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Prinzip Traumprinz
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Prinzip Traumprinz So klappt es mit der Liebe

ms - 03.02.2023 - 17:00 Uhr

Liebe liegt in der Luft – gut, das mag man bei dem Regengrau draußen vor dem Fenster nicht unbedingt sofort erkennen, doch mit Blick in den Kalender zeigt sich, dass im Februar einmal mehr der wichtigste Tag des Jahres für die Blumen- und Geschenkekitsch-Industrie ansteht: Valentinstag. Und auch wenn uns klar ist, dass eine Geste der Liebe nicht nur einmal im Jahr durchaus schön und beziehungsförderlich sein kann, schenken viele schwule Paare sich trotzdem an jenem besonderen Tag etwas als Zeichen ihrer Liebe füreinander. Doch wie steht es eigentlich mit der Liebe unter Homosexuellen generell? Lieben Schwule genauso wie heterosexuelle Menschen oder nicht? Und wie kann eine Liebesbeziehung langfristig funktionieren? SCHWULISSIMO wollte es genauer wissen und fragte nach bei Claudia Brinkmann, sie ist Systemischer Paar-Coach im medizinischen Versorgungszentrum Köln für Psychotherapie Odendahl & KollegInnen. Ein Schwerpunkt der Praxis ist die Paar- und Sexualtherapie für schwule Paare.

Beginnen wir mit einer grundsätzlichen Frage: Ist Liebe unter Homosexuellen anders als unter Heterosexuellen? Definieren Homosexuelle Liebe anders?

Die Wünsche, Sehnsüchte aber auch die Erwartungen an eine Beziehung sind sowohl bei hetero- als auch homosexuellen Paaren ähnlich, nämlich gleiche Werte. Nähe und Vertrauen sind ganz weit vorne, aber auch eine befriedigende Sexualität. Ein interessanter Unterscheid besteht aber laut einer britischen Studie bereits in der Partnerwahl: Homosexuelle suchen häufiger als Heterosexuelle Partner mit einer ähnlichen Lebenseinstellung und kompatiblen Zielen aus. Sie unterhalten sich auch offener über ihre Bedürfnisse und Wünsche und sprechen eher an, was ihnen Probleme bereitet. Sie sprechen auch mehr über Sexualität.

Kommen Homosexuelle mit anderen oder andersartigen Problemen in die Praxis oder gleichen sich am Ende die Probleme?

Die Probleme ähneln sich sehr: Oftmals geht es dabei um Themen wie zum Beispiel die unterschiedliche Kommunikation, Eifersucht, unerfüllte Sexualität oder die Entfernung beider voneinander in der Beziehung, also der emotionale Rückzug.

Was erwarten und erhoffen sich Homosexuelle von einer Liebesbeziehung?

Dass sie das Leben mit jemanden teilen und verbringen können, der ähnliche Zielen im Leben hat. Mit hinein in die Liebesbeziehung gehören natürlich auch Wünsche wie Zweisamkeit, Nähe, sich angenommen fühlen und auch eine erfüllte Sexualität.

Gerade unter schwulen Männern ist bekannt, dass einige noch immer nach dem “perfekten Traumprinzen“ suchen und dabei vielleicht den ein oder anderen tollen Kandidaten vorschnell zur Seite schieben.

