Direkt zum Inhalt
Aljosha Muttardi von vegan ist ungesund über Veganismus und Homosexualität

Homosexualität und Veganismus Schwuler Aktivist Aljosha Muttardi von vegan ist ungesund

km - 02.03.2021 - 10:00 Uhr

Aljosha Muttardi setzt sich auf dem YouTube-Kanal „vegan ist ungesund“ humorvoll für Veganismus ein. Unter anderem interviewte der homosexuelle Arzt dabei Menschen auf dem CSD in Hamburg und schlug mit seinem YouTube-Kollegen Gordon die Brücke zwischen Homosexualität und Veganismus. Mit SCHWULISSIMO sprach der Aktivist über Sexualität und darüber, dass Veganismus mehr als ein Ernährungstrend ist – nämlich eine deutliche Systemkritik.

 

Du betreibst mit Gordon Prox einen YouTube-Kanal mit dem irreführenden Namen „vegan ist ungesund“ – warum funktioniert der Name so gut für beide Lager (Team Vegan und Team Fleisch)?
Ich weiß gar nicht, ob der Name für beide Lager funktioniert. Aber die Intention war damals, eine breite Masse zu erreichen. Also nicht unbedingt nur Veganer, sondern Menschen, die sich noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Wir haben dann geschaut, was uns der Such-Algorithmus bei YouTube vorschlägt, wenn man „vegan ist…“ eingibt und das erste Ergebnis war „vegan ist ungesund“. Seitdem gab es viele Menschen, die nach Gründen gegen Veganismus gesucht haben und auf unsere Videos gestoßen sind – da sind sie dann in die Falle getappt. (lacht)

Gab es auch schon Kommentare von Menschen die böse waren, weil sie mit etwas anderem gerechnet haben?
Nein, wir haben Feedback und großen Dank von denen bekommen, die sich wegen uns mit dem Thema Veganismus beschäftigt und ihr Leben dadurch zum Positiven verändert haben.

Glaubst du Humor macht euch bei dieser ernsten Thematik so erfolgreich und überzeugend?
Ja. Dadurch, dass wir uns selbst nicht so ernst nehmen, bringen wir ernste Themen leichter an die Menschen. Ich merke das auch an mir selbst, wenn ich Videos schaue. Wenn man das Gefühl hat, dass diese Person einen abholt und man zusammen lachen kann, hat es schon einen Effekt. Diese Dynamik macht einen Großteil unseres Erfolgs, denke ich.

Vegan ist ungesund (Gordon links und Aljosha rechts)

Hast du das Gefühl, dass dir die Menschen eher glauben oder zuhören, wenn sie wissen das du Arzt bist?
Ganz klares Ja. Ich habe nicht nur das Gefühl, ich weiß, dass es so ist. Ich sehe oft Kommentare wie „Geht mal auf den Kanal von „vegan ist ungesund“, der ist Arzt!“. Obwohl wir auf unserem Kanal schon erklärt haben, dass Ernährung nicht Teil des Medizinstudiums ist. Ich habe schon ein tieferes Verständnis von der Pathophysiologie (Anm.: Lehre von den krankhaft veränderten Körperfunktionen) hinter vielen Dingen, davon wie der Körper funktioniert und von der Verdauung. Aber was Ernährung explizit angeht, fehlt etwas. Menschen denken aber oft in Schubladen, um Dinge besser einzuordnen.

Wissenschaftliche Studien zeigen die Vorteile einer pflanzlichen Ernährung für den menschlichen Körper. Trotzdem ist das bei vielen Ärzten und im Medizinstudium noch nicht angekommen. Wo liegt da die Verantwortung?  Bei den Ärzten oder den Universitäten?
Also ich finde, dass der Veganismus eine Systemkritik ist - das bleibt auch hier der Fall. Es ist schwierig einer bestimmten Personengruppe die Schuld an einem System zu geben, das verkorkst ist. Ich bin auch im Laufe meiner Recherche auf Dinge gestoßen, die ich nicht wusste und würde nicht sagen, dass ich Schuld daran hatte, weil ich ignorant war. Die Frage ist, was man mit seinem Wissen macht und wo man es hernimmt. Selbst wenn ich jetzt eine Ausbildung zum Ernährungsmediziner machen würde, würden mir da Sachen beigebracht werden, mit denen ich nicht einverstanden wäre. Ich denke das ganze System muss einfach reformiert werden. Das funktioniert nur, wenn wir mehr Aufklärungsarbeit leisten und mehr darüber sprechen.

