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PD Dr. med. Christoph Boesecke // © privat/Archiv

PD Dr. med. Christoph Boesecke Alternative HIV-Therapie mit Spritzen

id - 30.03.2021 - 15:00 Uhr

In der Therapie von HIV änderten sich im Laufe der Jahre immer mal wieder die Ansätze. Derzeit wird viel über eine duale HIV-Therapie oder 2DR (2DRugs) gesprochen. Diese bedeutet, dass es statt wie bisher üblich drei verschiedene Wirkstoffe nur noch zwei geben soll. Was bedeutet dieses für die betroffenen Patient*innen? Was sind die Vorteile? Gibt es Nachteile? SCHWULISSIMO sprach darüber mit PD Dr. med. Christoph Boesecke. Er ist als Oberarzt in der Infektiologie und Immunologie der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Bonn tätig. Seine Forschungsschwerpunkte beinhalten Komorbiditäten und Koinfektionen bei HIV mit einem Schwerpunkt auf der akuten Hepatitis C. Zudem ist er Mitglied im Vorstand der Deutschen AIDS-Gesellschaft und ebenso Mitglied im Governing-Board der europäischen AIDS-Gesellschaft „European AIDS Society“ (kurz: EACS).

Lange Zeit gab es nur einen Wirkstoff gegen HIV, gegen den das Virus innerhalb von wenigen Wochen resistent wurde, d.h. die Viren vermehrten sich trotz regelmäßiger Medikamenten-Einnahme. Mit dem Wechsel hin zu zwei Wirkstoffen dauerte es schon länger, bis HIV resistent wurde. Erst durch die Kombination von drei Substanzen gelang der Durchbruch. Mittlerweile besteht ein Standard-Regime aus zwei Wirkstoffen aus der Klasse der NRTI (auch Nukes genannt) plus einen dritten Wirkstoff aus der Klasse der Integrasehemmer, Proteasehemmer oder NNRTI. Dieses Prinzip funktioniert gut. Wieso sollte man also bewährte Therapien plötzlich ändern?
Der Durchbruch kam 1996, als es Proteasehemmer gab, die zusammen mit zwei NRTIs endlich für eine deutliche bessere Wirksamkeit der Therapie gesorgt haben. Mittlerweile gibt es aber so viele verschiedene, hochwirksame Einzelmedikamente, dass die Idee tatsächlich ist, dass man bei modernerer Therapie nur noch zwei Medikamente benötigt, um eine adäquate Viruskontrolle zu erreichen. Dieses insbesondere bei HIV-positiven Menschen, die schon auf Therapie sind und sozusagen "nur noch" eine Erhaltungstherapie brauchen, da sie ja sehr oft schon unter der Nachweisgrenze sind. Der Hintergrundgedanke ist dabei der, dass je weniger Medikamente beziehungsweise Wirkstoffe eingenommen werden müssen, desto höher die Chance, dass auch mögliche Nebenwirkungen minimiert werden können. Einschränkend muss man allerdings sagen, dass auch die aktuell eingesetzten Dreifachkombinationstherapien bereits sehr nebenwirkungsarm sind. Insbesondere gibt es heutzutage mit den Integrasehemmern der zweiten Generation wirklich sehr gut verträgliche Substanzen. 

Welche Maßstäbe können denn die Ärzte heutzutage anlegen, um das passende Regime (Anm. der Redaktion: Unter einem Regime versteht man hier die Kombination verschiedener Wirkstoffe zur Behandlung einer Krankheit – ganz gleich, wie viele Tabletten dabei verwendet werden) für die Patient*innen zu finden?
Grundsätzlich sollte jede HIV-Therapie individuell auf den/die HIV-Positive*n zugeschnitten sein. Das findet man am besten im gemeinsamen Gespräch mit der/dem HIV-Behandler*in heraus (z.B. Arbeitsroutine, familiäre Umstände, Begleiterkrankungen etc.) Wenn man schon sehr lange in HIV-Therapie ist, kann sich sicher bei einigen HIV-Positiven auch eine gewisse "Tabletten-Müdigkeit" einstellen. Also beispielsweise, dass die Patient*innen sagen, sie können die Tabletten nicht mehr sehen oder aber, dass sie schluderig bei der Einnahme werden. Hier kann eine Therapie mit Spritzen natürlich eine Alternative sein. Kleiner Nachteil dabei: Diese Therapie muss dann alle acht Wochen gespritzt werden, was bedeutet, dass die Patient*innen dann häufiger zu ihrer Ärzt*in kommen müssen und hier natürlich sehr diszipliniert sein müssen, da eine Regelmäßigkeit sehr wichtig ist, um eine Resistenzentwicklung bei Unterdosierung zu vermeiden.

