LGBTI*-Rettung halbherzig Die Bundesregierung nimmt „nur“ rund 80 afghanische LGBTI*-Menschenrechtler auf
Die Nachricht, dass mehr als 80 afghanische LGBTI*-Menschenrechtsverteidiger eine Aufnahmezusage für Deutschland bekommen haben, klingt zunächst einmal sehr gut. Natürlich ist diese grundsätzliche Nachricht auch eine sehr gute, doch gibt es dabei ein gravierendes Problem: Partner von gleichgeschlechtlichen Menschenrechtsaktivisten sowie andere LGBTI*-Personen werden bei dieser Rettungsaktion schlichtweg vergessen oder übergangen, wie der Lesben- und Schwulenverband jetzt stark kritisiert. Patrick Dörr vom Bundesvorstand dazu:
„Im geplanten Aufnahmeprogramm für Afghanistan darf ein menschenrechtliches Engagement mit Blick auf LSBTI nicht alleiniges Kriterium für eine mögliche Aufnahme sein. Da Homosexualität und ein Engagement für LSBTI-Rechte auch unter der vorherigen afghanischen Regierung verboten waren, schließt solch ein Vorgehen queere Personen faktisch fast aus. Der LSVD kritisiert solch einen Ausschluss von LSBTI auch bei der Familienzusammenführung. Nur die als Eheleute und leibliche Kinder definierte „Kernfamilie“ wird berücksichtigt. Damit werden gleichgeschlechtliche Paare dafür bestraft, dass ihre Beziehungen in Afghanistan lebensgefährlich sind und nicht rechtlich anerkannt werden. Gleichgeschlechtliche Paare, die im Herkunftsland verfolgt wurden, müssen vom Auswärtigen Amt bei der Familienzusammenführung mit Ehepaaren gleichgestellt werden.“
Nach der erneuten Machtübernahme der Taliban im Land herrschen in Afghanistan seitdem abermals desaströse Zustände. UNICEF warnt bereits vor den Folgen eines kompletten Zusammenbruchs des Landes. Die Grundversorgung könne nicht aufrechterhalten werden, zudem gäbe es gravierende Probleme bei der medizinischen Versorgung und auch in allen organisatorischen Bereichen - von der Bildung bis zur Verwaltung. Besonders dramatisch ist die Situation für LGBTI*-Menschen, denen die Todesstrafe droht. Ein Taliban-Richter erklärte nach der Machtübernahme, dass Homosexuelle ausnahmslos die Steinigung erwarte. Auch der LSVD bestätigt die dramatische Situation, so Dörr weiter: „LSBTI befinden sich in Lebensgefahr. Ihnen drohen nach der Machtübernahme durch die Taliban Verfolgung, Folter und Mord. Da sie ungeoutet leben, oftmals nicht zu den Ortskräften gehören oder offen in Menschenrechts-NGO arbeiten, ist es schwer, sie zu identifizieren. Umso wichtiger ist es, die Hilfegesuche von Menschen, die sich uns gegenüber zu erkennen geben, ernst zu nehmen. Es muss alles dafür getan werden, ihre Leben zu retten.“
So reicht die geplante Aufnahme von rund 80 LGBTI*-Menschen bei weitem nicht aus, noch dazu, wo Partner dieser Personen gänzlich vergessen werden, wenn sie nicht offiziell als Eheleute registriert sind – was in Afghanistan erneut einem Todesurteil gleich käme. Die Staatssekretärin Susanne Baumann stellte dazu im Januar 2022 klar: “Die Bundesregierung teilt die Sorge über die Situation lesbischer, schwuler, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher Menschen in Afghanistan (…) Die Bundesregierung hat angekündigt, ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Afghanistan einzurichten, in dem die besondere Situation verschiedener Personengruppen – auch von LSBTI - Eingang finden soll. Darüber hinaus beabsichtigt die Bundesregierung, die Rechte von LSBTI auch weiter mit Projekten zur Stärkung der Zivilgesellschaft vor Ort zu schützen." Fraglich bleibt, wie eine solche Stärkung vor Ort überhaupt aussehen sollte – und ob die zugesagte Aufnahme überhaupt noch rechtzeitig für viele LGBTI*-Personen kommt.