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Ha! Erkannt! Gibt es das Schwulen-Gen?
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Ha! Erkannt! Gibt es das Schwulen-Gen?

vvg - 27.11.2023 - 17:00 Uhr

Andreas     

aus Köln   

Mir fallen da zuerst die klassischen Bartgeschichten ein. Auch wenn viele keinen Bart haben, die, welche ihn tragen, sind daran zu erkennen. Sie haben einen eigenen Stil, den ich nicht erklären kann, aber ich könnte sofort sagen, wer schwul ist und wer nicht. Und dann gibt es diese Kleinigkeiten. Regenbogen-Fahnen oder -Sticker, die auftauchen auf Taschen, Rucksäcken, Revers oder Mützen. Einige haben einen Gang, dass sie eher schweben, denn gehen, die brauchen auch keinen Bart, damit ich sie erkenne. Vielleicht ist es das übertriebene Männlichkeitsverhalten bei den einen und die herausgestellte Weiblichkeit bei den anderen. Es ist der Paradiesvogeleffekt des unbedingten Auffallens.

Ganz wichtig sind Blicke, damit spürt man sich auf. Die Art und Weise, wie man sich aufeinander fokussiert und beobachtet. Die Scheu selbst enttarnt zu werden und gleichzeitig die Neugier, es vom anderen zu erahnen, dabei die direkten, fast schon synchronen Blicke in die Augen, tief in die Seele des anderen. Fast können sich die Blicke nicht voneinander losreißen, sie kleben förmlich aneinander und es folgt ein letztes oft bestätigendes Umschauen. In den Großstädten wir Köln, Hamburg oder Berlin erlebt man es so und so, da man sich auch in den Szenegegenden bewegt, aber auch in kleineren Städten, dafür umso unerwarteter und überraschend.


Da ich viele gehörlose Freunde habe und die Gebärdensprache beherrsche, bewege ich mich in Kreisen, bei denen das Visuelle eine viel stärkere Rolle spielt. So erlaube ich mir zu behaupten, dass dieses Erkennen in den letzten Jahren auch durch die Einflüsse, der digitalen Welt oder dem Zufluss von Menschen aus anderen Kulturen so geblieben ist. Vielleicht hat es sich verändert, weil jemand lieber in sein Handy schaut, als zu anderen Menschen zu blicken.

 

© vvg

Andreas          

aus Solingen  

Also ich erkenne das immer sofort, wenn mir schwule Männer entgegenkommen. Das sieht man doch entweder am Gang oder an der Körperhaltung. Es ist wie ein siebenter Sinn oder ein gewisses Bauchgefühl, das lässt sich nur schwer erklären. Ich lag zwar nicht immer richtig, aber zu 80% hat mich mein Gefühl nicht getrogen.

Der größte Teil des Erkennens geht aber über das Sehen. Wenn ich zu Jemandem intensiven Augenkontakt aufnehme und dieser ein wenig länger besteht, als zu vergleichbaren anderen Menschen in der Fußgängerzone, liege ich mit meiner Vermutung immer richtig. Das ist wie ein Blick in die Seele. Über solche Begegnungen der Blicke habe ich echt viele Männer kennen gelernt. Ich kann es nicht erklären, man sendet irgendwie Signale, die andere schwule Männer ebenso empfangen können.

Eigentlich bin ich eher ein schüchterner Mann, aber wenn es dabei gemeinsam mit dem Gegenüber zu einem Lächeln kommt, kommt es meist auch zu einem Gespräch. Wenn das auch nicht immer bei der ersten Begegnung dazukommt – man sieht sich immer zweimal - geschieht es spätestens bei der zweiten. Und wenn ich einen Mann besonders gut finde, überfalle ich ihn zwar nicht, aber ich drehe mich auch schon mal nach ihm um; so wie es der andere in den meisten Fällen auch macht. Dieses „Erkennen“ verliert man auch im Alter nicht; sondern da wird es nur noch schlimmer. Das Gute heutzutage ist, das man sich schneller und vor allem überall kennenlernen kann. Leider ist die Kunst des Flirtens am Aussterben, viele suchen lediglich nur eine schnelle Nummer. Und das geschieht in den meisten Fällen eh nur noch über Handy.

