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Direktor des Kyiv Pride erhebt schwere Vorwürfe // Lenny Emson

Kyiv Pride erhebt schwere Vorwürfe "Die Russen werden uns vergewaltigen, unsere Genitalien verstümmeln und uns ermorden. Wir sind für sie keine Menschen!“

ms - 07.04.2022 - 13:15 Uhr

Der Direktor des Kyiv Pride Lenny Emson hat in einem Interview mit LGBTQ Nation schwere Vorwürfe erhoben und Ängste verbalisiert, demnach die LGBTI*-Community in der Ukraine immer mehr in Vergessenheit gerät. Emson ist bigender und hat Angst davor, dass queere Menschen in der Ukraine immer mehr „unsichtbar“ werden – für die Medien ebenso wie für die restliche Bevölkerung.

Emson zufolge wurde die LGBTI*-Community in der ukrainischen Hauptstadt und im ganzen Land in den Tagen nach dem Einmarsch der russischen Soldaten immer mehr übersehen und beinahe ganz vergessen. Ein frustrierendes Erlebnis für den Direktor des Kyiv Pride – eine Frustration, die ihn noch mehr anspornte, sich für die Community einzusetzen. Emson selbst war kurz vor dem Ausbruch des Krieges bei seiner Ehefrau in Kanada und hätte vor Ort bleiben können, entschloss sich aber, zurück in die Ukraine zu gehen, um zu helfen: "Ich habe ihr gesagt, dass ich zurückkehre; ich kann nicht einfach dasitzen und zusehen."

Was Emson dann erlebte, bezeichnet er im Interview kurz als „höllischen Albtraum“ und meint weiter: "Die Nation war unter Beschuss. Als Ukrainer mussten wir uns also alle auf das Wohlergehen unseres Landes konzentrieren, aber als Direktor von Kyiv Pride hatte ich eine zusätzliche Verantwortung. Unsere queeren Bedürfnisse wurden nicht bedacht. Wir haben viele Fortschritte gemacht, aber während der Invasion wurden die Gesundheits- und Sicherheitsprobleme, die noch immer in unserer Community stark ausgeprägt sind, nicht weiter angegangen. Wir mussten sie von innen heraus selbst angehen.“

Emson und rund einhundert freiwillige Mitarbeiter der LGBTI*-Organisation Kyiv Pride organisierten Geld- und Sachspenden, vernetzten sich mit anderen queeren Gruppen des Landes und versuchten beispielsweise auch, medizinische Versorgung für HIV-Patienten oder transsexuelle Menschen zu gewährleisten. „Als wir die ganzen Opfer aus unserem Volk gesehen haben, haben wir verstanden, dass niemand kommt, um uns zu retten!“, so Emson weiter.

Der Kampfeswille war dabei durchaus erfolgreich – die Geldspenden über die eigene Facebook-Seite sind überwältigend, tausende LGBTI*-Menschen werden im ganzen Land aktuell mit Nahrung und einer Unterkunft versorgt, in der sie sich gerade auch als queere Personen sicher fühlen können. Dieser Kampfeswille erinnert Emson dabei auch immer wieder an die Anfangszeiten der Organisation – beim ersten Pride-Marsch in Kiew 2012 nahmen gerade einmal rund 100 Menschen teil, letztes Jahr kamen über 7.000 Besucher. „Als wir uns 2012 auf diese erste Versammlung vorbereiteten, sagte uns die Polizei noch, dass wir auf uns allein gestellt seien. Sie konnten und wollten uns nicht beschützen - letztes Jahr marschierten die Polizei und das Militär beim Pride mit uns. Wir wissen also, was Herausforderungen sind, und wir wissen, wie man etwas erreichen kann.“

In den letzten Jahren hat die queere Community auch an anderer Stelle viel erreicht – kurz vor der russischen Invasion arbeitete die LGBTI*-Organisation beispielsweise daran, dem Parlament einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der die gleichgeschlechtliche Ehe legalisieren sollte.

Umso wichtiger, dass die queeren Menschen in der Ukraine jetzt nicht in Vergessenheit geraten, so Emson, denn eines sei klar: "Die Russen werden uns vergewaltigen, unsere Genitalien verstümmeln und uns ermorden. Wir sind für sie keine Menschen, wir sind für sie weniger als Menschen. Deshalb müssen wir in dieser Zeit, in der die ukrainische Armee unser Land schützt, unseren Teil dazu beitragen, uns selbst zu schützen." Angesichts des bevorstehenden Pride-Monats Juni und der Tatsache, dass es auf ukrainischem Boden keine Feierlichkeiten geben wird, ruft Emson zur Solidarität auf: 

"Ich bitte jede Pride-Organisation, jede LGBTI*-Organisation in den Vereinigten Staaten und in der ganzen Welt, uns die Hand zu reichen. Bitte, bitte tragt unsere Flagge, bitte tragt unsere Banner, bitte behaltet uns in euren Gedanken und Herzen während eurer Paraden. Wir brauchen Geld, wir brauchen jede Hilfe, aber wir brauchen vor allem, dass wir auf dem langen Weg, der vor uns liegt, nicht vergessen werden. Der Krieg ist nicht vorbei, er endet nicht, und im Juni ist ein Zeichen der Einheit nötig! Vergesst uns nicht!“ 

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