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Marcos Schlüte // © vvg
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Im Interview Marcos Schlüter Alias René Gligée

vvg - 11.03.2021 - 10:00 Uhr

„Ich bin nicht stolz, schwul zu sein; ich habe es mir nicht ausgesucht. Ich bin allerdings stolz, ein erfolgreicher Theaterleiter zu sein, denn das habe ich mir ausgesucht."

Marcos Schlüter ist als sein Alias René Gligée „die hässlichste Tunte Europas“. Als talentierter Schauspieler war er Schüler bei Walter Bockmayer bis er 2008 sein eigenes Theater „Mittelblond“ eröffnete. Hier stand er inzwischen in einem Dutzend Stücke auf der Bühne und ist nicht nur im Rheinland längst zum Kultstar geworden.

Marcos, du kommst gerade aus der Quarantäne, alles gut überstanden?
Alles bestens. Das war aber abzusehen, weil ich in einer wichtigen Familienangelegenheit kurz ins Ausland musste, dort aber nur mit getesteten Personen Kontakt hatte. Während ich den ersten Lockdown relativ gut überstanden habe - ich liebe die Sonne und konnte im Garten viel arbeiten - war der zweite wesentlich zermürbender; obwohl der für mich nicht überraschend kam. Schlimm ist, dass ich nichts planen kann und nicht weiß, wann und wie es endlich weitergeht.

Der Fraktionschef der Linken, Dietmar Bartsch nörgelt gerade, „Merkel habe sich gedanklich im Lockdown eingemauert“.
Ich finde, dass sich niemand ein Urteil erlauben sollte. Ich möchte mit Frau Merkel nicht tauschen und irgendetwas entscheiden müssen. Von Außen kann sich jeder das Maul zerreißen. Einer der Schlimmsten ist Herr Lindner, das ist ein Schwaatlappen vor dem Herrn. Er redet viel, hat aber nichts zu sagen.

Corona hat aus dir äußerlich einen echten Kerl gemacht, kommen jetzt die männlichen Hormone durch?
Ich habe keine männlichen Hormone! (lacht) Anfangs war der Bart selbst für mich gewöhnungsbedürftig, aber weil ich überraschenderweise so viele Komplimente bekam, schau ich mal, wie es weitergeht.

Du siehst als Mann echt gut aus, als Bühnenfigur bist du ja angeblich die „hässlichste Tunte Europas“!
Das stimmt und ich habe mich immer über diesen Titel gefreut, der übrigens von Bernd von Fehrn (alias Wanda Rumor) stammt. Wenn ich so angekündigt wurde, zauberte er dem Publikum direkt immer ein gewisses Schmunzeln ins Gesicht.

Du hast deine Jugend in Recklinghausen verbracht, wolltest du als Kind schon Tunte werden?
Nein, ich habe mir das nicht ausgesucht. Ich bin aber, seitdem ich denken kann, schwul. Ich habe zwar auch mit Barbies gespielt, fand aber Jungens immer interessanter als Mädchen. Und tatsächlich war ich schon immer so ein Klassenclown. Wann immer ich eine Pointe raushauen konnte, habe ich das getan. Der richtige böse Ton kam erst später dazu.

In deiner Sturm-und-Drang-Zeit hast du Haare lassen müssen …
Eigentlich wollte ich ja Schauspieler werden, aber meine Mutter hielt einen sicheren Beruf für angemessener. „Mach doch eine Lehre als Frisör. Handwerk hat goldenen Boden und Haare wachsen immer!" Also habe ich nach der 10. Klasse die Lehre als Frisör angefangen, einen Beruf, den damals fast nur Mädchen ausübten.

Danach folgte eine weitere Ausbildung bei Walter Bockmayer …
Bei dem ich das gelernt habe, was ich eigentlich machen wollte. Vor allem habe ich sein Grundmotto von der Pike auf gelernt: Mut zur Hässlichkeit zu haben! Das war anfangs ein schwerer Prozess, den ich durchgemacht habe, denn eigentlich wollen auf der Bühne alle ja immer nur schön sein. Leider hat Wally es mir übelgenommen, dass ich bei ihm aufgehört habe, um mich selbstständig zu machen. Aber ich weiß, dass er mal geäußert hat, ich sei einer der talentierteste Schauspieler gewesen, mit dem er gearbeitet hat.

Und als du beides aus dem Effeff beherrschtest, hast du dein eigenes Theater eröffnet, dass kleiner ist als ein Frisörsalon, dafür aber auch so heißt.
Genau, mein „Mittelblond“, in dem am 16. Oktober 2008 mit „De Beautycase“ meine erste Premiere stattfand. Davor war das ein ehemaliges Speiselokal, das wir komplett saniert haben. Da wo einst in der Küche das Fett von den Wänden lief, befindet sich heute die Bühne, auf der ich mittlerweile mit einem Dutzend Produktionen begeistern konnten.
 

Marcos Schlüte // © vvg

Wie kam es zu deinem Bühnennamen?
Ich sollte bei einer Rosa Sitzung auftreten und wurde fünf Minuten vor meinem Auftritt von Sascha Korf gefragt, wie er mich ankündigen sollte. Ich musste gestehen, dass ich bis dato gar keinen Namen hatte, worauf er spontan sagte: „Dann nenne ich dich René Gligée“. Das fand ich großartig! Wobei die Idee zu diesem Namen aber angeblich nicht direkt von ihm kommen soll.