 

© vvg

Jo und Jürgen          

aus Kleve   

Man sieht es und man weiß es. Man hat eine Antenne dafür und es ist wie so ein unsichtbarer Radar. Wir laufen öfters hier die Einkaufsmeile lang und weisen uns gegenseitig darauf hin, wenn wir jemanden „entdecken“. Wenn ich von jemanden mit diesem Blick angeschaut werde, dann schaue ich länger zurück als normalerweise. Ich denke, es sind diese zwei Sekunden mehr, die man hinschaut. Der Blick ist es, das nochmalige Umdrehen und Hinterherschauen. Es ist wie ein Magnet, der die Blicke zusammenhält. Und wenn derjenige interessant ist und denkt das gleich von dir, dann ist es der Beginn eines Flirts.

Es war auch bei unserem Kennenlernen ähnlich. Ich habe einen Buchladen und Jo blieb vor dem Schaufenster stehen. Ich schaute raus und fragte mich, warum er da stehen bleibt. Ich sprach ihn an: „Wenn du reingehst, dann kannst du noch mehr sehen.“ Bei ihm war es relativ schwierig, ihn als Schwulen zu erkennen, weil er ein sehr männlicher Typ ist. Wenn man weiß, wie Blicke enttarnen können, kann man dieses Erkennen auch bewusst vermeiden. Bei Jo habe ich eine Weile gebraucht, während er es von mir über gemeinsame Bekannt wusste

Die Zeit heute ist eine andere, als die Zeit, die wir erleben durften. Die jungen Schwulen brauchen das nicht mehr, weil sie alles im Internet oder digital machen. Früher gab es mehr Treffpunkte, wie Kneipen, Cafés oder Partys. Das ist viel weniger geworden, auch durch diese digitalen Medien. So haben sie sich selbst unentbehrlich gemacht. Viele hätten keine Chance mehr, einen Partner zu finden, weil sie die anderen Möglichkeiten verlernt haben oder diese nicht mehr kennen.

 

© vvg

Joachim        

aus Duisburg

Manche glauben ja, alle Schwulen hätten das sogenannte Schwulen-Gen in sich; ich habe das nicht. Trotzdem behaupte ich, dass ich bei den meisten Männern erkennen kann – bevor sie es manchmal selber wissen – dass sie schwul sind.

Es ist in vielen Fällen auf der einen Seite die Art, wie sie sich bewegen, und auf der anderen Seite wie sie sprechen; denn sehr viel geht über die Stimme, den Tonfall und wie sie sprechen. Und die Art, wo sie hinschauen. Wenn man Männer beobachtet, wohin sie ihr Augenmerk hinlenken, also was sie interessant finden, bekommt man eigentlich sehr schnell raus, ob jemand auf unserer Wellenlänge schwimmt oder nicht. In der Stadt findet der erste Kontakt auch gerne mal über den Schaufensterblick statt, erst danach schaut man sich direkt an. Es folgt ein Lächeln, man zwinkert sich zu und es kommt zum Gespräch. Das läuft alles schnell ab, so dass man relativ schnell auch bemerkt, wie der andere tickt. Wenn man von weitem jemanden sieht, besteht der erste Kontakt in erster Linie über die Augen. Es gibt diesen bewussten, sehr intensiven und nicht erklärbaren Blick, der verrät, ob das Gegenüber interessiert ist oder gar nichts mitbekommt. Der Blick wandelt sich dann schnell zu einem Flirt und im besten Fall hat man damit Erfolg.

Dieses intensive Ansehen und Erkennen gab es schon immer; den gab es schon, als man nicht öffentlich schwul sein durfte. Da haben sich die Männer schon erkannt und gefunden. Das wird es auch immer geben, es sei denn, der andere läuft blind durch die Straßen, weil er nur sein Handy vor Augen hat und von anderen Menschen gar nichts mitbekommt.

