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Europäisches Gericht stärkt Menschenrechte
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Können LGBTI* in Ungarn & Polen hoffen? Wie mutig wird die EU für queere Gleichberechtigung kämpfen?

ms - 16.02.2022 - 11:29 Uhr

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute eine neue Regelung zur Ahndung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit für rechtens erklärt. Ein politischer Paukenschlag! Damit stärkt das höchste Gericht Europas mit Sitz in Luxemburg die Europäische Union und die europäischen Grundwerte wie beispielsweise die Menschenrechte – auch mit Blick auf die LGBTI*-Community.

Zuvor hatten die Länder Polen und Ungarn gegen die neue Regelung geklagt – diese Klage wurde nun abgewiesen. Als letztes Mittel darf die EU Gelder einfrieren oder kürzen, wenn Mitgliedsländer gegen den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus verstoßen. Dieses neue, ansich durchaus machtvolle Schwert zur Einhaltung der grundsätzlichen Werte innerhalb der EU war erst letztes Jahr nach heftigen Debatten eingeführt worden. Bereits damals hatten Polen und Ungarn versucht, das neue Gesetz gänzlich zu verhindern, indem sie ihre Zusage zum künftigen europäischen Haushaltsplan verweigerten. Die Statuten sehen allerdings vor, dass alle Länder diesem zustimmen müssen – es drohte also kurzfristig, dass dringend benötigte Gelder mitten in der Corona-Pandemie durch eine Art von Erpressungsversuch nicht ausbezahlt hätten werden können.

John Boss
© John Boss

Die Mitgliedsstaaten unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft hatten sich schlussendlich in letzter Minute auf einen verwaschenen Kompromis geeinigt – so greift der neue Rechtsstaatsmechanismus nur, wenn dieser in Verbindung mit EU-Geldern steht, beispielsweise bei Veruntreuung von Geldern. Künftige andere Sanktionen könnten also weiterhin ins Leere laufen. Das IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung fasste die Situation einmal so zusammen: „Es ist wirklich keine sinnvolle Idee, mit den Verächtern des Rechtsstaats über einen Mechanismus zur Verteidigung des Rechtsstaats verhandeln zu wollen. Zehn Jahre nach dem ungarischen und fünf Jahre nach dem polnischen Regierungswechsel sollte sich niemand Illusionen machen, dass gutes Zureden hier noch helfen könnte. Eine Verteidigung der europäischen Werte ist nur gegen diese Regierungen, nicht im Konsens mit ihnen möglich.“

Verstößt ein Land generell dabei gegen fundamentale Menschenrechte wie die rechtliche Gleichstellung von LGBTI*-Menschen, kann dies nicht einfach mit finanziellen Sanktionen geahndet werden. So sehr sich die EU auch offiziell für LGBTI*s in Europa einsetzt, ist sie aktuell machtlos, wenn beispielsweise Polen in diesem Monat ein neues Gesetz einführt, das queere Lebensweisen an Schulen verbietet, im Unterricht Geschichtsfälschung betreibt und die staatliche Zensur an allen Bildungseinrichtungen wieder einführt. Außer – und hier liegt der Knackpunkt – wenn beispielsweise solche Bildungsprogramme mit EU-Geldern bezahlt werden. Es wäre fürwahr ein juristisch spezial gelagerter Sonderfall, doch bleibt eine kleine Hoffnung für die LGBTI*-Communitys bestehen.

Für Rémy Bonny, dem Direktor der gemeinnützigen LGBTI*-Organisation Forbidden Colours und EU-Politikaktivist, ist es trotzdem ein Etappensieg und eine grundsätzlich sehr positive Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs: „Polen und Ungarn haben ihren verfassungswidrigen Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit missbraucht, um Menschenrechtsverteidiger, allen voran die queere Community und Frauenaktivisten, zum Schweigen zu bringen und anzugreifen. Dieses Urteil des EuGH ist eine wichtige Mahnung für die EU-Kommission: Es gibt keine Minute zu warten, um die Demokratie zu retten.“

Die EU-Kommission hatte sich bisher sehr zögerlich gezeigt, sodass sogar das Europaparlament massiv Druck ausübte und seinerseits die EU-Kommission wegen ihrem zögerlichen Verhalten vor dem EuGH verklagte - das Verfahren läuft jedoch noch. Die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen betonte indes immer wieder, dass die Vorbereitungen für Verfahren gegen Polen und Ungarn laufen würden, aber man das Urteil des EuGH noch abwarten wolle. Nun wäre grundsätzlich der Weg frei, im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit Gelder für Polen und Ungarn einzufrieren. Die Gesamtausgaben für Ungarn und Polen belaufen sich für die EU auf mehr als 22 Milliarden Euro jährlich.

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