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Blind auf dem linken Auge?
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Blind auf dem linken Auge Dürfen wir einmal ehrlich darüber reden, dass homophober Hass in Berlin auch von Migranten und Muslimen ausgeht?

ms - 21.07.2023 - 12:00 Uhr

Ein Kommentar von Michael Schmucker

Es gibt Hass und Gewalt von arabischen, türkischen und muslimischen jungen Männern in Deutschland gegen Schwule und Lesben – und das ist ein Problem. Ein einfacher Satz, will man meinen, doch bis heute scheint es gerade im politisch linken Spektrum in der Community unmöglich zu sein, darüber offen zu sprechen, ohne sich sofort dem Vorurteil von Rassismus und Rechtsextremismus ausgesetzt zu sehen.

Schwulenklatschen bei Christen?

Anders lässt sich das peinliche Schauspiel kaum interpretieren, das unlängst der neue Queer-Beauftragte der Regenbogenhauptstadt Berlin, Alfonso Pantisano, in einem Interview mit der Zeitung Welt vollführte. Beinahe scheint man Pantisano sich dabei körperlich winden zu sehen, während man das Interview liest – und der „böse“ Welt-Redakteur bohrte immer wieder nach, brach aktuelle Studien ins Gespräch ein, doch auf all das wollte Pantisano nicht wirklich eingehen. Homosexualität sei nicht nur im Islam eine Sünde, sondern „mindestens genauso“ auch in der katholischen Kirche. Wer kennt sie nicht, die Gruppen junger hellhäutiger männlicher Christenbengel, die mit dem goldenen Kreuzanhänger um den Hals in Berlin tagtäglich in der Innenstadt unterwegs sind und Lust auf „Schwulenklatschen“ haben?

Sachliche Diskussionen über Hasskriminalität?

„Es gibt genauso viele Italiener oder Deutsche, die queere Menschen angreifen“, sagt Pantisano weiter. Ob es „genauso viele“ sind, darf gerne eifrig diskutiert werden, die Statistik gibt das nicht wirklich her, doch ist das im Grunde eigentlich Beiwerk, denn am Ende steht die wichtigere Frage: Und was soll uns das jetzt sagen? Es scheint gerade im Spektrum von Hasskriminalität gegenüber Homosexuellen, die von Menschen mit Migrationshintergrund ausgeht, inzwischen übliche Praxis zu sein, mit dem Finger woanders hinzuzeigen – schau, auch hier gibt es Probleme. Und die Rechtsextremen sind auch nicht gerade Freunde von Schwulen. Das ist alles richtig, verschleiert aber nur erneut das zuerst angesprochene Problem – warum also dürfen wir darüber offenbar nicht einmal klar, faktenbasiert und sachlich diskutieren?

Das Problem beginnt an den Schulen

Im letzten Jahr kam der Verein DEVI (Demokratie und Vielfalt) im Auftrag des Bezirksamtes Neukölln zu dem Schluss, dass es in Berliner Problembezirken an neun von zehn Schulen kaum mehr möglich ist, einen normalen Unterricht abzuhalten, weil Themen wie Homosexualität, Sexualkunde oder die Geschichte der Evolution von muslimischen Schülern radikal abgelehnt werden. Die Reaktion? Dem Verein, der zuvor zehn Jahre Demokratiebildung und Rechtsextremismus-Prävention an Schulen betrieben hatte, wurden nach Auskunft des Bezirksbürgermeisters von Berlin Neukölln, Martin Hikel, die Fördergelder gestrichen, die Studie selbst als „antimuslimisch“ und „sehr gefährlich“ verunglimpft.

