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Domenico Tarantino // © vvg

Im Interview Domenico Tarantino

vvg - 10.06.2022 - 10:00 Uhr

Er war Finalist der letzten Staffel von DSDS. Bei seinem ersten Auftritt mit "Bruises" von Lewis Capaldi erhielt er von der Jurorin Ilse De Lange die „Goldene CD“ und zog direkt in die Runde der besten 25 SängerInnen. SCHWULISSIMO überzeugte er ebenso, so das wir ihn noch während der laufenden Staffel interviewten.

Domenico, wann hast du deine Liebe zur Musik entdeckt?
Schon sehr früh. Meine musikalische Früherziehung fing mit 3 Jahren an; da habe ich mit meiner Mama, die Klavier spielt, zu Weihnachten im Kindergarten Lieder gesungen. Später in der Grundschule motivierte mich mein Klassenlehrer dazu. Mit 16 habe ich Gesangsunterricht gehabt und in verschiedenen Chören gesungen. Die Musik hat mich also mein ganzes Leben begleitet.

Und wieso erst jetzt zu DSDS?
Dazu hat mich meine „Busenfreundin“ Ludi motiviert, welcher in der letzten Staffel dabei war. Da DSDS komplett neu strukturiert wurde, hat es mich gereizt, mit zu machen.

Beim Casting mit "Bruises" von Lewis Capaldi hat dich Ilse De Lange direkt mit der Gold-CD in die 25er-Runde nach Italien geschickt ...
Das hat mir sozusagen den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich hatte beim Vorsingen nur gehofft, nicht direkt raus zu fliegen. Ich hätte nie damit gerechnet, die goldene CD zu bekommen. „Bruises“ habe ich ausgewählt, weil der Text bewegt und weil der Song musikalisch langsam beginnt und sich dann steigert.

Deinem Namen nach warst du im Land deiner Väter, welches Gefühl außer Urlaub, Sonne, Strand stellte sich in Italien ein?
Das war schon aufregend, als wir in Apulien landeten. Ich kannte den Flughafen und dieses italienische Flair. Das war 100% Italien wie ich es kannte; von der Mentalität her sehr freundlich und lebensfroh. Es ist ja das Land meines Vaters und meiner Großeltern.

In Apulien standest du kurz vor dem Aus - bist du lieber Einzelkämpfer
Rückblickend haben mir die Songs mit anderen zusammen immer sehr viel Spaß gemacht. Ich bin generell ein Fan von Menschen und Menschen auf der musikalischen Ebene kennen zu lernen, ist eine andere Erfahrung. Ich liebe es auch, Harmonien zu singen; trotz alledem ist es eine Herausforderung sich innerhalb von 24 Stunden auf verschiedene Charaktere einzustellen.

War die DSDS-Familie da noch harmonisch oder hinterließ der Neid auch Wunden?
Ich habe nie negative Schwingungen gespürt, es war immer harmonisch und positiv. Wir halten auch heute noch Kontakt untereinander; nein, Konkurrenzdenken gab es nicht.

Danach hast du dich in die Top-Ten gesungen. Ilse gab dir nur den Rat, ruhiger zu werden?
Das habe ich selber gespürt. Lediglich bei meinem Duett mit Amber war ich tiefenentspannt. Wir harmonierten musikalisch und persönlich und die Proben waren hervorragend. Ansonsten geht einem schon die Pumpe vor so einem Entscheidungsauftritt. Man will ja schließlich weiterkommen und es waren echt großartige Stimmen dabei. Da macht man sich schon Druck.

In der ersten Live-Show schieden alle drei Inhaber der „Goldenen“ aus. Emine, die aus der Norm ragt! Abigail, die schwarz ist! Und Domenico, als offen schwul lebender!  Das Publikums teilte nicht die Meinung der Jury.
Meine eigene Erklärung: Ich persönlich hatte erschwerte Bedingungen, weil ich durch Corona ausfiel und dadurch wenig Vorbereitungszeit hatte. Hinzu kommt, dass „Maniac" nicht der Song war, den ich mir ausgesucht hätte. Am Ende entschieden die TV-Zuschauer und da hat man in den vorherigen Staffeln schon oft Überraschungen erlebt. Mir war mein Ausscheiden direkt klar; ich war froh, dass ich diesen Druck loswurde. Für Abigail tat es mir aber leid.

Es kann nur EINEN (Sieger) geben, wie geht’s jetzt musikalisch weiter: „Aus!" oder „Jetzt erst recht!“?
Ich lebe mehr nach dem System „Jetzt erst recht!“ Das soll nicht das Ende der Reise gewesen sein, sondern ein Startschuss. Für mich war es ein persönliches Erwachen: Warum zur Hölle habe ich vorher meine Leidenschaft Musik nicht weiter verfolgt? Und aus früheren Staffeln weiß man: Nur weil man das Format nicht gewonnen hat, heißt das ja nicht, dass man da keinen Erfolg rausziehen kann.

Du hast bei DSDS oft Tränen vergossen, wer fing dich nach dem Aus auf?
Meine Bezugspersonen bei DSDS waren Abigail, Tina und Dominik. Aber ich weiß natürlich, was du wissen willst: Nein, eine Beziehung habe ich aktuell nicht. Aber wenn es sich ergibt und ich Mr. Right treffe, sage ich nicht „Nein“.

