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Streit unterm Regenbogen

Streit unterm Regenbogen Berlin streitet um die Verwendung der „richtigen“ Pride-Flagge!

ms - 26.05.2023 - 11:00 Uhr

Kommentar

Das könnten heiße Pride-Tage in Berlin dieses Jahr werden und das liegt nicht nur an den ersten Hitze-Prognosen der Wetterexperten, sondern auch am neusten Streit mitten im schwul-lesbischen Kiez in Schöneberg. Was war geschehen?

CDU fordert mehr Sichtbarkeit queerer Menschen

Seit rund 25 Jahren wird zum CSD in Berlin sowie zum Lesbisch-Schwulen Stadtfest die Regenbogenfahne am Schöneberger Rathaus aufgezogen, allerdings nicht direkt an den offiziellen Flaggenmasten, sondern an zusätzlichen Fahnenmasten seitlich des John-F.-Kennedy-Platzes. Die CDU brachte nun in dieser Woche einen Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung ein, die Regenbogenflagge in diesem Jahr endlich auch an den hochheiligen offiziellen Flaggenmasten direkt vor den Rathäusern in Schöneberg und Tempelhof hissen zu lassen. Wohlgemerkt ein Vorschlag der CDU, die anderenorts wie in München gar nicht erst beim CSD dabei sein darf. Die Begründung der Partei: „Die traditionelle Vorreiterfunktion des Bezirks sollte genutzt werden, um ein Zeichen für die Sichtbarkeit und Akzeptanz queerer Menschen zu setzen.“

Freude in Berlin? Keineswegs!

Freude schöner Götterfunken! Da müsste jetzt doch Partystimmung in Berlin Schöneberg sein, will man meinen. Meint man aber falsch, denn schon steht der nächste Streit ins Haus. Die Frage aller Fragen lautet nun: Ja, welche Flagge darf es denn sein? Die klassische, sechsfarbige Regenbogenfahne, die eigentlich alle homosexuellen und queeren Menschen einschließt, oder doch die sogenannte Progress Pride Flag, die mit zusätzlichen Zacken, Ecken, Farben und Punkten besondere Gruppen der Community hervorhebt, beispielsweise Trans-Menschen, Intersexuelle und queere People of Colour.

Genau jene Menschen würden sich nach Aussage des Tagesspiegels nämlich auch bisher „nicht repräsentiert“ sehen von der klassischen Beflaggung. Eine Flagge für alle, bei der sich nicht alle angesprochen fühlen, sozusagen. Es sei zum Verständnis erwähnt, die bisherigen sechs Farben der klassischen Regenbogenflagge stehen seit rund 50 Jahren explizit nicht für einzelne Gruppen der Community, sondern für allgemeine Aspekte wie beispielsweise das Leben oder die Gesundheit. Die hinzugefügten Symbole der Progress Pride Flag hingegen heben einzelne Gruppen der Community gesondert heraus.

Neue und alte Diskriminierung unterm Regenbogen

Einer für alle, alle für einen? Dann lieber doch nicht. Prompt brachten deswegen jetzt die Grünen, SPD und Linke einen weitergehenden Antrag ein, der die Progress Pride Flag fordert – vielleicht frei nach dem Motto: "So queer-freundlich wie die Schöneberger CDU sind wir schon lange." Die neue Flagge sei wichtig, denn laut Elias Joswich von den Grünen gehe es darum, die „Anliegen von Menschen sichtbar zu machen, die besonders diskriminiert seien.“ Das  klingt ein wenig nach einem hippen Opfer-Ranking.

Welcher Teil der Community wird jetzt bitte aktuell am meisten diskriminiert? Und ist eine Heraushebung einzelner Gruppen der LGBTI*-Community nicht für andere Teile erneut diskriminierend? Während nun also plötzlich Trans-Menschen oder Intersexuelle direkt bildlich vertreten sind, dürfen sich Schwule, Lesben, Bisexuelle oder auch Bärenliebhaber, Fetischfreunde sowie Poly- Pan- oder Asexuelle nur noch „mitgemeint“ fühlen, explizit aufgeführt werden sie nicht. Blickt man auf die Datenlage der letzten Jahre in puncto Hasskriminalität zeigt sich übrigens, dass schwule Männer bis heute die größte Opfergruppe in der Community sind. Aber deren Diskriminierung brauchen wir nicht mehr gesondert hervorzuheben, weil, ja, weil…

Die CDU solle sich nicht so anstellen

Die Linken-Bezirksverordnete Katharina Marg wies laut Tagesspiegel dann noch darauf hin, dass man keinesfalls „hinter die Progress Pride Flag zurückwolle“, man empfinde die klassische Regenbogenfahne als weltweit klar verständliches Symbol für die Community also inzwischen als, ja, was eigentlich? Altbacken? Von gestern? Zurückgeblieben oder doch direkt diskriminierend?

Der CDU wiederum ging das nun zu weit, eine Progress Pride Flag lasse die Berliner Flaggenordnung auch nicht zu. Und in der Tat ist dort tatsächlich genau geregelt, wie die Regenbogenfahne auszusehen hat, beschrieben wird schwarz auf weiß die klassische sechsfarbige Flagge. Aber was kümmern einen schon Verordnungen, dachte sich wohl die SPD. Fraktionschefin Marijke Höppner erklärte so dann offenbar auch, die CDU „solle nicht so sehr an der Flaggenverordnung hängen, das kleine Risiko könne man schon eingehen.“ Man stelle sich nur einmal kurz für einen Moment vor, eine Partei rechts der Mitte würde demnächst etwas Ähnliches bei der nächsten Beflaggung eines Rathauses in irgendeinem anderen deutschen Bundesland einfordern. Das wäre dann aber sofort wieder diskriminierend, mindestens.

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