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EU-Klage gegen Ungarn

EU-Klage gegen Ungarn Deutschland spielt auf Fristverlängerung und kann sich noch nicht entscheiden!

ms - 27.03.2023 - 12:00 Uhr

Was haben Frankreich, Deutschland und das rechtsnational regierte Italien gemeinsam? Sie sind die einzigen westlichen EU-Länder, die die EU-Klage gegen das ungarische Anti-Homosexuellen-Gesetz bisher nicht unterstützen – heute läuft die reguläre, sechswöchige Frist zum Beitritt als sogenannter Streithelfer ab. Sogar das EU-Parlament schloss sich in einem bis heute in dieser Art einmaligen Vorgang der Klage der EU-Kommission an, um ein starkes Zeichen gegen schwulenfeindliche Hetze und Hass zu setzen. Bleibt die Frage offen, worauf Deutschland wartet?

Warum schweigt die LGBTI*-freundliche Regierung?

Schon jetzt ist die Hinhalte-Taktik der Bundesrepublik ein sehr peinliches Vorgehen, unabhängig davon, ob sich die Ampel-Koalition schlussendlich doch noch dem Verfahren anschließend wird oder nicht. Die beteiligten Ministerien bestätigten gegenüber SCHWULISSIMO, dass die Bundesrepublik von einer Fristverlängerung Gebrauch machen wird und sich jetzt bis zum 06. April äußern möchte. Warum diese besondere und außergewöhnliche Bedenkzeit überhaupt nötig ist, ist angesichts der Tatsache, dass sich die Regierung aus SPD, Grünen und FDP gerade die Förderung von LGBTI*-Rechten auf die Fahnen geschrieben hat, besonders schwer zu beantworten.

Das ungarische Gesetz verbietet seit 2021 an den Schulen und weitestgehend in allen Medien alle Themen rund um Homosexualität wie aber auch LGBTI* und ist gesetzestechnisch in vielen Aspekten dem Verbotsgesetz aus Russland aus dem Jahr 2013 sehr ähnlich. Auch deswegen fragt Rémy Bonny von der LGBTI*-Organisation Forbidden Colours erzürnt mit Blick nach Berlin: „Stellen Sie sich wirklich auf die Seite des Kremls und der Rechtsextremen?“ Die Organisation ist eine von drei LGBTI*-Verbänden in Europa, die die EU-Klage zum größten Menschenrechtsverfahren in der EU-Geschichte machen möchten.

Italien gefallen Anti-Homosexuellen-Gesetze

Die Chancen dazu stehen gut, die meisten westlichen Länder, die bereits 2021 in einer Petition das ungarische Gesetz verurteilt hatten, zeigten bereits Rückgrat und schlossen sich auch jetzt der Klage an, darunter unter anderem die Niederlande, Dänemark, Spanien oder auch Österreich. Einzig Italien erklärte, dass das Land das Verfahren nicht unterstützen werde, was angesichts der noch neuen Ministerpräsidentin Georgia Meloni wenig überrascht; sie ist eine strikte Gegnerin von Homosexuellenrechten. Über Deutschlands langes und peinliches Schweigen kann so nur weiter spekuliert werden.

Schande für Deutschlands Führungsrolle in der EU?

Das Politmagazin Politico Europe aus Brüssel vermutet, dass Bundeskanzler Olaf Scholz vor der Zusage zurückschrecke, um nicht als „woke“ eingestuft zu werden, so wie der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán jedes LGBTI*-Vorhaben herabwürdigt. Direktor Bonny findet dazu klare Worte: „Er tappt buchstäblich in Putins und Orbans Falle. Das ist eine Schande für Deutschlands Führungsrolle in der EU!“

Auch in der EU selbst scheint das Zögern der Bundesrepublik zumindest für Verstörung zu sorgen. Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Katarina Barley erklärte gegenüber Buzzfeed News, dass Deutschland sich den anderen EU-Mitgliedsstaaten anschließen sollte und meinte zudem mit Blick auf die Regierung: „Die aktuelle Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag ja nicht nur ganz klar zur Unterstützung queerer Menschen, sondern auch zu einer EU bekannt, die ihre Werte und ihre Rechtsstaatlichkeit nach innen wie außen schützt und entschlossen für sie eintritt.“ Vielleicht muss das jetzt einer nur noch den finalen Entscheidungsträgern in Berlin erklären?  

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