 

© vvg

Johannes & Julian        

aus Köln & Bonn

Es ist einmal das Offensichtliche, wie man sich kleidet oder bewegt, um seinen Pride nach außen zu tragen und seine Nonkonformität zeigt. Meist ist aber subtiler. Es sind offene oder versteckte Blicke. Ich schau mir als schwuler Mann natürlich andere Männer an und da bemerkt man eine Erwiderung oder eine Ignoranz der Blicke. Dem einen fällt es auf und er will angeschaut werden, oder ich merke, wenn es jemandem unangenehm ist.


Früher, als man sein Schwulsein verstecken musste, gab es kleine Zeichen oder Gesten, um sich einander zu erkennen zu geben. Heute müssen wir uns nicht mehr verstecken, dass bedeutete aber auch, dass die Grenzen verschwimmen, wir geben uns oft heterolike und Heteros benutzen unbewusst ehemals schwule Symbole. Äußere Merkmale sich zu Erkennen verschwinden immer mehr, umso wichtiger bleibt dann dieser Instinkt, sich empathisch zu erkennen. Man täuscht sich heute sicher öfter als früher, dafür ist es aber nicht mehr lebensgefährlich und Hetero-Männer können gut damit umgehen und sehen dies oft als Kompliment.


Ich, Johannes hatte mal ein lustiges Erlebnis als ich 17 war. Ich fuhr im Bus nach Haus und mir gegenüber saß ein netter junger Mann und alles deutete darauf hin, dass er mein Flirten erwiderte und dass er ebenso schwul war wie ich. Ich fuhr also bewusst wieder mit demselben Bus und er war tatsächlich darin. Ich setze mich neben ihn, legte meine Hand und einen Zettel mit meiner Telefonnummer auf seinen Oberschenkel. Er tat so, als würde ich ihn verwechseln. Bei einer dritten gemeinsamen Fahrt, hatte er ein Mädchen dabei und demonstrierte mir, dass er mit ihr zusammen sei. Ich weiß bis heute nicht, ob ich mich wirklich getäuscht habe.

 

© vvg

Uwe      

aus Duisburg

Ich glaube, wir Schwule haben einfach den gewissen Blick dafür. Ich mache es tatsächlich immer an den Blicken fest, die Art, wie man sich bei der ersten Begegnung in die Augen schaut. Ist das ein kurzer Blick oder ist der länger, intensiver und signalisiert Interesse? Es kann auch der Gang sein, oder bestimmte Gesten. Man erkennt es einfach, ohne darüber nachzudenken. Und ich lag in den meisten Fällen richtig. Früher hat die Mode viel über einen Menschen verraten, oder der Ohrring. Heutzutage haben die heterosexuellen Männer unsere Identität geklaut, indem sie so rumlaufen, wie wir das früher getan haben.

Wenn ich jemanden cool finde und ihn ansehe, merke ich ja, ob mein Blick erwidert wird oder ob er mich ignoriert. Wenn er an mir vorbeigegangen ist, schaue ich ihm auch schon mal nach, um zu sehen, ob er sich umdreht. Früher war ich schüchterner, heute darf ich auch mal den Blick zurück wagen. Freunde sagen mir oft, dass ich die Männer nicht mit meinen Augen ausziehen soll. :-)

Ich habe mal jemanden in der Stadt gesehen, den ich abends im „Harlekin“ wiedertraf und da kam man dann direkt ins Gespräch. Und lustig ist auch folgende Geschichte: Ich kam gerade aus der Haustür heraus, als ein Typ Werbezettel für eine Pizzeria in die Briefkästen verteilte. Wir sahen uns an und wussten beide sofort Bescheid. Er grinste und fragte, ob ich Zeit hätte und ich antwortete ihm, er solle seine Werbeaktion zu Ende austeilen und dann zurückkommen. Er sagte zu, erschien auch nach einiger Zeit und wir hatten einen netten Abend.  Aber eine Pizza brachte er nicht mit.

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