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Hartmut Evermann von der Lübecker AH

Hartmut Evermann von der Lübecker AH „Ich denke, dass wir mehr und mehr eine Beratungsstelle zur sexuellen Gesundheit im Allgemeinen werden“

km - 30.09.2021 - 16:22 Uhr

Die Lübecker Aidshilfe feiert ihren 35-jährigen Geburtstag. In all diesen Jahren hat sich einiges verändert und viele Dinge wurden gelernt. Trotz der langjährigen Erfahrung gibt es mit Ereignissen wie die Corona-Pandemie auch immer wieder neue Herausforderungen. Und wie sieht es in den kommenden 35 Jahren aus – was wird sich ändern? SCHWULISSIMO hat mit Hartmut Evermann über diese und weitere Themen gesprochen.

 

 

Worauf seid ihr nach 35 Jahren am meisten stolz?
Wir sind in Schleswig-Holstein eher schwach aufgestellt, was das Thema Aidshilfen angeht – wenig Standorte für so ein großes Flächenland. Und was wir trotz dessen reißen und bewegen – da bin ich bzw. sind wir schon sehr stolz drauf.
Ohne die Zusammenarbeit und das Netzwerken würde das alles gar nicht möglich sein. Wir arbeiten mit CSD-Vereinen, mit Stiftungen, Firmen, Betrieben und Organisationen zusammen und sind sehr gut vernetzt.
Besonders stolz bin ich auch auf unsere Ehrenamtlichen. Da muss man unterscheiden zwischen Projekt Aidshilfe – also das was man nach außen sieht und dann gibt es noch den Verein Aidshilfe – also das was man nicht sieht (Mitgliederversammlung, Kassenwart usw.). Wenn ich diese Menschen, die da ehrenamtlich beteiligt sind, zusammenzähle sind wir bei etwa 20 Menschen inklusive Vorstand. Das ist ein Goldschatz – andere Aidshilfen sind da nicht so gut ausgestattet. Ein buntes Team ob jung, alt, positiv, negativ, trans*, schwul, hetero – Diversity at it‘s best!

Du sagtest eben, ihr seid gut vernetzt – wie hilft euch das bei der Arbeit?
Indem wir gemeinsame Veranstaltungen planen und durchführen. Zum Beispiel der beliebte Stadtrundgang in Lübeck während der Pride Week. Dort nehmen so 80 bis 100 Teilnehmer teil – durch Corona war es etwas weniger. Ich mache da die Moderation als „Lustlotse“, welches auch ein ehrenamtliches Programm bei uns ist. Da laufen wir verschiedene Stationen an und überall gibt es eine Fachkraft mit Expertise. Unter anderem mit dabei sind der CSD-Verein, das Gesundheitsamt, der LGBTI*-Beauftragte der Polizei und viele mehr.
So sind wir breit aufgestellt und man kann sich gegenseitig über neue Projekte austauschen.

Du hast Corona eben bereits erwähnt, welche weiteren Herausforderungen brachte Corona hervor?
Der erste Lockdown war eine große Herausforderung, als wir alle noch nicht wussten, was los war. Wir haben mit Wechselschichten begonnen, um mit nur einer Person vor Ort arbeiten zu können. Uns war es wichtig, das Angebot aufrecht erhalten zu können – wir waren weiterhin übers Telefon erreichbar und den Checkpoint (kostenloses Testangebot) haben wir nur einmal ausfallen lassen müssen.
Problematisch waren Veranstaltungen, die wichtig sind um präsent zu sein und sich zu connecten. Vor dem Lockdown bekamen wir auch drei neue Ehrenamtliche und das ist natürlich ein unschöner Start gewesen, da auch Schulungen teilweise ausgefallen sind. Aber wir haben alle zusammengehalten.

© privat



In einer Gesellschaft, die immer offener wird – wie groß bleibt das Problem der Stigmatisierung und des Schweigens?
Im Prinzip ist das unser größtes Problem. Wenn bei Dating-Profilen jemand offen kommuniziert, dass er HIV-positiv ist, wird oft das Interesse verloren und die Person zusätzlich geblockt – das haben mir Betroffene berichtet.
Das noch größere Problem ist im medizinischen Bereich. Ich habe gerade einen Fall von einem Krankenpfleger, der in einem Krankenhaus nicht eingestellt wird, aufgrund seiner Diagnose. Ein anderer erzählte von einem panischen Pfleger auf der Notaufnahme, der ihn nicht behandeln wollte, aus Angst sich anzustecken. Selbst beim Zahnarzt werden diese Menschen anders behandelt.
Mit Blick auf die immer älter werdenden Gesellschaft, sehe ich große Probleme in der Pflege, was die Themen Vorurteile, Ängste und Diskriminierung angeht. In den meisten Fällen entsteht Diskriminierung aus Unsicherheit, Ängsten und Unwissenheit.
Mediziner*innen nehmen sich leider oft nicht die Zeit mit uns Pädagog*innen zusammenarbeiten – dabei könnten wir ihnen wichtiges Wissen vermitteln und Stigmatisierung verhindern.

Die Pflege-Ausbildung wurde reformiert und das Thema HIV und Aids ist im „Lehrplan“ aufgenommen worden. Ich hoffe nur, dass sich die Lehrenden die entsprechende Expertise aneignen.
Es wäre natürlich schön, wenn man in dem Punkt mit Aidshilfen zusammenarbeiten würde, da wir auf dem aktuellsten Stand sind.

Wie sieht es in den kommenden 35 Jahren aus?
Ich bin seit 20 Jahren hier Mitarbeiter und höre jedes Jahr seit Beginn, dass es nur noch 10 Jahre dauert bis wir einen Impfstoff haben. Ich bin da eher pessimistisch.
Optimistisch bin ich allerdings bei der Vergabe der Medikation. Weitestgehend wird es oral eingenommen, inzwischen ist eine Monatsspritze zugelassen. Die Zukunft liegt meiner Meinung nach bei Implantaten oder drei Monatsspritzen.

Wie sich die Aidshilfe verändern wird, sieht man bereits heute. Wir weiten die Prävention auf andere sexuell übertragbare Krankheiten aus. Zudem wird immer deutlicher, dass ein Schutz vor diesen Krankheiten bzw. Infektionen auch etwas mit einem selbstbewussten Umgang mit Sexualität zu tun hat. Das wollen wir mehr fördern, denn je mehr die Sexualität einer Person unterdrückt oder tabuisiert wird, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Mensch ein Risiko eingeht. Ich denke, dass wir mehr und mehr auch eine Beratungsstelle zur sexuellen Gesundheit im Allgemeinen werden und das bedeutet nicht nur die Abwesenheit von sexuell übertragbaren Krankheiten, sondern auch ein selbstbestimmtes, zufriedenes und glückliches Sexleben – ein Empowerment. Wir werden daher auch bald unseren Namen ändern, sodass das auch nach außen verdeutlich wird.

Wie kann man euch unterstützen?
Wir freuen uns immer über ehrenamtliche Mitarbeiter*innen und Spenden sind natürlich auch gerne willkommen.
Man kann uns übrigens auch als Erben eintragen.

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