Die Spritze in das Hinterteil als Alternative // © Sunlight19

Wie wird dabei berücksichtigt, dass die Patient*innen den auf ihren Alltag zugeschnittene Therapie findet?
Früher war es ja oft so, dass man seine Patient*innen lange Jahre kannte, also auch viel über Beruf, Hobbys, die Haustiere, Freunde, Familie und anderes wusste. Heutzutage ist es oft so, dass man die Patient*innen viel kürzer kennt, da wir mittlerweile jede neu diagnostizierte HIV-Infektion zeitnah behandeln. Da ist es dann erst einmal wichtig zu schauen, was das für ein Mensch ist. Also was macht er/sie beruflich, wie sieht die private Situation aus. Wohnt jemand allein oder vielleicht in einer WG. Sind die HIV-Medikamente also potentiell für viele sichtbar oder nicht. Da kommt mit dem Stigma ein nicht zu vernachlässigender Aspekt mit ins Spiel. Letzteres ist vor allem auch bei Geflüchteten in Massenunterkünften ein großes Problem. All sowas muss man sich innerhalb kurzer Zeit zusammen erarbeiten. Auch wenn eine HIV-Therapie oft kein Notfall ist, möchten die Patient*innen ja doch relativ zeitnah mit der Therapie beginnen.

Während man früher den Eindruck gewinnen konnte, dass gewisse HIV-Regime eher fragil sind, scheinen die modernen Therapien eher robust zu sein. Geht es bei den neuen Ansätzen dabei „nur“ um Wirksamkeit und Sicherheit?
Nein, natürlich nicht. Es ist mittlerweile Standard, dass in Studien auch immer die sogenannten "Patient Related Outcomes" (Patientenbezogene Ereignisse) eine große Rolle spielen. Hier werden mittlerweile immer auch "Zufriedenheitsfragebögen" in die Studien mit eingebaut, um eben neben den Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der Therapien auch die Erfahrungen der Studienteilnehmer mitaufzunehmen.

Viele haben sicher auch Angst vor auftretenden Resistenzen. Mit zunehmendem Alter können zudem ja auch weitere zu behandelnde Krankheiten hinzukommen. Was können Behandler und Patient in solchen Fällen tun, um diese zu vermeiden?
In der Tat geht es bei heutzutage zum Glück deutlich älter werdenden HIV-Patient*innen mittlerweile in der HIV-Sprechstunde vor allem auch um eventuell neu hinzukommende weitere Krankheiten wie beispielsweise Diabetes, Herzerkrankungen oder Bluthochdruck. Hier muss man dann genauer schauen, wie sich da die verschiedenen Medikamente mit der HIV-Therapie in Einklang bringen lassen, ohne dass es zu Wechselwirkungen kommt und durch dann zu niedrige Medikamentenspiegel im Blut Resistenzen entstehen. Daher lieber einmal kurz mit der/dem HIV-Behandler*in telefonieren, wenn ein neues Medikament verordnet worden ist.

In Sachen Technik möchte man gerne immer „Up to Date“ sein, sei es beim neuesten Handy oder bei anderen technischen Spielereien. Warum tun sich aber noch immer viele Patient*innen schwer, sich auf Neues einzulassen? Und vor allem, wie weiß der Patient, ob seine eigentlich gut laufende Therapie mit einem moderneren Regime nicht noch besser laufen könnte und es Zeit zum Wechsel wäre oder ob er doch beim für ihn bewährten bleiben sollte?
Mittlerweile verfügen wir in der HIV-Therapie über mehrere "Einpillen-Therapien", wo also die unterschiedlichen Wirkstoffe in einer Pille zusammengefasst wurden. Unter diesen Therapien ergeben sich im Klinikalltag nur noch selten Momente, wo Patienten wegen schwerwiegender Nebenwirkungen umgestellt werden wollen oder müssen. Hier kann dann über den Einsatz von dualen Therapien entweder als Tablette oder als Spritzen nachgedacht werden. Dazu gibt es aber keine Faustregel, auch dies sollte im Einzelgespräch zwischen Patient*in und Behandler*in abgewogen werden.  

Für wen kommt denn die neue duale Therapie überhaupt in Frage. Sie ist ja nicht automatisch für alle Patient*innen gleichermaßen geeignet?
Es gibt einige Ausnahmen, bei denen eine duale Therapie mittels Tabletten oder Spritzen nicht gegeben werden sollte: Wenn Resistenzen gegenüber den einzusetzenden Wirkstoffen bekannt sind oder vermutet werden müssen, wenn eine chronische Hepatitis B zusätzlich vorliegt und auch wenn jemand Blutverdünner nehmen muss, weil er z.B. einen Herzinfarkt hatte. Dann sind die Spritzen generell eher schlecht. Dies allerdings weniger aufgrund der Therapie selbst, sondern wegen der erhöhten Blutungsneigung, wenn die Medikamente in die Muskeln gespritzt werden müssen.

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