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„Wir wollen keine Redebeiträge, die schlechte Rechtfertigungen sind!“
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Prides ohne politische Parteien? „Wir wollen keine Redebeiträge, die schlechte Rechtfertigungen sind!“

ms - 16.06.2022 - 14:30 Uhr

Manchmal bedarf es wohl nur eines Funken, um eine neue Idee zu entfachen – eine Idee, die größer wird und immer mehr an Fahrt aufnimmt. So geschieht es derzeit in Deutschland aber auch in Großbritannien um die Frage, wie viel Kommerz und wie viel Parteipolitik unsere Pride- und CSD-Veranstaltungen noch vertragen, ohne ihren Markenkern zu verlieren. Die Einschätzung ist wahrlich einen subjektive und während die einen eine enge Verknüpfung von Unternehmen und Parteien mit den Prides als starkes Signal für eine Zusammenarbeit verstehen wollen, sehen andere darin eher eine Kommerzialisierung des Kampfes um Gleichberechtigung für LGBTI*-Menschen, die am Ende dazu führen könnte, dass die Forderungen der queeren Community immer mehr ins Hintertreffen geraten.

Zuletzt forderte Peter Tatchell, seines Zeichens einer der berühmtesten britischen LGBTI*-Aktivisten der ersten Stunde, dass der Pride endlich wieder zu seinen aktivistischen Wurzeln zurückkehren müsse. In Großbritannien erntete Tatchell dafür viel Zustimmung. Und in Deutschland? Das Organisationsteam des CSD in Kassel hatte dieses Jahr im Vorfeld der Demonstration erklärt, dass es politischen Parteien 2022 nicht gestattet ist, mit Parteiflaggen, Infoständen oder Redebeiträgen speziell auf sich aufmerksam zu machen. Politische Vertreter vor allem von SPD und FDP suchten daraufhin beleidigt das Weite. Und der CSD selbst? Über 3.000 Teilnehmer freuten sich sichtbar Mitte Juni darüber, dass die Demonstration die Forderungen der queeren Community in den Mittelpunkt gestellt hatte. Könnte dieses Modell also Schule machen? Sollten wir zurückkehren zu unseren Wurzeln? SCHWULISSIMO sprach darüber mit Suse Umscheid vom CSD-Team Kassel.

Suse, wie seid ihr denn ursprünglich auf die Idee gekommen, politischen Parteien in puncto Eigenwerbung klar entgegenzutreten?  

Die Idee dahinter kam aus mehreren Richtungen. Die eine Geschichte betrifft die politische Entscheidung des vergangenen Jahres, das TSG nicht zu kippen, welches für viele trans-Personen bis heute eine Katastrophe darstellt. Selbst wenn es hoffentlich jetzt dieses Jahr gestrichen wird, ist es trotzdem noch einmal ein Jahr mehr gewesen mit TSG. Die andere Geschichte ist, dass Parteipolitik die Gesellschaft formt. Sehr viele queer-feindliche Gesetze, die teilweise bis heute noch bestehen, sind von Parteien so gestaltet worden, teilweise auch von aktuellen Mitgliedern des Bundestages. Nehmen wir als Beispiel den Paragrafen 175 – der hätte nicht so lange bestehen müssen beziehungsweise überhaupt nicht erst übernommen werden sollen. Es gab immer wieder Momente, wo sich Parteipolitik für den diskriminierenden, queer-feindlichen Status quo entschieden hat. Außerdem haben wir vom Orga-Team festgestellt, dass Mitglieder von Parteien oder deren Jugendorganisationen sich wiederholt queer-feindlich geäußert haben, sicherlich nicht immer böswillig, sondern auch aus mangelnder Bildung heraus. Bei uns im Team kam trotzdem die Frage auf, was uns wichtiger ist: Sollen sich queere und trans-Personen stark präsentiert sehen und verstanden und ernstgenommen fühlen oder ist es uns wichtiger, dass parteipolitische Organisationen und Parteien sich in ihrem Ego wahrgenommen fühlen. Da war dann für uns die Entscheidung relativ easy. Wir haben kein Problem damit, wenn Menschen aus Parteien sich nach wie vor beim CSD engagieren wollen, wir reden auch nach wie vor ganz normal weiterhin mit Leuten aus den Parteien. Unser Statement war nur: Wir wollen keine Redebeiträge, die schlechte Rechtfertigungen sind! Wir wollen keine Werbung für Parteien und wir wollen keine Parteisymbolik. Manche haben das falsch wahrgenommen nach dem Motto: Die Queers wollen nichts mehr mit Politik zu tun haben. Das stimmt natürlich nicht. Politik ist mehr als Parteien. Wir wollen nur mit der, zum größten Teil nicht aufgearbeiteten, queer-feindlichen Vergangenheit und auch teilweise der queer-feindlichen Gegenwart einiger Parteien nichts zu tun haben.

Die Reaktionen auf euer klares Statement waren sehr unterschiedlich, richtig?

