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Der Tag der Trans-Sichtbarkeit // © miakievy

Der Tag der Trans-Sichtbarkeit Hass uns Ablehnung gegenüber trans sind weit verbreitet

ms - 31.03.2022 - 10:30 Uhr

Heute feiert die queere Community den Transgender Day of Visibility - den Tag der Trans-Sichtbarkeit. Seit 2009 wird der besondere Tag für die trans-Community international gefeiert, zuvor erinnerte nur einmal im Jahr der  Transgender Day of Remembrance im November an die Anliegen und Forderungen der trans-Community.

Der heutige Feiertag der trans-Community wird dabei national wie international von heftigen Debatten überschattet. In Deutschland ist spätestens seit dieser Woche die Diskussion um die Selbstbestimmung von trans-Menschen vollends in Fahrt gekommen, nachdem gestern das neue Buch über Transsexualität von den EMMA-Feministinnen Alice Schwarzer und Chantal Louis veröffentlicht wurde. In der Streitschrift kommen neben den beiden Autorinnen auch trans-Menschen, Ärzte, Psychologen und Eltern zu Wort, die sich kritisch über das geplante neue Selbstbestimmungsgesetz äußern.

Das neue Gesetz soll bereits vor der Sommerpause konkretisiert und bestenfalls bis Ende 2022 verabschiedet werden. Es ersetzt dabei das aktuelle Transsexuellengesetz und soll eine Geschlechtsanpassung für non-binäre und transsexuelle Menschen stark vereinfachen. Hauptkritikpunkte sind dabei die Vorschläge, dass es künftig bereits Kindern ab 14 Jahren auch ohne Einwilligung der Eltern ermöglicht werden soll, ihr Geschlecht via Sprech-Akt ändern zu lassen und dann auch eine Therapie mit Pubertätsblockern zu beginnen. Bisher sind vor einer Personenstandsänderung zwei psychologische Gutachten nötig, dieser Tatbestand soll ganz gestrichen werden.

Für Herausgeberin Schwarzer eine fatale Entwicklung, die im Extremfall dafür sorgen kann, dass Kinder ohne psychologische Beratung eigenständig ihr Geschlecht wechseln können.

Schwarzer spricht von einem Trend, eine Art Mode, die aktuell in Deutschland in puncto Transsexualität um sich greifen würde. Fakt ist, dass die Zahl der Trans-Outings in den letzten Jahren um das 4.000-fache angestiegen ist. Trans-Aktivisten oder Vereine wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) erklären dies mit dem Umstand, dass sich durch die liberalere Einstellung gegenüber der queeren Community immer mehr Jugendliche trauen würden, zu ihrer Transsexualität zu stehen. Schwarzer dagegen befürchtet, dass viele Jugendliche künftig als Vermeidungsstrategie der eigentlichen Homosexualität oder als Fluchtversuch aus dem gesellschaftlichen engen Rollenmodell ´Mann vs. Frau´ heraus voreilig in die Transsexualität flüchten.

Diese Einstellung teilen die queeren Sprecher der Ampel-Koalition sowie diverse queere Verbände nicht und werfen Schwarzer hingegen eine Transfeindlichkeit vor. Derzeit sieht es nicht danach aus, dass die aufgeheizte Debatte dieser Tage zu einer Annährung der Fronten oder gar zu einer kritischen, ruhigen Auseinandersetzung mit den Ängsten und Bedenken gegenüber dem neuen Selbstbestimmungsgesetz führen wird.

Eine starke Ablehnung von transsexuellen Menschen zeichnet sich auch seit 2020 in den USA vermehrt ab, wobei sich auch hier die Debatte um die Rechte der trans-Community seit Beginn 2022 noch einmal massiv verstärkt hat. Allein in diesem Jahr wurden bundesweit bereits rund 200 Gesetzentwürfe in die jeweiligen Parlamente der Bundesstaaten eingebracht, die trans-Jugendliche diskriminieren sollen. In den meisten Fällen sollen so trans-Schüler von Wettkämpfen und dem Schulsport ausgeschlossen werden. Die bisher dramatischste Anfeindung erlebten trans-Jugendliche in Texas, wo der Gouverneur das Familienschutzministerium beauftragte, gegen Eltern von trans-Jugendlichen vorzugehen, die ihren Kindern eine Behandlung zur Geschlechtsangleichung zukommen lassen.

Für die texanische Regierung ist dies gleichzusetzen mit dem Tatbestand „Kindesmissbrauch“ und soll mit ähnlichen Gefängnisstrafen geahndet werden. Ein Gericht stoppte vorerst die weiteren Ermittlungen – ein Ende der Situation ist indes noch völlig offen, der Fall beschäftigt derzeit die Gerichte.

Auch anderenorts in Europa erleben trans-Personen immer wieder, dass ihre Rechte und sie als Person noch immer nicht gleichwertig anerkannt werden. Besonders dramatisch zeichnet sich die Lage aktuell in der Ukraine ab: Transsexuelle Frauen, die noch keine rechtliche Personenstandänderung vollzogen haben, werden zum Wehrdienst gezwungen. Die Flucht in die Nachbarstaaten ist ihnen von offizieller Seite verboten, sodass viele trans-Menschen teils unter lebensgefährlichen Umständen versuchen, über die Grenze nach Rumänien oder Polen zu gelangen.  

Der Bundesverband Trans* e.V. bekräftigt zum Tag der Transsichtbarkeit noch einmal die aktuellen Forderungen für Deutschland. Nebst der Ablösung des bisherigen Transsexuellengesetzes besteht der Verband auf einer Entschädigung von Menschenrechtsverletzungen im Bereich trans, einer Reform des Familien- und Abstammungsrechts sowie einer Sicherung und Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Zudem sei es wichtig, Selbsthilfegruppen stärker zu unterstützen, den Ausbau des Antidiskriminierungsrechts voranzutreiben und die Menschenrechte gerade auch von queeren Geflüchteten zu wahren.

Ziel für alle Menschen sollte es ferner sein, die Stigmatisierung von trans-Personen in der Gesellschaft abzubauen. Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*: „Es macht wütend, dass wir im Jahr 2022 darüber diskutieren, ob trans-Personen Respekt verdient haben. Trans-Personen gibt es, seitdem es Menschen gibt. Nur die Bezeichnungen dieser Personengruppe wandelten sich je nach Zeit und Ort.

Wir brauchen eine respektvolle Debatte, wie Gewalt und Benachteiligung gegenüber trans-Personen abgebaut und langfristig beendet werden können.“ Jüngste Umfragen vom Dezember 2021 belegen dabei, dass für viele Deutsche die Dramatik gar nicht als solche zu erkennen ist. Mehr als die Hälfte der Bundesbürger (52 Prozent) ist so laut einer Umfrage von YouGov (Cambridge Globalism Project 2021) der Meinung, dass trans-Menschen bereits zu viel oder zumindest ausreichend Rechte hätten.

Der Tag der Transsichtbarkeit feiert eigentlich die queere Vielfalt des Lebens und wurde in den USA als bewusst positiver Feiertag gegründet. Dabei soll der Transgender Day of Visibility ein kraftvolles und fröhliches Statement für mehr Akzeptanz sein. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen dürfte der heutige trans-Tag in besonderer Weise eher ein dramatisches Signal dafür sein, sich kämpferisch für die Gleichberechtigung queerer Lebenswelten einzusetzen. 

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