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Homosexueller Algerier verzweifelt vor Gericht

Homo-Hass ist kein Asylgrund! Richter in Frankfurt am Main zeigt sich flapsig

ms - 24.08.2022 - 10:00 Uhr

Es ist eine bittere Niederlage, die ein homosexueller Asylbewerber aus Algerien heute vor dem Verwaltungsgericht in Frankfurt am Main eingefahren hat – er scheiterte mit seinem Antrag auf erneute Prüfung. Der Verwaltungsrichter erkannte keine Änderung der Sachlage, sodass die Voraussetzungen für ein weiteres Asylverfahren nicht gegeben wären.

Der homosexuelle Asylbewerber Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari (35) hatte vor Gericht geklagt, weil sich die Lebenssituation für Homosexuelle in Algerien in den letzten Monaten massiv verschlechtert habe, immer wieder komme es zu Verhaftungen und auch unrechtmäßigen Verurteilungen von schwulen Männern. Nach Angaben des Klägers müssten Homosexuelle heute schärfere Konsequenzen befürchten, als das noch vor geraumer Zeit der Fall gewesen war. Das alles überzeugte Richter Andreas Gegenwart offensichtlich aber nicht, er hatte auch in der Klage zuvor den Antrag des Algeriers abgewiesen. Bendjeriou-Sedjerari war erstmals bereits als Minderjähriger nach Deutschland geflüchtet und wurde 1998 erstmals bereits abgeschoben. 2019 reiste er erneut ein und stellte einen neuen Asylantrag, der 2020 ebenso rechtskräftig abgelehnt worden ist, woraufhin er im gleichen Jahr noch einen weiteren Antrag stellte, der schlussendlich abermals vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt wurde. Auch dagegen hatte der Algerier geklagt, der heutige Urteilsspruch beendet nun diesen erneuten Versuch.

Richter Gegenwart hatten in seiner Urteilsbegründung zudem festgehalten, dass aus seiner Sicht dem schwulen Mann nur aufgrund seiner Homosexualität in Algerien kein erhöhtes Anklagerisiko drohe, außer, es kämen “weitere Verhaltensweisen“ hinzu. Einem Homosexuellen sei es zuzumuten, in seinem Herkunftsland unauffällig zu leben, um möglicher Verfolgung zu entgehen, so der Richter weiter, der damit der Argumentation des BAMF folgte. Eine Herangehensweise, die seit längerem und äußert scharf von diversen Verbänden kritisiert wird, allen voran vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland: „Wir sind entsetzt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bis heute das europarechts- und verfassungswidrige ´Diskretionsgebot´ anwendet und immer wieder Geflüchteten unterstellt, sie würden aus eigenem, freiem Willen ein lebenslanges Doppelleben führen wollen. Sind Personen, die aus den schlimmsten Verfolgerstaaten stammen, nach ihrer Flucht in Deutschland nicht in kürzester Zeit ´out and proud´, wird ihnen schnell das innere Bedürfnis nach einem öffentlichen Umgang mit ihrer sexuellen beziehungsweise geschlechtlichen Identität abgesprochen und ihr Asylgesuch abgelehnt“, so Patrick Dörr vom LSVD zu früheren, ähnlich gelagerten Fällen.  

Für Richter Gegenwart hat sich scheinbar am Leben des schwulen Algeriers nichts geändert, auch wenn Bendjeriou-Sedjerari weiter erklärte: „Ich lebe in Deutschland meine Homosexualität frei, ohne Angst zu haben; ich helfe anderen, die Schwierigkeiten mit der Sprache haben, bei Arzt- und Behördengängen. Ich habe in Frankfurt und Hamburg auf Bühnen öffentlich über die schwierige Lage von Homosexuellen in Algerien berichtet.“ Weiter kommt der junge Mann nicht, seine Emotionen überwältigen ihn. Richter Gegenwart betont daraufhin, dass der Asylbewerber mehr auffahren müsse als seine Homosexualität, etwas “on top“ noch, wie der Richter nach Angaben der taz flapsig ausführt. Während die Ampel-Koalition zu Beginn ihrer Amtszeit angekündigt hatte, Asylargumente für LGBTI*-Menschen zu überarbeiten, hat sich bis heute an der Lage trotzdem noch nichts geändert und so erklärte auch der Frankfurter Richter weiter, dass seine Einschätzung im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei. Gegenüber der taz widerspricht Rechtsanwalt Jonathan Leuschner dieser Aussage ganz klar, sein Mandat lebe offen schwul und würde das auch in Algerien tun, er habe sich zudem zu den Zuständen dort geäußert und sei deswegen besonders gefährdet. „Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das eine klare Sache, Asyl ist sein gutes Recht“, so Leuschner. Die Antwort von Richter Gegenwart: „Wie viele Menschen sprechen in Algerien schon Deutsch?“

Rechtsanwalt Leuschners Resümee mit Blick auf den Richter: „Der weiß, dass er machen kann, was er will, weil die Hürden für eine Klage am Verwaltungsgerichtshof hoch sind.“ Bendjeriou-Sedjerari wird abschließend von seinen Freunden tröstend in den Armen gehalten. Der schwule Algerier kann gegen das Urteil einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen, darüber entscheidet schlussendlich der Hessische Verwaltungsgerichtshof. Solange Bendjeriou-Sedjerari in Frankfurt seine Ausbildung als Altenpfleger absolviert, ist er vor Abschiebung sicher. Vorbehaltlich einer entsprechenden Entscheidung der Ausländerbehörden könnte Bendjeriou-Sedjerari danach allerdings abgeschoben werden.

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