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Widersprüchliche Aussagen zum Thema LGBTI*-Community // © johny007pan

Ein Schritt vor und zwei zurück „Die Kirche darf nicht den wechselnden Diktaten der zeitgenössischen säkularen Kultur folgen“

ms - 31.03.2022 - 15:30 Uhr

Einmal mehr sorgt die römisch-katholische Kirche für widersprüchliche Aussagen zum Thema LGBTI*-Community und offenbart damit auch die Zerrissenheit in den eigenen Reihen. So äußerte sich Reinhard Kardinal Marx aus dem Bistum München-Freising im Interview mit dem Stern wohlwollend gegenüber queeren Menschen. Darin betont er, dass Homosexualität keine Sünde sei und meint weiter: „Es entspricht einer christlichen Haltung, wenn zwei Menschen, egal welchen Geschlechts, füreinander einstehen, in Freude und Trauer. Ich spreche vom Primat der Liebe, gerade in der sexuellen Begegnung (…) LGBTI*-Menschen sind Teil der Schöpfung und von Gott geliebt, und wir sind gefordert, uns gegen Diskriminierung zu stellen. Ich glaube: Gott sucht die Gemeinschaft mit ihnen, wie er sie mit allen Menschen will. Für mich ist es eher Sünde, andere aus der Kirche drängen zu wollen."

Für einen so hohen Kirchenvertreter durchaus beinahe revolutionäre Worte. Marx hatte bereits mehrfach erste Schritte in Richtung der LGBTI*-Community unternommen. Im Februar hatte er sich so bei einem Queer-Gottesdienst in München für den Umgang der Kirche gegenüber queeren Menschen entschuldigt. Die noch immer vorherrschende Ablehnung von LGBTI*-Menschen in der Kirche scheint Marx inzwischen nicht mehr zu befürworten – laut dem Erzbischof habe man nichts verstanden, wenn man Homosexuellen pauschal mit der Hölle drohen würde: "Der Katechismus ist nicht in Stein gemeißelt. Man darf auch in Zweifel ziehen, was da drinsteht."

Damit reagiert der Kardinal auf die jüngsten Erschütterungen der Kirche, die mit dem Gruppenouting von 125 Angestellten der Kirche unter dem Hashtag #outinchurch ihren Anfang nahmen und mit dem Rechtsgutachten über die rund 500 sexuellen Missbrauchsfälle an Minderjährigen im Zuständigkeitsbereich seines Erzbistums den bisherigen Höhepunkt gefunden hatte. Marx dazu gegenüber dem Stern: "Diese geschlossenen Systeme und ein möglicher Missbrauch klerikaler Macht sind eine Gefahr. Der Zölibat ist sicher nicht automatisch eine Ursache für Missbrauch, aber wir müssen bekennen: Das Verschweigen und das Interesse, primär die Institution und deren Ruf zu schützen, und dann erst die Opfer zu sehen, das gibt es leider bis heute! Die Kirche muss transparenter werden, es muss Teilhabe an der Macht geben, Möglichkeiten zu wirken und zu gestalten. Das in Teilen falsche Konzept des Gehorsams muss überprüft werden. Es darf keine Hierarchie mehr geben, bei der man den Oberen nur nach dem Munde redet."

Marx steht mit seinen Ansichten zwar nicht alleine da, denn mehrere andere hohe Kirchenvertreter hatten sich zuletzt bei der Deutschen Bischofskonferenz in Teilen offen für gewisse Veränderungen gezeigt, allerdings lehnt die Mehrheit der Kardinäle und Bischöfe weitreichende Änderungen bis heute ab. Dies belegen auch eindrucksvoll die jüngsten Äußerungen des ehemaligen Finanzchefs des Vatikans, George Kardinal Pell. Bevor er ein Jahr in Haft verbracht hat, weil er sich an minderjährigen Jungen vergangen haben soll – er wurde 2020 vom Vorwurf freigesprochen -, gehörte Pell zu den mächtigsten Kirchenvertretern im Vatikan. Pell kritisierte jetzt in scharfen Worten den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, der sich ähnlich wie Marx für eine Änderung des Arbeitsrechts in der katholischen Kirche ausgesprochen hatte (Queere Menschen sollen auch offiziell angestellt werden dürfen) und auch dafür plädierte, künftig gleichgeschlechtliche Paare zu segnen.

Für Pell sind all jene Aussagen viel zu LGBTI*-freundlich: „Die Kirche darf nicht den wechselnden Diktaten der zeitgenössischen säkularen Kultur folgen, sondern muss sich an den zehn Geboten festhalten. Es darf keine ´deutsche Version´ dieser Gebote geben. Die katholische Einheit erfordert Einigkeit über die wichtigsten Elemente in der Hierarchie der Wahrheiten.“ Im weiteren Verlauf forderte Kardinal Pell dann die Glaubenskongregation auf, mit aller Härte gegen die Abweichler aus den eigenen Reihen vorzugehen – diese „Irrlehren“ müssten bekämpft und ein klares „Urteil und eine Rüge“ gegenüber den hochrangigen Geistlichen ausgesprochen werden. Die positiven Äußerungen gegenüber der LGBTI*-Community seien auch deswegen nicht zu dulden, weil diese Ausdruck einer „pauschalen und ausdrücklichen Ablehnung der Lehre der katholischen Kirche zur Sexualethik“ seien.

Den Kern der Problematik fasste Pell in einem Satz so zusammen: „Die katholische Kirche ist keine lose Föderation, in der verschiedene nationale Synoden oder Versammlungen und prominente Führungspersönlichkeiten wesentliche Elemente der apostolischen Tradition ablehnen können.“ Kurzum: Solange nicht die Mehrheit der weltweit rund 5.400 Bischöfe und über 200 Kardinäle für eine offenere Einstellung gegenüber queeren Menschen ist, ändert sich nichts. Oder wäre es nach über 500 Jahren nicht einmal wieder Zeit für eine Reformation, also für eine Spaltung der römisch-katholischen Kirche? Herr Kardinal Marx, bitte übernehmen sie. 

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