass die meisten Jugendlichen, die einer Pubertätsunterdrückung unterzogen wurden, homosexuell waren. Von den ersten 70 Jugendlichen, die zwischen 2000 und 2008 in die Amsterdamer Klinik überwiesen wurden und GnRHa erhielten, waren 62 homosexuell.“

Kritisch blickt der Professor so auch aktuell in die Zukunft: „Angesichts der Tatsache, dass es für Geschlechtsdysphorie keine objektive Diagnose gibt, ist das Potenzial für die Unterdrückung der Pubertät weitreichend. Als eine kürzlich durchgeführte Umfrage in einem amerikanischen Schulbezirk ergab, dass sieben Prozent der Schüler sich als ´geschlechtsspezifisch divers´ identifizieren, forderten die Autoren, dass alle ´Zugang zu geschlechtsspezifischer Betreuung´ erhalten, was in der Tat bedeutet, dass GnRHa auf Wunsch verabreicht wird.“ Setzt sich diese Entwicklung fort, so der Professor, könne es eine "neue Art des Menschseins" hervorbringen: einen geschlechtslosen Erwachsenen: „Dies ergibt sich aus der Prämisse, dass die angeborene Pubertät eine Art Krankheit sein kann und daher das Versäumnis, eine irreversible Entwicklung von sekundären Geschlechtsmerkmalen zu verhindern, als unethisch angesehen werden kann. Obwohl das niederländische Protokoll GnRHa als vorbereitende Phase vor der Einnahme geschlechtsübergreifender Hormone vorsieht, ist die logische Schlussfolgerung, dass Hormone beider Geschlechter als Krankheitsüberträger behandelt werden können.“ Biggs untermauert dies direkt mit einem Beispiel: „Ein australisches Mädchen, Phoenix, wurde im Alter von 5 Jahren als nicht-binär definiert und nahm ab dem Alter von 11 Jahren GnRHa ein. Im Alter von 16 Jahren weigerte sich Phoenix, Testosteron einzunehmen, weil ´der Verbleib in einem androgynen, vorpubertären Zustand die einzige Möglichkeit ist, wie ihr Körper ihre nicht-binäre Geschlechtsidentität wirklich widerspiegeln kann´. Die Ärzte stimmten einer dauerhaften Pubertätsunterdrückung zu, trotz der bekannten schädlichen körperlichen Auswirkungen - vor allem auf die Knochendichte - und trotz der unbekannten Auswirkungen auf die emotionale und kognitive Entwicklung, die Phoenix' Einwilligungsfähigkeit beeinträchtigen würden. Phoenix ist nicht die einzige Person, die eine unbefristete Unterdrückung der Pubertät anstrebt.“

 

Schlussendlich fasst Biggs zusammen: „Die Beweise für den Nutzen der Pubertätsunterdrückung müssen als dürftig eingestuft werden. Entscheidungen von Klinikern haben die Sammlung solider Beweise verhindert. Die niederländischen Befürworter von GnRHa verzichteten auf die Durchführung einer randomisierten Kontrollstudie (…) Nicht erfolgreiche Ergebnisse werden nicht veröffentlicht. Diese Voreingenommenheit wird durch den Versuch der Londoner Klinik veranschaulicht, die Ergebnisse der Amsterdamer Klinik zu wiederholen: Die fehlende Verbesserung durch GnRHa erschien erst durch Druck, nachdem die Klinik vor dem High Court of Justice für England und Wales verklagt worden war.“ Inzwischen wurde durch randomisierte Kontrollstudien an nichtmenschlichen Tieren laut Biggs eindeutig nachgewiesen, dass Pubertätsblocker irreversible Schäden verursachen.  

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