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Unfassbar: Don´t Say Gay kommt! // © IMAGO / ZUMA Wire
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Florida: Don´t Say Gay kommt! „Dieses Gesetz isoliert LGBTI*-Jugendliche!“

ms - 09.03.2022 - 09:40 Uhr

Die LGBTI*-Community in Florida und ganz Amerika steht in diesen Tagen einmal mehr unter Schock – das queerfeindliche, sogenannte „Don´t Say Gay“ Gesetz wird tatsächlich eingeführt werden. Auch die massiven Proteste von tausenden Schülern in der vergangenen Woche verhallten wohl ungehört. Der Senat von Florida stimmte am Dienstag mit 22 zu 17 Stimmen für das Gesetz. Zuvor hatten die Republikaner noch jeden Änderungsantrag abgeschmettert, der den Wortlaut des Gesetzes hätte abschwächen können.

Im letzten Schritt wird jetzt Gouverneur Ron DeSantis das Gesetz unterschreiben. DeSantis ist nicht nur ein glühender Verfechter des Gesetzes, sondern nach wie vor auch ein heißer Anwärter für die Präsidentschaftswahlen 2024 – allein, um seine republikanische Wählerschaft hinter sich zu vereinen, darf gesichert angenommen werden, dass er das Gesetz unterschreiben wird. Zuletzt hatte der Pressesprecher des Gouverneurs am Wochenende die neue Verordnung als „Anti-Pädophilen-Gesetz“ beschrieben – wer gegen das neue Gesetz sei, sei wahrscheinlich selbst ein Pädophiler.

 

Damit erreicht das Trauerspiel nun seinen derzeitigen Höhepunkt und während Republikaner das Gesetz mit der offiziellen Bezeichnung "Parental Rights in Education Bill" feiern, zeigen sich LGBTI*-Aktivisten und Lehrer in ersten Stellungnahmen verzweifelt. Künftig wird es unter Strafandrohung verboten sein, in den Grundschulen über das Thema LGBTI* auch nur zu reden, sei es im Unterricht selbst oder beispielsweise auch, wenn Schüler über ihre queeren Eltern erzählen würden. Verstößt ein Lehrer gegen die neuen Richtlinien, drohen ihm Bußgelder von 10.000 US-Dollar. Eltern haben künftig die Möglichkeit, die Lehrer direkt zu verklagen, wenn sie der Auffassung sind, dass diese einen „unangebrachten“ Stoff vermittelt haben. Der Gesetzestext ist dabei so schwammig formuliert, dass er viel Platz für persönliche Interpretationen lässt.

 

Todd und Jeff Delmay, eines der ersten gleichgeschlechtlichen Paare, die in Florida geheiratet haben, zeigten sich gegenüber BBC News entsetzt:

 

„Dieses Gesetz verbietet es unserem 11-jährigen Sohn Blake, frei über seine Väter zu sprechen. Wir haben gekämpft und gewonnen, um Kinder zu adoptieren, eine Familie zu sein und zusammen zu sein. Und jetzt versuchen sie, jeden Weg zu finden, um uns und unsere Familien auszulöschen. Dieses Gesetz isoliert LGBTI*-Jugendliche! Dabei sollte das Bedürfnis eines Kindes nach Akzeptanz in einem sicheren Raum immer Vorrang vor der Überzeugung einiger Eltern haben.“

 

Auch von oberster Stelle ertönten verzweifelte Worte. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, erklärte, der Präsident verurteile die Verabschiedung dieser „hasserfüllten Gesetzgebung, die sich gegen gefährdete Schüler richtet." Präsident Joe Biden und seine Regierung seien in Gedanken bei den LGBTI*-Schülern.

Auch der US-Bildungsminister Miguel Cardona zeigte sich in einem Statement erschüttert:

"Eltern im ganzen Land erwarten von den Verantwortlichen auf Bundes-, Landes- und Bezirksebene, dass sie die Schüler unserer Nation unterstützen, ihnen helfen, sich von der Pandemie zu erholen, und ihnen die akademische und psychische Unterstützung bieten, die sie brauchen. Stattdessen geben die Verantwortlichen in Florida hasserfüllten Gesetzesentwürfen den Vorrang, die einigen der bedürftigsten Schüler schaden. Das Bildungsministerium hat klargestellt, dass alle Schulen, die Bundesmittel erhalten, auch die Bundesgesetze für Bürgerrechte befolgen müssen, einschließlich des Schutzes vor Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität.“

