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Mehr Diversity! Oder doch nicht?
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Mehr Diversity! Oder nicht? Der Ruf nach Diversity ist allgegenwärtig, doch was steckt dahinter?

ms - 05.05.2024 - 18:00 Uhr

Am 28. Mai feiern wir in den Deutschen Diversity-Tag, einmal mehr die Chance, gerade auch für Firmen, zu zeigen, wie vielfältig und offen sie gegenüber Menschen sind, die nicht dem Mainstream entsprechen. Oder ist das alles doch eher nur Pink-Washing, also eine Show im Kampf ums bessere Image, ein buntes Treiben ohne echten Inhalt?

Die Behauptung ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn in der Tat gibt es bei einigen Unternehmen klare Anzeichen dafür, dass das Thema Diversität nur zu bestimmten Tagen oder Events vor allem online in den sozialen Medien eine Rolle spielt, inhaltlich aber nicht langfristig ganzjährig gelebt wird. Der Eindruck entsteht, dass wir immer öfter Gäste eines Schauspiels sind, während den Akteuren das Thema eigentlich ziemlich auf die Nerven geht. Ähnliches erlebt man durchaus öfters, wenn man unter Schwulen und Lesben darüber spricht. Sind wir nicht inzwischen schon ausreichend vielfältig und bunt? 

Übertreiben wir es nicht manchmal?

Die Antwort mag lauten: Bisweilen ja, weil manche Akteure das Thema Diversität auf praktisch alle Bereiche des menschlichen Lebens ausbreiten und dabei auch unbemerkt ab und an in Absurditäten abrutschen. Die Gefahr dabei: Diversität wird dann ganzheitlich ins Lächerliche gezogen und das hat sie eigentlich gar nicht verdient, denn der Grundgedanke ist ein durchaus nobler und wichtiger. Diversity bedeutet erst einmal einfach nur eine Vielfalt von Menschen und ihren individuellen Lebensformen. In der Community haben wir dabei unsere eigene Vielfältigkeit vor Augen – von schwulen Männern über Trans-Personen bis hin zu nicht-binären Menschen. Und Nein, Lesben und Bisexuelle werden bitte auch nicht vergessen. 

Blick über den Tellerrand 

Doch blicken wir über unseren eigenen Tellerrand hinaus, entdecken wir schnell, dass das Thema so viel mehr bedeutet – es geht um Gleichberechtigung, Anerkennung, Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Lebensalter oder auch physische und psychische Aspekte eines Menschen. So vielfältig Menschen innerhalb unserer Community sind, so vielfältig sind sie es auch außerhalb. Diversity wünscht sich, dass alle Menschen mit all ihren Unterschiedlichkeiten, äußerlich wie innerlich, gleichberechtigt anerkannt werden – und beispielsweise in der Berufswelt gleiche Chancen bekommen. 

So zentral es sein mag, als Arbeitgeber klarzustellen, dass einem dies wichtig ist, so schnell kann man es auch übertreiben. Die große Show lenkt oftmals gerne von der Frage ab, was wirklich in Firmenstrukturen, Vereinen, Gruppen und Organisationen geschieht. Wie gleichberechtigt ist eine Frau gegenüber einem Mann, eine schwarze Person gegenüber einem weißen Kollegen, ein Schwuler gegenüber einem Heterosexuellen, ein übergewichtiger Angestellter gegenüber dem jugendlichen Sportler? 

Was steckt wirklich hinter Diversity?

Dabei sind zwei Dinge klar: Wer Diversity nur auf das Prinzip Gleichberechtigung reduziert, wird ihm nicht gerecht, denn es geht nicht „nur“ um Menschenrechte, sondern um all das, was dahinter steht. Menschen, die sich angenommen und akzeptiert fühlen, leisten mehr, leben gesünder und sind ein Zugewinn für alle. Diversity ist eine Frage der gesamtheitlichen Einstellung und sollte sich nicht auf Scheindebatten wie solche um die Gender-Sprache reduzieren. Diversity heißt, Minderheiten aller Couleur anzuerkennen, aber deswegen nicht die Meinung der Mehrheit vom Tisch zu wischen – das ist indes das Gegenteil des Kerngedankens. Keiner steht über dem anderen – und keiner steht darunter. 

Manche selbsternannten Kämpfer der Diversity übersehen das manchmal, wie gerne wird dann schnell über den „alten weißen schwulen Cis-Mann“ geschimpft wie über ein Relikt vergangener Tage. Vergessen scheint mancherorts, dass jeder Kampf für Gleichberechtigung und Diversity der Gegenwart überhaupt nur ausgefochten werden kann, weil jene „alten schwulen Männer“ zusammen mit den inzwischen ebenso „alten Lesben“ das Fundament dafür bereitet haben. Und selbst wenn ihre Meinung und ihre Einstellungen manchmal nicht deckungsgleich sein mögen mit den idealisierten Forderungen einer jungen Generationen, so sind sie doch gleichwertig zu akzeptieren, denn auch das meint eben Diversity – wir respektieren uns gegenseitig in unserer Andersartigkeit, auch in unseren gelegentlich abweichenden Ansichten.

Austausch auf Augenhöhe

Also ja, wir brauchen noch immer mehr Diversity, innerhalb wie außerhalb unserer Community. Doch welche Strukturen sind dafür nötig? Ein wesentlicher Aspekt hat mit klassischer Überzeugungsarbeit zu tun, die auf einem Austausch auf Augenhöhe fußt. Deswegen gilt es, dazu zu ermuntern, dem „Fremden“ im Anderen zu begegnen, eine Neugier zu wecken, an dessen Ende die Erkenntnis stehen darf, es mit einem gleichwertigen Menschen zu tun zu haben. 

Auch ein schwuler Mann ist in erster Linie eins – ein Mensch. Im Alltag zeigt sich diese Diversity ganz praktisch: Mag anfangs der LGBTI*-Mitarbeiter für die heteronormative Kollegschaft noch seltsam sein, kann das alltägliche Miteinander einen grandiosen Sinneswandel hervorrufen. Das gelingt nicht immer, doch kaum etwas hat eine größere Wirkung, als wenn fremde Menschen interessiert aufeinander zugehen. So mag es viele Unternehmen geben, die Diversity schon ganz praktisch tagtäglich leben, ohne dass die Regenbogenflagge vor der Firmenzentrale flattert.

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