Nutzt du deine Reichweite als veganer Aktivist auch für LGBTI*-Themen oder ist es schon auslaugend genug, sich für ein Thema einzusetzen?
Der Aktivismus- und Nachhaltigkeitsbereich ist ein anstrengender, weil er letztlich eine Tür zum Bewusstsein öffnet. Deshalb finde ich es unglaublich wichtig, über viele Themen zu sprechen und nicht einfach zu sagen „Hey mein Thema ist nur Veganismus“. Man sollte das so ganzheitlich wie möglich betrachten. Stichwort Intersektionalität (Anm.: Überschneidung und Gleichzeitigkeit von verschiedenen Diskriminierungskategorien gegenüber einer Person). Es gibt viele Schnittstellen beim Aktivismus und viele Menschen, die von mehreren Diskriminierungen betroffen sind. Ich wünsche mir einfach mehr Sichtbarkeit. In meiner Kindheit hatte ich keinen, der mir gesagt hat „Es ist okay, schwul zu sein“. Ich wusste nicht mal, was Begriffe wie „queer“ und „LGBTI*-Community“ überhaupt bedeuten. Wenn ich jetzt die Möglichkeit habe, genau das für andere zu sein, finde ich das mega cool. Gleichzeitig kann es aber auch super ermüdend sein, weil eine Flut an Informationen und auch Meinungen auf einen einprasselt und irgendwer hat immer etwas zu kritisieren oder bemängeln.

Veganer aus Überzeugung

Was bedeutet Veganismus?
Das Problem ist, dass heutzutage gesagt wird, dass vegan ein Trend ist und das stimmt. Vegan ist vor allem ein Ernährungstrend, allerdings ist der Ernährungstrend eine pflanzliche Ernährung. Veganismus hat gar nichts mit einer Diät zu tun. Vegan leben kann komplett ungesund sein. Es kann ja sein, dass du dich nur von veganen Ersatzprodukten und Ketchup ernährst. Veganismus ist eine ethisch motivierte Bewegung, in der es darum geht Leid an Tieren und Ausbeutung von Tieren so gut es geht und so umsetzbar wie möglich zu reduzieren.

Das bedeutet, man muss und kann nicht perfekt sein. In der heutigen Welt ist es unmöglich alles 100-prozentig richtig zu machen. Das kannst du auf alle Bereiche des Lebens beziehen. Das Wichtigste ist, dass wir uns damit befassen und uns Mühe geben unser Bestes zu geben.

Muss dein Partner vegan leben?
Ich hätte überhaupt kein Problem damit, mit einem Partner zu leben, der zu Beginn nicht vegan lebt. Ich gehe sogar davon aus, dass ein neuer Partner vermutlich nicht vegan wäre, weil das eben nicht die Norm ist. Das heißt aber nicht, dass ich das auf Dauer könnte. Es ist für mich eine Art Grundsatz. Wenn er sich mit mir beispielsweise das erste Mal mit Rassismus beschäftigt und mich irgendwann fragt, ob es okay wäre, wenn er weiterhin rassistisch wäre, dann würde ich sagen: „Nein. Wenn er sich umfassend damit auseinandergesetzt hat, erwarte ich schon eine Verbesserung.“ Ich möchte jetzt nicht Veganismus mit Rassismus vergleichen, aber es geht einfach um die grundethische Einstellung, die ich mit mir herumtrage und die ich auch erst lernen musste. Ich habe auch erst verstehen müssen, wie das ist. Diese Zeit muss man dem Partner geben. Ich glaube man verliebt sich aber sowieso in Menschen und nicht in irgendwelche genauen Eigenschaften.

Aljosha Muttardi

Hat dich deine Homosexualität bzw. die Erfahrungen, die du dadurch gemacht hast, gestärkt oder auf den Aktivismus vorbereitet?
Für den Aktivismus, nein. Nicht unbedingt. Das ist eine spannende Frage. Was ich dadurch mehr verstehe ist, dass Menschen, die diskriminiert werden, oft ein größeres Verständnis für verschiedene Themen aufbauen können. Was wir alle manchmal machen müssen, ist ein Perspektivwechsel, das fällt durch die Homosexualität bzw. Diskriminierung denke ich leichter.

Auf dem CSD hast du Aktivismus betrieben und Menschen über Veganismus aufgeklärt. In welchem Zusammenhang steht die LGBTI*-Community zum Veganismus?
Ich will Veganismus nicht mit Sexismus oder Queerfeindlichkeit gleichsetzen, aber ich finde, dass sie irgendwo Schnittstellen haben. Es ist schnell zu erkennen, dass alle Formen der Diskriminierung bestimmte Merkmale als Gründe für Ausgrenzung nutzen. Wegen genau dieser Eigenschaften bist du, weil du nicht der vordefinierten Norm entsprichst, dann weniger wert. Das ist sehr tief in Kultur, Bildung und Institutionen verankert. Überall wird uns ein Bild einer bestimmten „Normalität“ vermittelt. Und das betrifft beispielsweise unsere Sexualität, aber auch unsere Ernährung. Aktivismus, egal an welcher Stelle, ist meistens eine Systemkritik und das haben beide Themen gemeinsam.