Die stellvertretende Vorsitzende des Berliner Schulleitungsverbandes, Karina Jehniche, erklärte indes: „Große Teile meiner Schüler leben in einer Parallelgesellschaft, die wir jetzt schon nicht mehr erreichen.“ Im November 2020 unterzeichneten über 400 Berliner Pädagogen einen Offenen Brief an die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD): „Das Wirken des politischen Islams ist nicht auf Frankreich und Österreich beschränkt. Auch in Deutschland und in Berlin ist der Einfluss des politischen Islams deutlich wahrzunehmen und in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Der  Chef des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger sagte: „Weder die zuständigen Ministerien noch die Schulbehörden wissen, wie groß das Problem ist. Es müssen Experten an die Schulen, um sie beim Kampf gegen islamistische Einflüsse zu unterstützen.“

Augen zu bei der Berliner Polizei  

Ebenso noch während der damaligen rot-grün-roten Regierung in Berlin wurde entschieden, dass die Berliner Polizei in ihren digitalen Akten bei jungen Tatverdächtigen unter 21 Jahren keinen Vermerk mehr über einen Migrationshintergrund machen darf. Die Begründung der Senatsverwaltung damals: „In der polizeilichen Praxis hat dieses singuläre Kriterium für Berlin jedoch keine Relevanz entfaltet.“ Ein Jahr zuvor wurde bereits entschieden, dass die LGBTI*-Opferberatungsstelle Maneo keine anonymisierten Daten mehr von der Polizei bekommt, wenn es um LGBTI*-feindliche Hasskriminalität geht. Nach 25 Jahren guter Zusammenarbeit war man zu dem überraschenden Schluss gekommen, dass das aus Datenschutzgründen jetzt nicht mehr geht. Trotzdem meldete Maneo zuletzt auch für 2022 einen deutlichen Anstieg der Gewalttaten gegenüber Schwulen, Lesben und queeren Menschen – das deckt sich mit den landesweiten Zahlen.

„Ekelhaft“, wenn Schwule sich küssen

Es entsteht dabei immer mehr das Bild, dass man in Berlin nicht hinsehen will, obwohl gerade die gewaltbereite Ablehnung von migrantischer Seite omnipräsent ist. Zahlreiche Studien untermauern das, beispielsweise zuletzt vom ARD-Magazin „Report Mainz“ – die Umfrage zeigte auf, dass Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit besonders von Muslimen stark abgelehnt werden. 65 Prozent der Muslime finden es beispielsweise „ekelhaft“, wenn Schwule sich küssen. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigte, dass islamistische Gruppierungen immer offener gegen Homosexuelle hetzen. Bereits vor einigen Jahren belegte sogar die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass besonders religiös geprägte Menschen mit Migrationshintergrund „signifikant negativer“ zu Homosexualität eingestellt sind. Die Liste lässt sich weiter fortführen.

Natürlich bedeutet das nicht, dass alle Muslime Schwule hassen – keineswegs. Es macht auch einen sehr großen Unterschied, ob Muslime in Deutschland geboren oder hierhin eingewandert sind, wenn es beispielsweise um ihre Einstellung zur gleichgeschlechtlichen Ehe geht (Religionsmonitor 2019, Bertelsmann Stiftung). Aber klar ist auch, wir haben ein Problem mit Hassgewalt gegenüber der LGBTI*-Community, die von arabischen und muslimischen, zumeist jungen Männern ausgeht.

Der Vize-Chef der Deutschen Bundespolizeigewerkschaft, Manuel Ostermann, sagte dazu gegenüber der Bild-Zeitung: „In Deutschland, besonders in Berlin, werden seit Jahren immer häufiger Gewalttaten gegen Homosexuelle bekannt, deren Täter einen arabischen und/oder radikal muslimischen Hintergrund haben. Es ist eben nicht selten, dass Intoleranz eben genau aus dieser kleinen, aber radikalen Community kommt. Da, wo die Scharia Anwendung findet, wo Religion über unsere Verfassung steht, genau da ist Homophobie sehr wohl verbreitet.“

Versteckspiel außerhalb der Szene?