Das Prinzip des “Traumprinzen“ ist mir gut bekannt. Mein Eindruck ist, dass hier stets eine sehr hohe Erwartungshaltung an den Partner oder eben den obligatorischen Traumprinzen besteht. Hier wird viel auf diese Person projiziert: bestimmte Charakterzüge oder Eigenschaften, das Aussehen und so weiter; interessant ist dabei zu hinterfragen, woher diese Anforderungen kommen. Sind es Eigenschaften, die wir vielleicht in unserer Kindheit an den uns erziehenden Menschen vermisst oder geschätzt haben? Hinter der Suche nach dem Traumprinz kann aber auch eine Bindungsvermeidung stecken, nämlich dann, wenn der Traumprinz ewig unerreichbar bleibt. Mein Rat dazu: Am besten ist es, sich erst einmal bewusst darüber zu werden, wie man selbst leben möchte. Welche Werte mir in einer Beziehung wichtig sind. Welcher Partner passt dazu oder eben überhaupt nicht dazu? Und welche Lehren kann ich bezüglich der Eigenschaften eines Menschen aus vergangenen Partnerschaften ziehen – was hat da warum nicht oder doch eben gut geklappt? Und diese Erkenntnisse kann man dann bei der künftigen Partnerwahl berücksichtigen. Wichtig ist dabei, dennoch Kompromisse an den Stellen einzugehen, wo wir flexibler sind. Vielleicht muss man zum Beispiel nicht zwingend dem gleichen Hobby nachgehen. Stecken Bindungsprobleme hinter dem Traumprinz-Prinzip,  rate ich zu psychologischer Unterstützung, um langfristig wirklich offener für eine Partnerschaft zu werden.

Heterosexuelle Beziehungen sind teilweise ja noch immer bewusst oder unbewusst von alten Rollenmodellen bestimmt. Homosexuelle Paare indes können ihre Beziehung ohne althergebrachte Rollenmodelle gestalten – das schafft auf der einen Seite eine große Freiheit, kann aber vielleicht auch Angst machen. Oder?

Das ist eine interessante Frage. Eine zweite britische Studie zeigt, dass die Tatsache, dass homosexuelle Paare tatsächlich von den Rollen-Stereotypen befreit sind, oftmals zu weniger Streit führt, zum Beispiel darüber, wie die Haushaltsarbeit aufgeteilt wird. Eine etwa gleich große Aufteilung der Aufgaben im Haushalt ist ein wichtiges Kriterium für eine glückliche Beziehung. Diese Freiheit ist also tatsächlich eine Erleichterung im Vergleich zu heterosexuellen Beziehungen.

Nach mehreren Jahren öffnen viele schwule Paare ihre Beziehung, sind offen für sexuelle Erfahrungen außerhalb der Partnerschaft. Seit vielen Jahren wird auch in der Gay-Community gern darüber gestritten, ob Monogamie überhaupt sinnvoll ist oder nicht. Mit welchen Erfahrungen kommen Klienten zu ihnen?

Ich kenne homosexuelle Paare, die ihre Beziehung geöffnet haben und glücklich miteinander eine offene Beziehung führen. Und ich kenne homosexuelle Paare, die lange zusammen sind und immer noch monogam leben. Ich denke, es kommt auf die jeweilige Paar-Konstellation an, ob eine Beziehung geöffnet werden kann oder sollte. Dies hängt von den Wünschen und Bedürfnissen der jeweiligen Partner ab. Um dies zu klären, kann auch eine Paartherapie sinnvoll sein.

Was früher für schwule Männer die Klappen waren, sind heute Dating-Profile. Studien zeigen auf, dass immer weniger Homosexuelle überhaupt noch in Szene-Clubs oder Bars gehen, der allergrößte Teil der schwulen Männer lernt sich auf diversen Dating-Apps kennen. Ist das eher Fluch oder Segen?

Mir sind vermehrt Menschen begegnet, die unter dieser Kategorisierung oder zum Teil auch der bewertenden Haltung in solchen Apps leiden, besonders dann, wenn sie Schwierigkeiten haben, einen Partner zu finden. Die Erfahrungen, die damit zusammenhängen, können mitunter sehr verletzend sein. Hier ist es sinnvoll, bei sich zu bleiben und auch auf alternative Möglichkeiten der Partnersuche zurückzugreifen, beispielsweise über Freunde oder doch mal wieder eine Fete zu besuchen.

Welche Rolle spielt das eigene Coming Out oder das des Partners für das Gelingen einer Liebesbeziehung? Gerade auch zum Beispiel, wenn ein Partner out ist, aber der andere nicht.