Ja! Einige Parteien und deren Vertreter habe mit sehr viel Verständnis reagiert und gefragt, was sie trotzdem tun können. Andere Parteien haben angedroht, dann erst recht mit vielen Parteiflaggen zum CSD zu kommen. Das ist natürlich schade. Die Reaktionen waren insgesamt sehr unterschiedlich und wir waren an ein paar Stellen einfach sozusagen “unterwältigt“ davon, wie sehr unsere Ansage von einzelnen Personen falsch verstanden werden wollte.

Der britische LGBTI*-Aktivist Tatchell fordert eine Rückbesinnung zu den Ursprüngen der gesamten Pride-Bewegung und das nicht nur für Großbritannien. Wäre eine solche Rückkehr zu den Wurzeln auch eine gute Sache für Deutschland?

Ich finde das einen spannenden Ansatz, man muss aber auch zugestehen, dass mittlerweile 50 Jahre vergangen sind und man muss beim Pride auch die aktuelle Realität mit ins Boot holen. Generell kann das eine spannende Frage für jeden CSD-Verein und jede CSD-Organisation sein; einfach mal gucken, wen holen wir uns da in die Kiste und mit wem arbeiten wir da zusammen. Mit Bezug auf Konzerne und Unternehmen ist das natürlich die eine Frage, mit wem man dort kooperiert, aber auch mit Blick auf die Politik stellt sich da die Frage: Wer profitiert da eigentlich gerade von wem? Ein CSD und ein Pride müssen sich an die queere Community richten. Da geht es nicht darum, dass man ein besonders buntes Haustier für einen Konzern oder eine Partei ist, sondern wir versuchen, Menschenrechte zu erkämpfen, die uns vorenthalten werden – zum Teil genau von diesen Parteien.

Seit der neuen Bundesregierung herrscht in der LGBTI*-Community eine gewisse Aufbruchsstimmung, die Ampel-Koalition hat queeren Menschen viele Verbesserungen versprochen. Auf der anderen Seite haben in der Vergangenheit auch Mitglieder der drei Regierungsparteien immer wieder rechtliche LGBTI*-Fortschritte blockiert. Ärgert es euch, dass diese Parteien oder einzelne Vertreter sich vielleicht derzeit manchmal auf dem einen oder anderen Pride als “Retter der Community“ inszenieren?

Das ist genau das, über das wir auch im Orga-Team sehr viel gesprochen haben. Wir können damit leben, wenn Parteien versuchen, Verantwortung zu übernehmen. Das ist eigentlich sogar unser Wunsch, dass Parteien anfangen, endlich Verantwortung zu übernehmen für ihre Geschichte und ihre Entscheidungen. Ganz viele Entscheidungen, die aktuell getroffen werden, sind zwar gut, aber sie sind auch wahnsinnig spät dran. Wir hätten einfach bestimmte Sachen schon vor vielen Jahren gekippt haben können und andere Dinge gar nicht erst aufnehmen müssen ins Gesetz. Wir sind es leid, dass man sich hinstellt und das absolute Mindestmaß als etwas Weltbewegendes feiert. Es gibt irgendwie immer noch teilweise die Auffassung oder den Wunsch, dass queere Menschen für alles, was auch nur einen Hauch weniger scheiße ist, laut klatschen müssen. Das ist aber nicht unser Job!

Das heißt, auch den aktuellen Regierungsparteien würde etwas mehr Demut guttun?

Ein bisschen mehr Verantwortungsübernahme! Ich würde es nicht zwingend Demut nennen, das ist mir zu sehr katholisch konnotiert. Und es braucht in den Parteien ein bisschen mehr Verständnis dafür, dass es da auch Intersektionen gibt. Es hilft uns zum Beispiel nichts, wenn jemand sagt, wir machen jetzt etwas für queere Personen, aber wir denken dabei nur an weiße, queere Personen. Oder wenn eine Partei sagt, wir machen etwas für queere Personen, aber wir denken dabei nur an cis-schwule Männer. Oder wenn eine Partei trans und inter getrennt denkt. Ich wünschte mir, da gäbe es mehr Ruhe, mehr Verständnis und mehr Einsicht, dass man in manchen Punkten vielleicht noch dazulernen muss.

Ihr habt nun Mitte Juni den ersten größeren CSD ohne Parteipolitik in Deutschland gefeiert. Also, wie war es?

Schön! Es war ein sehr junger CSD, sehr viele queere Menschen aus dem Nachwuchs sowie aus dem ländlichen Bereich waren dabei. Viele bunte Pride-Flaggen und dafür keine Parteisymbolik und keine großartigen Werbehinweise. Wir hatten einfach ein Fahnenmeer an Pride-Flaggen. Dazu waren viele Leute mit politischen Plakaten und Bannern mit Forderungen unterwegs. Unterm Strich haben es fast alle, die dagewesen sind, als Erfolg wahrgenommen und wir haben von ganz vielen Seiten ein sehr positives Feedback und die Rückmeldung bekommen, dass es ein ganz empowerendes, irgendwie queer-utopisches Ding war. Der CSD endete dann auch in einer Parkanlage und wurde sozusagen zu einem riesengroßen Regenbogenpicknick.  

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