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Queerer Afghane Opfer der Taliban // © IMAGO / Xinhua
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Queerer Afghane Opfer der Taliban „Ich habe wirklich keine Hoffnung mehr!“

ms - 03.03.2022 - 16:30 Uhr

Ein schwuler, nicht-binärer Afghane ist Opfer der Taliban geworden und überlebte den Anschlag auf seine Person nur mit knapper Not. 18 Mal stachen die Islamisten auf den 23-jährigen Sara ein, der mit Stichwunden an Beinen, Bauch und Rücken schwer verletzt überlebte. Die Angreifer ließen anscheinend nur von ihm ab, weil sie den queeren Afghanen für tot hielten. Dabei beschimpften sie den jungen Queer und erklärten, dass jetzt die Zeit gekommen sei, Leute wie ihn endgültig zu erledigen.

Die jüngste Eskalation ist ein weiteres dramatisches Beispiel für die veränderte Lage von LGBTI*-Menschen in Afghanistan, die seit den militärischen Truppenabzügen der Amerikaner und Europäer schutzlos den Taliban gegenüberstehen.

Erst im Januar machte ein Bericht von Human Rights Watch und OutRight Action International auf die hoffnungslose Lage der LGBTI*-Afghanen seit der Machtübernahme der Taliban aufmerksam und sprach von einer "zunehmend verzweifelten Situation." Der 43-seitige Bericht mit dem Titel "Even If You Go To The Skies, We'll Find You" enthält Interviews mit 60 queeren Afghanen, die zwischen Oktober und Dezember letzten Jahres geführt wurden, und schildert schreckliche Fälle von Drohungen, Gewalt und sexuellen Übergriffen. J. Lester Feder von OutRight Action International gegenüber Pink News:

„Man kann gar nicht genug betonen, wie verheerend - und erschreckend - die Rückkehr der Taliban-Herrschaft für LGBTI*-Afghanen ist. Wir haben mit LGBTI*-Afghanen gesprochen, die Gruppenvergewaltigungen und Mob-Angriffe überlebt haben oder von ihren eigenen Familienmitgliedern, die sich den Taliban angeschlossen haben, gejagt wurden, und sie haben keine Hoffnung mehr, dass staatliche Institutionen sie schützen werden. Für diejenigen LGBTI*-Menschen, die aus dem Land fliehen wollen, gibt es nur wenige gute Optionen; die meisten Nachbarländer Afghanistans kriminalisieren ebenfalls gleichgeschlechtliche Beziehungen."

Nemat Sadat, ein schwuler afghanisch-amerikanischer Aktivist, hat seit dem Angriff geholfen, Saras Unterkunft und Essen zu bezahlen. Sadat sammelt seit der Machtübernahme durch die Taliban über eine GoFundMe-Seite Spenden für die Rettung von LGBTI*-Afghanen.

"Bevor die Taliban an die Macht kamen, gab es so viele Menschen, die transgender und nicht-binär waren. Sie arbeiteten als moderne Hochzeitstänzer, nicht nur in Privathäusern, sondern auch in großen Hochzeitssälen in Kabul. Sie arbeiteten als prominente Maskenbildner im afghanischen Fernsehen; es gab Modenschauen, Konzerte - alles war so sichtbar. Inzwischen hat die queere Community in Afghanistan das Gefühl, so besiegt zu sein, dass sie nichts mehr tun kann, weil sogar ihre Verbündeten sie im Stich gelassen haben und ihnen den Rücken kehren."

Der nicht-binäre Afghane wurde inzwischen aus der Stadt gebracht, äußerte sich allerdings trotzdem mit den Worten:

„Ich habe wirklich keine Hoffnung mehr!“

Mit seiner Aktion hat, der in Amerika lebende Aktivist Nemat Sadat bisher rund 21.000 US-Dollar an Spenden eingesammelt. Die einzige Überlebenschance für queere Afghanen sieht er in der Evakuierung aus dem Land. Deswegen hat er auch sein Erspartes dafür bereitgestellt und die Organisation Roshaniya gegründet, die LGBTI*-Menschen bei der Flucht hilft.

"Seitdem die Taliban wieder an der Macht sind, hat sich auch die Gesellschaft gegen LGBTI*-Menschen gewandt. Queere Menschen sterben, dabei versuchen sie eigentlich immer noch, ihre Wahrheit zu leben, zu sich zu stehen", so Sadat.

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