Das Coming Out ist auch ein Bekenntnis zum Partner selbst. Also, zum Beispiel: „Ich bekenne mich bei meiner Familie zu dir“. Es kann mitunter für den anderen verletzend sein, wenn ein Partner diesen Schritt scheut. Selbstverständlich kann es Familiensituationen geben, besonders bei anderen Kulturkreisen, die ein Coming Out schwierig machen oder nur dann möglich sind, wenn man den eventuellen Bruch mit der Herkunftsfamilie in Kauf nimmt. Wichtig ist, gemeinsam darüber zu sprechen, was ein Coming Out schwierig macht, und zu schauen, ob der Andere Verständnis dafür haben kann. Auch ein gemeinsames Abwägen der Konsequenzen kann Teil dieses Austauschs sein.

© Intuitive Fotografie Köln

Wie wichtig ist für eine gute homosexuelle Beziehung auch das Umfeld? Sprich, wie reagieren Freunde aber vor allem auch Familien auf den Partner?

Je freier man sich auch im Umfeld miteinander bewegen und begegnen kann, umso besser. Die Eltern des anderen zu meiden, weil sie selbst einem nicht so wohl gesonnen sind, kann eine Beziehung belasten. Am wichtigsten ist hier aber auch, Ja zu sich selbst zu sagen und bei sich zu bleiben, auch wenn die (Schwieger-)Eltern es einem selbst oder dem Partner vielleicht nicht so einfach machen.

Die Hasskriminalität gegenüber Homosexuellen ist zuletzt binnen eines Jahres um 50 Prozent angestiegen. Eine Folge davon ist, dass einige homosexuelle Paare in der Öffentlichkeit zum Beispiel nicht mehr Händchen halten. Wie gefährlich sind solche negativen Entwicklungen für eine homosexuelle Liebesbeziehung?

Für die Liebesbeziehung selbst hat das meiner Ansicht nach weniger Auswirkungen. Der gemeinsame Austausch oder das Öffnen und Sprechen über die Gefühle mit dieser Problematik können vielmehr verbindend sein. Auswirkungen hat diese Entwicklung natürlich auf das Gefühl, sich als Paar frei und unbeschwert zu fühlen. Aber darunter leidet die Liebe selbst eher weniger.

Welche grundsätzlichen Aspekte sind für homosexuelle Paare wichtig, damit ihre Liebe lange halten kann?

Miteinander reden und nachfragen, wenn mich etwas verunsichert oder ich etwas vielleicht falsch verstanden haben könnte. Sich offen und auch verletzlich zeigen, öffnet Herzen und schafft Nähe. Den Partner zur Priorität machen und auch der Beziehung gegenüber engagiert zu sein, und nicht zum Beispiel in dem schönen fremden Mann im Fitnessstudio oder dem Arbeitskollegen auch insgeheim einen potentiellen Partner zu sehen. Eine sehr wirksame Übung, die ich meinen Klienten empfehle, ist das gegenseitige “Sharing“, also das Teilen: Man nimmt sich etwas ungestörte Zeit zusammen, in der jeder zehn Minuten einfach erzählt, was in ihm vorgeht – der Partner hört aufmerksam zu. Dann wird gewechselt. Was vielleicht banal klingt, hat sehr positive Auswirkungen auf das sich verstehen können in der Partnerschaft.

Gibt es Punkte, die in homosexuellen Liebesbeziehungen oftmals vergessen werden?

Oftmals vergessen wird generell, dass Konflikte oder Probleme auch Chancen sind, um in der Beziehung miteinander zu wachsen, und dass diese für jeden einzelnen die Möglichkeit bietet, sich zu entwickeln, einfach schon dadurch, indem eigene Verletzungen angeschaut und überwunden werden können oder man auch den Partner mit seiner Verletzlichkeit und der Geschichte dahinter kennenlernt. Das schafft Nähe und Verbundenheit.

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