Dürfen wir also bitte darüber reden, Herr Pantisano? Kann die neue Berliner Regierung sich endlich einmal des Themas ernsthaft annehmen, das gerade in der bunten Regenbogenhauptstadt so stark negativ ausgeprägt ist? Das lässt sich in Berlin überall erleben, zuletzt beispielsweise beim Lesbisch-Schwulen Stadtfest vor wenigen Tagen erst. Geschützt in der Community war die Feierlaune groß. Machen sich Schwule und Lesben aber auf den Weg nach Hause und müssen dafür vielleicht durch die halbe Stadt fahren, werden plötzlich immer öfter regenbogenfarbene Hemden mit Jacken verdeckt, Schmuck abgenommen und immer mehr darauf geachtet, nicht sofort als LGBTI* wahrgenommen zu werden. Herr Pantisano war auch vor Ort, es hätte ihm auffallen können.

Das gleiche Spiel werden wir im Umkreis des Berliner CSD an diesem Samstag erleben können. Doch der Berliner Queer-Beauftragte fragt indes: „Welchen Unterschied macht es, ob ich von einem Araber, einem Italiener oder einem Deutschen auf die Nase gehauen werde? Das Problem sind nicht türkisch- oder arabischstämmige junge Männer, sondern die diskriminierenden und ausgrenzenden Strukturen, in die sie hineinwachsen.“ Diese Strukturen erlaubten so beispielsweise auch nicht, dass Migranten arbeiten dürften. Pantisano: „Sie müssen den ganzen Tag rumlungern und warten auf die Erlaubnis, ein Leben führen zu dürfen. Und sehen, wie wir alle schön fröhlich durch unser Leben laufen mit Einkaufstüten und schönen Klamotten.“ Das klingt schon stark nach einer Täter-Opfer-Umkehr, auch wenn Pantisano das im Interview nicht so sehen will.

Blind auf dem linken Auge?

Vertreter von CDU und FDP schüttelten erstaunt den Kopf über das jüngste Verhalten des neuen Queer-Beauftragten, der den Eindruck macht, auf dem linken Auge völlig blind zu sein. Es ist auch schwer möglich, dass all die Vorfälle der letzten Zeit einfach spurlos vorübergegangen sind. Im letzten Jahr erschlägt der Tschetschene Nuradi A. den Trans-Mann Malte beim CSD in Münster. Ebenso im letzten Jahr attackieren arabische Jugendliche eine Trans-Frau in Bremen und schlagen sie krankenhausreif.

Bei der Regenbogenparade in diesem Jahr in Wien wollten offenbar drei junge Heranwachsende mit österreichischem Pass und Wurzeln in Bosnien und Tschetschenien ein Attentat mit Bomben, Messern, Waffen und Fahrzeugen verüben und werden nur Stunden zuvor vom Staatsschutz gestoppt. Sie sollen Anhänger des Islamischen Staates sein und sich online radikalisiert haben. Bei fast jedem CSD in Deutschland kommt es in diesem Jahr zu Anfeindungen, in Berlin sind Vorfälle an der Tagesordnung. Das Gefühl ist längst auch in der schwul-lesbischen Community angekommen – bei der Wiederholungswahl in Berlin im Frühjahr dieses Jahres konnte die CDU massiv Stimmen hinzugewinnen, auch in bisher unbekannter Weise in den schwul-lesbischen Kiezen. Ihr Kernthema: Mehr Sicherheit in der Stadt.

Wir müssen also dringend endlich ehrlich darüber reden, was in Berlin und in ganz Deutschland geschieht, denn zu den bevorzugten Opfergruppen gehören eben gerade Schwule, Lesben, Trans-Menschen und Frauen. Berlin hat einen eigenen Queer-Beauftragten, das klingt erst einmal gut, allerdings nur, wenn dieser die Probleme auch tatsächlich benennen und anpacken kann und will. Oder, wie heißt es so schön beim ZDF: Mit dem Zweiten sieht man besser. Also, Augen auf, Herr Pantisano.

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