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Schwuler Vetretungslehrer klärt auf und sensibilisiert

Timo Becker - Homologie Schwuler Vetretungslehrer klärt auf und sensibilisiert

km - 14.11.2021 - 10:00 Uhr

Timo Becker ist Theaterpädagoge, Dipl. Sozialpädagoge sowie Kabarettist und geht mit seiner Bühnen-Persona Malte Anders als Vertretungslehrer in die Schulen. Dort leistet der Frankfurter Aufklärungsarbeit zum Thema LGBTI*, Homo- und Transphobie. SCHWULISSIMO sprach mit ihm über sein aktuelles Comedy- und EduGAYtion-Programm „Homologie“, die Reaktionen von Jugendlichen auf seine Arbeit, den Status quo in den Schulen bezüglich dieser Themen und vieles mehr.

 

Um was geht es bei Homologie EduGAYtion? Was beinhaltet dein Programm?
Homologie ist eine Comedy-Unterrichtsstunde zum Thema Homosexualität.
In 50 Minuten arbeite ich mich als „Malte Anders“ mit den Schüler*innen durch alle herkömmlichen Fächer und führe multimedial und interaktiv durch die wichtigsten Fakten: In Englisch geht es ums Coming Out, in Erdkunde schauen wir uns die weltweite Lage der LGBTI*-Community an, in Sport geht’s natürlich um den Profifußball und in Bio geht’s um Genetik und die ewige Frage: Ist Homosexualität unnatürlich?
Mit Bildung gegen Homophobie. Am Ende der Show bekommen die Jugendlichen dann Zettel und Stift und dürfen anonym ihre Fragen an Malte aufschreiben. In einer 30-minütigen Fragerunde werden diese Fragen dann auf der Bühne beantwortet. Im Publikum sitzen üblicherweise bis zu 150 Schüler*innen ab der 8. Jahrgangsstufe. Ich spiele die Show seit 2016 mit wachsender Begeisterung.

Was sind die häufigsten Fragen in der Show?
In der Fragerunde ist so ziemlich alles dabei. Persönliche Fragen zu meinem Coming Out, der Reaktion von Freund*innen und Eltern, bis hin zum Beziehungsstatus oder meinem Wunsch nach Kindern und Ehe.

Oft kommen aber auch Fragen wie: „Wie soll ich es meiner Klasse sagen?“ oder „Wie kann ich jemandem helfen der homosexuell ist?“.  Oder auch: „Was tun bei homophoben Eltern?“

Fragen, die man in einer offenen und authentischen Runde gut thematisieren kann. Hier kann ich aus meiner eigenen Erfahrung erzählen, Beispiele von anderen einbringen, aber auch den Ball ins Publikum zurückspielen und fragen: Wie würdet ihr reagieren?

Mir ist in der Fragerunde wichtig, alle Fragen mit Respekt zu behandeln. Selbst die respektlosen Fragen. Und so lese ich natürlich auch oft Beleidigungen oder Hasskommentare. Aber auch die geben mir auf der Bühne die Chance sie in etwas Wundervolles zu verwandeln. Denn meist hat sich bis zu diesem Zeitpunkt der Großteil des Publikums schon mit mir solidarisiert – und so erhalte ich an dieser Stelle viel positiven Support von der Mehrheit der Zuschauer*innen.

Wie bist du auf dieses Programm gekommen und auf deine Persona Malte Anders?
Ich habe 2014 meine erste Show im Gallus Theater Frankfurt rausgebracht. In GAY FOR ONE DAY konnte das Publikum eine kabarettistische Coaching Show erleben und für einen Abend nach Herzenslust schwul sein. Da ich jedoch nicht meine eigene Lebenswelt vor den Zuschauer*innen ausbreiten wollte habe ich die Rolle von Malte entwickelt. Das hat mir die Chance gegeben eigene skurrile Geschichten und Erfahrungen, aber auch Verletzungen und offene Wunden, durch Übertreibung, Verdrehung und Humor in eine neue Lebenswirklichkeit zu bringen – in Form von Malte Anders. Auch wenn sich Malte und Timo in den vergangenen Jahren immer ähnlicher geworden sind, bietet die Rolle nach wie vor auch Schutz vor homophoben Angriffen und Beleidigungen. Diese nicht persönlich zu nehmen, sondern damit zu arbeiten, gelingt Malte ziemlich gut.

Und vor allem in den Schulen begegnen mir ja nicht nur Menschen, die sich freuen, dass sie heute ein paar Gags von mir hören. Homophobie ist nach wie vor Teil unserer Gesellschaft und es schlägt einem manchmal mit voller Wucht entgegen.

Wie ist das Feedback der Kinder/Jugendlichen?
Hart erkämpft – aber meist ziemlich positiv. Dennoch gehen auch manchmal Schüler*innen nachdenklich oder bewegt aus der Veranstaltung raus. Einige kommen danach auch noch zu mir auf die Bühne um Fragen zu stellen, einzelne warten bis die Klasse gegangen ist um noch etwas loszuwerden, andere kommen sogar noch einmal zurück.

Auch über Instagram erhalte ich oft Wochen und Monate nach der Veranstaltung noch Feedback, Fragen oder Dank. Alles in allem bin ich allerdings nicht nur für das Lob da – sondern zur Wissensvermittlung. Daher kann man sagen: Auch Schüler*innen, die es furchtbar fanden, haben in den 90 Minuten Homologie irgendetwas entscheidendes gelernt. Da bin ich sicher.

Hast du schon junge Menschen zum Coming Out verholfen?
Zunächst mal mache ich den Schüler*innen in Homologie ganz klar, dass es keinen Grund gibt sofort jeder Person auf die Nase zu binden, ob man schwul, lesbisch, hetero oder trans ist. Am wichtigsten ist erstmal, dass man akzeptiert, wer man ist und dass es gut ist, wie man ist.