Kann man Menschen und Tiere miteinander vergleichen und wenn ja warum?
Ja, man kann sie vergleichen. Es geht dabei nicht darum, sie auf eine Ebene zu stellen und zu bestimmen, wer mehr wert ist. Es geht auch nicht darum zu sagen, dass Tiere und Menschen genau gleich viel wert sind. Männer und Frauen sind ebenfalls nicht gleich - das bedeutet aber nicht, dass sie nicht die gleichen Rechte haben sollten.
Bei Tieren geht es mir mehr darum, Grundrechte zu schaffen. Es geht nicht darum, dass Kühe irgendwann mal im Landtag sitzen und wählen dürfen. Es geht mir um Grundrechte wie Leidfreiheit und dass auch Tiere bestimmte Entscheidungen ihres Lebens selbst treffen können. Ich wünsche mir für sie letztlich ein Leben ohne totale Ausbeutung. 

Gibt es Unterschiede außerhalb und innerhalb der LGBTI*-Community, wenn es um das Thema Veganismus geht? Die LGBTI*-Community hat sich vielleicht bewusster mit Ungerechtigkeit auseinandergesetzt, da sie davon selbst betroffen ist?
Ich habe keine Statistiken dazu, aber ich würde das gerne mal prüfen. Ich glaube, dass Menschen, die selbst schon mal Diskriminierung erfahren haben, auch eine höhere Affinität in anderen Bereichen haben. Außerdem will man sich dann weniger in Schubladen stecken und weniger Klischees bedienen. Ich als schwuler Mann weiß, was toxische Maskulinität ist und mich machen diese Muster total wütend. Das heißt, ich befreie mich auch davon, etwas zu sagen wie „Fleisch ist etwas Männliches“. Das ist aber in der heteronormativen Gesellschaft, in der wir leben, nicht so. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich als diskriminierter Mensch damit auseinandergesetzt hat, ist höher. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Community nicht diesen Klischees zugehörig fühlen möchte, ist größer. Darum würde ich vermuten, dass die Community vermutlich auch eine höhere Affinität zum Thema Veganismus hat.

Du hast es eben angesprochen: In der Werbung, im Sport und auch bei Restaurant-Angeboten wurde oder wird oft suggeriert, dass Fleischkonsum männlich ist und die Muskeln stärkt. Hat Fleisch überhaupt etwas mit Männlichkeit zu tun?
Ich denke, man muss in der heutigen Zeit die Begriffe „Männlich- und Weiblichkeit“ neu definieren. Wir haben vorgefertigte Attribute, die wir diesen zwei Begriffen zuordnen und es gibt auch nur diese beiden. Das führt zu einem sehr binären Denken. Ein Zuordnen von Rollen ist wirklich toxisch. Als ich den Kanal eröffnet hatte, war ich dort nicht geoutet. Ich wollte meine Sexualität auch nicht thematisieren, weil es ja um Veganismus geht. Außerdem hatte ich keine Lust, dass die Leute dann sagen: „Der isst kein Fleisch? War ja klar, dass der schwul ist!“. Ich hatte keine Lust, mich in diese Schublade stecken zu lassen. Aber jetzt merke ich auch, dass es nur Ängste waren, weil man sich im Netz angreifbar macht und dass ich dieses „toxische Männlichkeitsdenken“ hatte, weil ich nicht als „weniger männlich“ rüberkommen wollte. Das ist natürlich absurd.

Bleiben wir beim Thema Fleisch: Wie stehst du zum Thema Laborfleisch?
Das finde ich top. Das ist die Zukunft. Es wäre utopisch zu denken, dass wir es schaffen, uns von allen Gewohnheiten zu lösen und morgen in einer veganen Welt leben können. Menschen sind Gewohnheitstiere. Laborfleisch ist eine gute Möglichkeit, eine größtenteils tierleidfreie Welt zu schaffen. Es hat nur Vorteile: ethisch, gesundheitlich und in Betrachtung auf das Klima.