“Bruises" bedeutet "Prellungen". Im Text heißt es: „Ich hoffe, dass ich niemals die blauen Flecke verliere, die du hinterlassen hast.“ Auch du hattest blaue Flecken ...
Das ist ein sehr komplexes Thema. Ich bin mit meinen Eltern bis zum 8. Lebensjahr in Hamburg aufgewachsen und habe schon sehr früh von Seiten meines Vaters häusliche Gewalt erfahren. Nachdem die blauen Flecken in der Schule auffielen, folgten Gespräche mit dem Vertrauenslehrer, dem Kinderarzt, der Polizei und dem Jugendnotdienst, was zur Folge hatte, dass ich acht Jahre lang in eine Pflegefamilie kam. Das war das Beste, was mir passieren konnte; ich habe noch heute zu meinen Pflegeeltern guten Kontakt. Aber auch der Kontakt zu meinen leiblichen Eltern blieb bestehen. Durch das Erlebte war ich zunächst ein sehr schüchternes, introvertiertes und zurückgezogenes Kind, was sich in der Pflegefamilie voll veränderte. Mit 16 Jahren wollte ich zur leiblichen Familie zurück, was nicht die beste Entscheidung war. Das Verhältnis blieb angespannt, brachte mich aber dazu, selbständiger zu werden.
 

Domenico Tarantino // © vvg

Wann war dir bewusst, schwul zu sein und wie war das Outing?
Ungefähr mit elf ahnte ich es, akzeptiert habe ich es mit 16 Jahren. In der Schule wussten es aber meine besten Freunde. Bei meinen Eltern habe ich mich mit etwa achtzehn Jahren geoutet;
Ich habe mich auch nur als bisexuell bezeichnet, wahrscheinlich um meinem Vater noch ein wenig Hoffnung zu lassen. Mir war aber bewusst, dass durch meine offene Teilnahme bei DSDS auch meine in Deutschland lebende Verwandtschaft nun Bescheid weiß, und damit bin ich fine.

Was hättest du dir von deinem Vater gewünscht?
Verständnis für mich und meine Wünsche. Gespräche und Akzeptanz. Was für mich ein Vater ausmacht, hat mir dann mein Pflegevater gegeben; von dem habe ich viel väterliche Liebe erfahren.

Du hast letztendlich mit deinem Vater Frieden gefunden?
Er hatte ja auch nicht nur diese negative Seite; sondern auch viel Positives. Er hatte auch selbst eine harte Erziehung in einer schlimmeren Zeit. *
Das rechtfertigt zwar nicht sein Verhalten, half mir aber persönlich, das alles im Nachhinein zu verstehen. Ich konnte ihm an seinem Sterbebett verzeihen, für das was geschehen ist.

Das heißt: Das misshandelte Kind hat seinem Misshandler verziehen! Wie großartig ist das denn?
Danke. Mein Vater erhielt 2015 die Diagnose „Bauchspeicheldrüsenkrebs“.
Trotz Allem was geschehen war, hielt ich an meiner Meinung fest: Ohne ihn gäbe es mich überhaupt nicht. 2017 am Abend bevor er starb, wusste ich in meinem Kopf, dass es der letzte Abend sein würde, wo ich mit ihm sprechen kann. Und ich wollte es unbedingt aussprechen, dass ich ihm verzeihe. Ob er es bewusst mitbekommen hat - er war ja vollgepumpt mit Morphium und Schmerzmitteln - kann ich nicht 100%ig sagen. Ich glaube es aber, weil er mich nämlich noch einmal fest umarmte. Das war sowohl für ihn als auch für mich sehr wichtig, um mit dieser Sache komplett abzuschließen. Ich hätte mir ansonsten immer Vorwürfe gemacht, wenn ich es nicht getan hätte.

Krass. Wie ist denn dein Ratschlag an die Jungs, denen Väter ebenfalls Narben hinterlassen?
Wenn man in der eigenen Familie keine Akzeptanz erfährt, ist es wichtig, dass es andere Menschen gibt, mit denen man sich austauschen kann; die für einen da sind und einen stärken. Ru Paul sagte, dass wir queere Menschen uns unsere Familie suchen und auswählen, wenn die eigene Familie uns nicht das gibt, was wir brauchen.
Niemals den Fehler begehen, durch Nichtakzeptanz sich zu verschließen. Am Ende hat jeder nur das eine Leben und keiner soll irgendwann mal sagen müssen: „Hätte ich doch nur ...!“

Was bringt dich auf die Palme?
Wenn man mich nicht respektiert. Unpünktlichkeit; allerdings ist das privat bei mir auch eine kleine Schwäche, zumindest im privaten Bereich. Und - wie der Engländer sagt: toxic masculinity!  (toxische Männlichkeit)

In unsere Umfrage geht es um „Altersunterschiede in Beziehungen“, wie stehst du dazu?
Ich finde es affig, wenn man darüber urteilt, wer wen lieben darf und wen nicht. Es kommt doch immer auf den Einzelfall, den Menschen und den Charakter an. Jeder darf doch lieben, wen er will; das hat kein Dritter zu entscheiden und Alter ist kein Ausschlussverfahren!

Wie ist dein Kontakt mit der LSBTI*-Szene?
Ich bin schon in der Hamburger Szene unterwegs und regelmäßig auf den Bingo-Veranstaltungen. Ich habe auch Kontakte zu Hamburg Pride. Seid gespannt auf den CSD in diesem Jahr.

Was wünscht du dir für die Zukunft?
Das ich meiner musikalischen Leidenschaft nachgehe. Und ich möchte mehr im Comunitybereich machen; anderen Menschen eine Stütze sein und auf diesem Wege auch mehr zu mir selber finden. Gerade in der Comunity ist Austausch wichtig. Wenn man einander aufbaut, ist das doch das Wertvollste, was wir uns gegenseitig bieten können.

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