 

Wie krank und verdreht dagegen die Gesinnung der Befürworter des Gesetzes ist, zeigte sich exemplarisch an den Äußerungen des Senators Dennis Baxley, der sich stark besorgt über die steigende Zahl von Schülern äußerte, die sich als queer outen. Für Baxley wohl nicht viel mehr als eine Modeerscheinung, ein gefährlicher Trend:

 

"Es geht doch oftmals in den Schulen nur noch darum, sich schnellstmöglich zu outen, solange man noch an der Schule ist. Es gibt wirklich eine ansteigende Besorgnis darüber, wie viel davon echte Erfahrungen sind und wie oft im Gegensatz Kinder nur verschiedene Dinge ausprobieren wollen, von denen sie gehört haben, und so experimentieren und in verschiedene Arten von Identitäten schlüpfen. Das ist es doch, was Kinder tun. Sie probieren diese verschiedenen Identitäten aus, um zu sehen, wo sie hinpassen. Plötzlich tauchen all diese Fragen über Sexualität und Geschlecht auf. Ich verstehe nicht, warum das gerade jetzt so eine große Welle ist. Ich bin mir sicher, dass es zum Teil an der kulturellen Veränderung liegt, was akzeptiert wird und so weiter. Aber ich weiß, dass ein Teil davon einfach die Verwirrung ist, die Kinder durchmachen, besonders wenn sie in die Mittel- und Oberstufe kommen.“

 

Mit dieser Meinung steht der Senator nicht alleine da - der Florida Family Policy Council, eine konservative Gruppe, die das Gesetz unterstützte, erklärte erst letzte Woche, dass die staatlichen Schulen in den USA ideologisch und politisch geworden seien und inzwischen mehr daran interessiert sind, die queerfreundliche Politik und die sexuellen Neigungen eines Kindes zu formen, anstatt die Fächer Lesen, Schreiben, Mathematik und Bildung zu unterrichten. Dass der Vorwurf der Ideologisierung und Politisierung der Schulen gerade aus dem konservativen republikanischen Lager kommt, entbehrt dabei nicht einer bitteren Ironie , versuchen doch derzeit gerade Republikaner mit Anti-LGBTI*-Gesetzen in rund 30 Bundesstaaten in den USA die Schulen zur Kampfzone für den nächsten Präsidentschaftswahlkampf zu machen.

 

Kämpferisch zeigte sich die LGBTI*-Rechtsorganisation Equality Florida, die erklärte:

 

"Lassen Sie uns eines klarstellen: Sollte die vage Formulierung des Gesetzes in einer Weise ausgelegt werden, die einem einzigen Kind, einem Lehrer oder einer Familie Schaden zufügt, werden wir rechtliche Schritte gegen den Staat Florida einleiten, um diese bigotte Gesetzgebung anzufechten. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie das Büro des Gouverneurs uns als Pädophile bezeichnet. Wir werden nicht zulassen, dass dieses Gesetz LGBTI*-Menschen in Florida schadet. Wir werden nicht zulassen, dass eine Schule dieses Gesetz in einer Weise durchsetzt, die die Sicherheit von Kindern gefährdet. Wir sind bereit, für die Menschen in Florida vor Gericht zu kämpfen und die Gesetzgeber, die dieses Gesetz unterstützt haben, an der Wahlurne zur Rechenschaft zu ziehen.“

 

Es klingt ein wenig wie der Mut der Verzweiflung, der seit der Entscheidung in der Luft liegt. Mit einem Kloß im Hals fasste die Senatorin Linda Stewart aus Orlando das neue Gesetz zusammen:

 

„Die Schießerei im Pulse Club in Orlando darf nach dem neuen Gesetz nicht mehr als Teil der Geschichte Floridas im Unterricht behandelt werden. Das verletzt eine Gemeinschaft, die so lange diskriminiert wurde, wie wahrscheinlich jeder von uns auf dieser Erde gelebt hat."

 

Bei dem Attentat auf den LGBTI*-Club wurden im Jahr 2016 insgesamt 49 queere Menschen ermordet. Ob dieses, nun „verbotene“ Thema auch so ein Punkt wäre, der – in der Weltanschauung von Senator Baxley – die Schulkinder dazu animieren würde, queeres Leben doch einfach einmal spaßeshalber auszuprobieren?

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