Dich haben dann zwei bedeutungslose Worte zum Star gemacht.
„Hömma, Hölle!“ Bei Renés erstem Auftritt bin ich vor Lampenfieber fast gestorben, schließlich stand ich zum ersten Mal als Solokünstler auf einer Bühne. Ich war wie paralysiert und vergaß vor Aufregung zwei Mal meinen Text. Um das zu Überspielen stieß ich ein schrilles, langgezogenes „Hömma Hölle“ aus, was irgendwie sofort witzig ankam. Man riet mir, das am nächsten Abend bewusst einzubauen – und es wurde zum Running Gag: Ich brauchte nur „Hömma“ zu sagen und das Publikum kreischte „Hölle“.

„Hömma Hölle“ sorgte dafür, dass du in Berlin, Hamburg, Mainz, München, Bonn, Düsseldorf sowie bundesweit auf fast allen CSDs auftreten musstest.
Hömma Hölleee! Schwierig waren die CSDs nur im Osten. Da hatte ich immer Angst, dass schwulenfeindliche Typen um die Ecke kamen. Klingt verrückt, war aber so.

In welcher Stadt hat das Publikum am besten „erigiert" - und in welcher hast du Einreiseverbot?
Am besten funktioniert es nach wie vor in Köln; in den kleineren Städten muss man sich das eher erarbeiten, was mir bisher meistens gelang. Am Schlimmsten war es mal in Detmold, die sind da mit Renés Humor gar nicht zurechtgekommen. Das war denen zu schwul: da kommt eine Tunte mit fieser Perücke auf die Bühne und reißt auch noch schlüpfrige Witze. Dafür gab es einen bösen Verriss! Aber man kann ja auch nicht allen gefallen.

Deine Zuschauer in der ersten Reihe kriegen bei dir ganz schön ihr Fett ab. Gab es deswegen schon einmal eins auf die Glocke?
Es sind schon mal Leute in der Pause gegangen. Und wenn ich merke, dass Einzelne mit dem Programm nicht umgehen können und mit ihrer Laune die Stimmung der anderen Gäste vermiesen, dann „prügele" ich sogar extra auf die ein. Ein Mal musste ich sogar einen Störenfried rauswerfen, wofür sich alle anderen mit Applaus bedankten. In der Regel kommt aber jeder, der einmal da war und über sich selbst auch lachen kann, regelmäßig wieder.

Trashig und frech sind auch deine Auftritte als die britische Queen, Nesirée Dick und Karl Feldlager. Konntest du die anfallenden Anwaltskosten absetzen?
(lacht) Natüüürlich! Ich habe einen großzügigen Mäzen im Hintergrund. Nein, Desirée und Karl sind beide geniale Persönlichkeiten, die ich sehr schätze. Desirée im rückenfreien Abendkleid mit leichtem Lispeln und Karl mit seiner undeutlichen, schnellen Aussprache und bis zum Stehkragen zugeknöpft, kommen einfach gut an. Ich weiß über einen Freund, der Desirée gesteckt hat, dass ich im Berliner Quatsch Comedy Club auftrete, dass sie sich das angeschaut und sich sogar positiv dazu geäußert hat.

Wer austeilt muss auch einstecken können. Hast du überhaupt noch Freunde - geschweige einen Freund?
Freunde natürlich, ich habe ja privat einen anderen Humor als auf der Bühne. Ansonsten bin ich Single. Ich suche auch keinen, ich lasse mich finden. Außerdem gibt es ja Apps. Am liebsten date ich aber Leuten, die gar nicht wissen, wer ich bin.
 

Marcos Schlüte // © vvg

Wie unterscheidet sich der Privatmensch Marcos von der Rampensau René?
Als René traue ich mich Sachen zu sagen, die ich als Marcos niemals sagen würde. Da kann ich Sachen raushauen, für die ich mich aber nicht schäme. Marcos ist da wesentlich ruhiger.

Was sollte Marcos mehr und René weniger haben?
Marcos sollte mehr Selbstbewusstsein haben, der ist eher zurückhaltend und schüchtern. René sollte manchmal mehr einstecken können und nicht immer das letzte Wort haben wollen.

Könntest du als Marcos mit so einer schrillen Tunte wie René eine Beziehung eingehen?
Nein, weil ich privat alles andere als extrovertiert bin. Ich schäme mich nicht meiner Homosexualität, aber ich muss es auch nicht jedem aufbinden. Ich bin nicht stolz, schwul zu sein – ich habe es mir nicht ausgesucht. Ich bin allerdings stolz, ein erfolgreicher Theaterleiter zu sein, denn das habe ich mir ausgesucht.

Was macht Marcos traurig und René froh?
Menschen verbal zu attackieren.

Wer von beiden ist sexuell aktiver?
Eindeutig Marcos. Das ist aber nicht schwierig, denn René hat keinen Sex.

Im Mittelblond hängen Fotos unzähliger Prominenter, die mit dir fotografiert werden wollten. Mit wem davon würdest du gerne eine Nacht verbringen?
Es gibt ja Promis mit denen ich im Bett war, allerdings hängen die Fotos bei denen zu Hause an den Wänden. Wer mir noch fehlt? Wie heißt noch mal der James Bond Darsteller?

Als Schauspieler musstest du dich ja nie outen, allerdings haben das jetzt 185 Schauspieler getan.
Das habe ich gar nicht mitbekommen, das ist ja krass. Es ist nur traurig, dass man sich überhaupt noch outen muss. Obwohl man sich ja oft fragt „Ist er es oder ist er es nicht?“ Das wäre allerdings bei Fußballspielern interessanter, in den künstlerischen Berufen ist das eher normal und kein Thema mehr.

Wie hieße der Titel deiner Biografie?
„... und Sie haben schönes Licht gemacht!“ - weil mich nach den Vorstellungen alle für den Lichtmenschen gehalten haben, niemand hat in mir die Tunte auf der Bühne gesehen.

Was ist ein Wunsch für die Zukunft?
Endlich wieder spielen dürfen.

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