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Jeder vierte LGBTI*-Belgier erlebt körperliche Gewalt

Neue LGBTI*-Studie schockt Belgier Homosexuelle Männer werden deutlich stärker abgelehnt als Lesben

ms - 12.08.2022 - 16:30 Uhr

Im Zuge des aktuell laufenden Prides im belgischen Antwerpen veröffentlichten die beiden Medienhäuser Het Laatste Nieuws und VTM Nieuws die Ergebnisse einer neuen, repräsentativen Studie über die LGBTI*-Community in Belgien. Die teilweise stark beunruhigenden Zahlen verunsichern in diesen Tagen viele Pride-Besucher, manche Einwohner des Landes zeigten sich gegenüber der heimischen Presse offen geschockt.

Die Fakten im Detail: Einer von vier LGBTI*-Menschen in Belgien hat bereits körperliche Gewalt aufgrund seiner Sexualität erlebt. Jeder Dritte von ihnen fühlt sich aufgrund seiner sexuellen Orientierung einschränkt. Nur jeder Zweite fühlt sich sicher, wenn er in der Öffentlichkeit unterwegs ist. Anhand einer Glücksskala zeigt sich zudem, dass sich LGBTI*-Belgier doppelt so häufig unglücklich fühlen wie Heterosexuelle. Rund 60 Prozent fühlen sich manchmal allein auf der Welt, beinahe 80 Prozent erleben direkt depressive Phasen. "Das sind sehr beunruhigende Zahlen! Sie zeigen, dass es trotz des hohen Bewusstseinsgrades in unserer Gesellschaft immer noch viele Menschen gibt, die einer nicht-heteronormativen Sexualität mit großem Misstrauen oder Widerstand begegnen", so Bart Abeel, der Vorsitzende des Antwerp Prides. Wenig überraschend zeigen die Ergebnisse auch, dass Männer eine negativere Einstellung gegenüber LGBTI* haben als Frauen. Auch das Alter spielt eine Rolle: Menschen über 55 Jahre blicken strenger auf LGBTI*-Menschen als jüngere. Dennoch wird Homophobie nicht einfach altersbedingt immer weiter verschwinden, denn auch unter jungen Menschen sprechen sich rund 40 Prozent gegen LGBTI* aus. Wie auch in Deutschland zeigt sich auch in Belgien außerdem eine verzwickte Situation: Solang es abstrakt bleibt, zeigen sich die meisten Belgier tolerant gegenüber queeren Mitmenschen – rund 90 Prozent gaben an, dass jeder seine sexuelle Orientierung frei zum Ausdruck bringen können sollte.

Wird es allerdings konkreter, trennt sich die sprichwörtliche Spreu vom Weizen: Mehr als die Hälfte der Belgier sind beispielsweise direkt gegen die Adoption eines Kindes durch ein homosexuelles Paar (23 %) beziehungsweise sind der Auffassung, dass ein Kind nur von einem Mann und einer Frau (29 %) erzogen werden sollte. Zudem zeigt sich, dass die Belgier durchaus einen Unterschied dabei machen in ihrer Toleranz bei der Frage, ob es sich um ein schwules oder ein lesbisches Paar handelt. Drei Viertel (73 %) der Befragten finden es in Ordnung, wenn Frauen sich Hand in Hand in der Öffentlichkeit zeigen, bei zwei Männern schmilzt die Zustimmung auf 59 Prozent runter. Schwule Männer empfinden die Belgier so ganz allgemein eher als inakzeptabel im Gegensatz zu zwei lesbischen Frauen: Zwei männliche Homosexuelle seien je nach Frage seltsam (17 %) oder es sei schlicht unangenehm (24 %), sie in der Öffentlichkeit zu sehen.

"Die Sexualität von Männern wird immer noch anders gesehen als die von Frauen. Männer, die sich gegenseitig ihre Zuneigung zeigen, werden als klares Statement gesehen, während Frauen häufiger Hand in Hand oder Arm in Arm in einem nicht beziehungsbezogenen Kontext gesehen werden. Für unsere heteronormative Gesellschaft ist Homosexualität bei Männern immer noch schwerer zu verdauen als bei Frauen", so Abeel weiter. Die Diskrepanz zwischen allgemeiner Toleranz und persönlicher Akzeptanz zeigt sich dann auch bei der Frage nach dem Outing der eigenen Kinder: 38 Prozent der Belgier hätten damit noch immer ein Problem, nur 62 Prozent würde die Homosexualität des eigenen Kindes unterstützen. Abeel bestätigt so auch abschließend, dass Gewalt gegenüber LGBTI*-Menschen in Belgien entgegen dem gängigen Klischee als weltoffenes Land noch immer zur Tagesordnung gehört. Rémy Bonny, der Direktor der europäischen LGBTI*-Organisation Forbidden Colours, erklärte dazu: „Das sind schockierende Zahlen zur Gleichstellung von LGBTI* in Belgien - nur 63 % würden es voll und ganz unterstützen, wenn sich ihr Kind als schwul oder lesbisch outen würde! Wir sehen also, Pride ist überall notwendig!“

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