"Vorteile" ist ein gutes Stichwort: Was sind für dich die drei größten Vorteile am Veganismus?
Der größte und schönste Vorteil, welcher mich nachhaltig am positivsten beeinflusst hat, war, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl hatte, im Einklang mit meinem eigenen Wertesystem zu leben. Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass mein Konsum kein direktes Leid verursacht. Das muss man natürlich etwas vorsichtig formulieren, weil auch die Sachen, die ich kaufe, teilweise immer noch unter schlechten Bedingungen hergestellt werden und Menschen darunter leiden. Aber vom Grundprinzip her merke ich schon, dass es schön ist, wenn man mit seinem Konsum Leid aktiv verhindern kann.
Außerdem finde ich auch gut, dass man die Küche neu entdeckt. Ich habe früher total ungern gekocht und inzwischen macht es mir richtig viel Spaß. Für mich ist das ein bisschen wie eine Sprache erlernen. Man lernt erst ein paar Wörter und ist ein bisschen verwirrt, weil man nicht weiß, was man machen soll und kauft ständig Ersatzprodukte, da man noch in der alten Sprache hängt. Je mehr man sich aber damit auseinandersetzt, desto mehr macht alles Sinn. Man bildet ganze Sätze - und am Ende ist es eine totale Bereicherung.
Und vielleicht auch, dass sich das Tor zu meinem Bewusstsein geöffnet hat und mir neue Denkanstöße gegeben hat. Ich habe das Gefühl, ich bin eine bessere Version meiner selbst. Ich glaube niemand macht etwas falsch damit, Empathie gegenüber anderen Lebewesen zu haben – im Gegenteil.

Aljosha Muttardi

Welches Essen würdest du kochen, um einen nicht Veganer*innen vom Veganismus zu überzeugen?
Ich würde die Person erstmal fragen, was sie so mag und dieses Gericht dann in einer veganen Variante kochen.

Was ist besser: Pride Month oder Veganuary? (Im Januar gibt es die Aktion sich den ersten Monat des Jahres vegan zu ernähren)
Was für eine gemeine Frage (lacht). Wenn ich mich entscheiden muss, würde ich sagen Veganuary, weil ich glaube, dass dafür viel weniger Bewusstsein herrscht. Pride kann man theoretisch immer thematisieren. Aber es ist natürlich schwierig das so pauschal zu sagen und ich will, dass uns beide Monate erhalten bleiben! Eigentlich sollte sich das ganze Jahr mit diesen Themen stark auseinandergesetzt werden, nicht nur in bestimmten Monaten. 

Auf welches Outing reagieren Menschen schlimmer: vegan oder homosexuell?
Homosexuell. Ich glaube, dass Menschen Veganismus eher belächeln, da es eher als eine Art Diät gilt. Außerdem entscheidet man sich aktiv dafür, vegan zu leben. Schwul sein ist eben keine Entscheidung. Das ist gesellschaftlich viel tiefer verankert und es ist schwieriger, sich von dieser heteronormen Gesellschaft zu trennen, als zu sagen „Ich esse jetzt mal das und das“ oder „Ich trage jetzt mal andere Klamotten. Das kann man wieder rückgängig machen, schwul sein aber nicht - das ist die eigene Identität. Da herrschen noch viele Stigmata und viele Probleme. Da müssen wir ganz viel tun, damit es so etwas wie ein Outing gar nicht mehr geben muss.

 

Wer sich mehr mit dem Thema beschäftigen möchte, sollte auf dem Kanal „vegan ist ungesund“ vorbeischauen und den Podcast „alles ist ungesund“ von Aljosha und Gordon auschecken.

Auch Interessant

Im Interview

Diego Breittmayer

Der in Chile geborene Künstler kam vor 10 Jahren nach Deutschland. Hier konnte er endlich seinen Lebens-Traum verwirklichen, von Kunst zu leben.
Horst und Manuel

Pärchen April 2024

Dieses Paar fand sich auf Anhieb eigentlich nicht so toll und ist inzwischen das perfekte Traum-Familien-Glück samt harmonischem Landleben.
Mario Adrion

Ein neues Bild von Männlichkeit

Wer Mario Adrion noch nicht kennt, hat etwas verpasst – das deutsche Multitalent macht seit einigen Jahren Karriere in den USA.
Ausgequetscht

Niklas Jandusch

arbeitet als Chef-Steward und wurde auf einem Flug von Heidi Klum angesprochen, ob er nicht bei der neuen Staffel von >Germany‘s Next Topmodel< ...
Dennis und Kevin

Pärchen März 2024

Kein Feuerwerk konnte so strahlen wie die Augen dieser beiden: Denn an Silvester funkte es gewaltig zwischen ihnen.
Ausgequetscht

Aaron Knappstein

ist Mitbegründer und derzeitiger Präsident des jüdischen Karnevalsvereins „Kölsche Kippa Köpp vun 2017 e.V.“
Fynn und Polo

Pärchen Februar 2024

Dieses Paar beweist: Liebe kennt keine (Landes-)Grenzen und keine Sprachbarrieren ...