Von mir wusste es lange Zeit nur meine beste Freundin Fabienne. Und diesen Tipp gebe ich auch oft so weiter: such dir eine Person, der du vertraust. Und dann schau, wem du es sagen möchtest. Ich bekomme manchmal nach Jahren noch Nachrichten auf Instagram von Jugendlichen, die mir von ihrem geglückten Coming Out berichten. Den Zeitpunkt dafür sollte aber jeder frei wählen. Und nur aus Euphorie nach einer beeindruckenden Homologiestunde sollte man es vielleicht eher nicht tun.

Was ist deine schönste Anekdote bei der Arbeit an Schulen?
Ein Schüler hat in der Fragerunde auf den Zettel geschrieben: „Kommt homogenisierte Milch von schwulen Kühen?“. Für mich ein absolutes Highlight. Und abschließend konnte ich diese Frage bis heute nicht beantworten.

Du hast auch während des Lockdowns Online-Inhalte produziert. Hat das auch funktioniert oder muss man bei so einem Thema wirklich vor Ort sein?
Ja, wir haben ein paar Kurzvideos produziert und sogar einen Livestream aus einem Theater gesendet. Das war okay – allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass man Theater live vor Ort erleben sollte. Wenn ich den Darsteller vor mir sehe, nicht den Ton abschalten kann und die Energie im Raum fühle. Dann ist es Theater.

Ich habe den Kontakt zum Publikum sehr vermisst. Das Miteinander. Das aufeinander zu- und eingehen. Das macht letztendlich auch Homologie aus. Viele sind ja nicht freiwillig da um das Programm zu sehen. Und gerade diejenigen will ich ja erreichen. Die können mich auf YouTube einfach abstellen und es anschließend auf den schlechten Empfang der Telekom schieben. Ich bin froh, dass Live-Veranstaltungen wieder möglich sind.

Du hast selbst mal Religion gelehrt – zwischen LGBTI* und Religion ist ja schon eine große Diskrepanz, wie empfindest du das?
Ich komme aus einem christlichen Elternhaus und war schon als Kind in kirchlichen Kreisen sehr aktiv. Nach meinem Zivildienst habe ich einen Job in einer evangelischen Kirche in der Nähe von Frankfurt angenommen. Teil dieser Stelle war es auch, den Grundschulunterricht in evangelischer Religion zu leiten. Das habe ich mit großer Freude getan. Doch statt nur die Geschichten von der Arche Noah, Adam und Eva zu erzählen habe ich vor allem an sozialen Themen gearbeitet und versucht die Kinder fit fürs Leben zu machen. Ich finde es ist gut an etwas zu glauben. Vor allem an sich selbst!

Viele Religionsgruppen, egal ob Christen, Muslime oder Juden, und deren Mitglieder*innen halten sich leider oft selbst für Gott und würden gerne das „richten“ übernehmen. Das sollte man einfach Gott überlassen – und ich freu mich auf das Gespräch mit ihm (oder ihr!) irgendwann.
GOTTSEIDANK gibt es aber auch viele positive Beispiele für Toleranz und Vielfalt in Glaubenskreisen.

Timo Becker alias Malte Anders © Sven Schiffauer
Timo Becker alias Malte Anders © Sven Schiffauer

Wie ist der aktuelle Stand in den Schulen beim Thema LGBTI*?
Ausbaufähig. Vielen Lehrkräften fehlt nach wie vor der Leitfaden wie sie mit Homo- und Transphobie in der Schule umgehen sollen. Gerade diejenigen, die wenig Berührungspunkte mit LGBTI* haben, haben das Thema überhaupt nicht auf dem Schirm und es fehlt insgesamt am Bewusstsein für die Bedeutung der sexuellen und geschlechtlichen Identität bei Jugendlichen. Trotz einigen Verordnungen und Ergänzungen im Lehrplan stelle ich immer wieder fest, dass diesem Thema nach wie vor viele Vorbehalte und große Unwissenheit entgegenschlägt.

Sollte LGBTI* in den Lehrplan?
Ich finde es gehört vor allem in die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften, um ein Bewusstsein für diese Themen zu entwickeln. Nur weil man in der 8. Klasse mal über LGBTI* gesprochen hat, macht einen das noch lange nicht tolerant und aufgeklärt. Deswegen sollte dieses Thema, wie einige andere Themen übrigens, übergreifend und stets präsent sein.

Durch Projektwochen, Veranstaltungen und, wo es passt, auch als Teil des Unterrichts. In Biologie, Religion/Ethik und Politik lassen sich diese Themen per se gut aufgreifen – aber noch wichtiger ist ein gelebter und bewusster Umgang miteinander.

Wer kann dich buchen und wie wird das finanziert bzw. was sind die Kosten?
Jede*r kann mich buchen. Ob Schule, Firma oder privater Haushalt: Ich komme dahin, wo ich gebraucht werde. Das Programm ist bundesweit buchbar und sogar in englischer Sprache (HOMOLOGY) erhältlich. Das eignet sich z.B. für internationale Schulen oder als Ergänzung für den Englischunterricht.

Eine Homologie-Show (90min) kostet 640 EUR (zzgl. Fahrtkosten) für bis zu 150 Schüler*innen ab der 8. Jahrgangsstufe. Manchmal spielen wir auch mehrfach hintereinander für mehrere Jahrgänge. Buchbar ist das Programm über www.art-q.net. Bis Weihnachten bin ich ziemlich ausgebucht – aber für 2022 gibt es noch freie Termine.

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