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Küssende schwule Männer!

Küssende schwule Männer! Fast 60 Prozent der Sachsen lehnen das ab! Warum?

ms - 30.04.2023 - 17:00 Uhr

Ein Kuss zwischen zwei schwulen Männern – was in einigen Teilen der Bundesrepublik bereits mehrheitlich nicht mehr besonders ins Gewicht fällt beziehungsweise gleichwertig angenommen wird, sorgt in anderen Bundesländern Deutschlands noch immer für Beleidigungen oder sogar Angriffe. Doch warum ist das so? Die OECD veröffentlichte vor kurzem zum ersten Mal Daten, wie homosexuellenfreundlich die einzelnen Bundesländer sind – je nach Frage schneiden die Bundesländer unterschiedlich ab. Besonders markant tritt dabei Sachsen negativ in Erscheinung.

Nur 40 Prozent der Sachsen finden schwule Küsse okay

Das Bundesland mit über vier Millionen Einwohnern steht mit Abstand auf dem letzten Platz aller sechszehn Bundesländer, wenn es um die Anerkennung von Regenbogenfamilien geht. Noch tiefer Fallen die Zustimmungswerte bei der Frage nach zwei schwulen Männern, die sich küssen – nur gerade einmal knapp 40 Prozent der Sachsen finden das in Ordnung, die Mehrheit lehnt es ab.

Im bundesweiten Durchschnitt hingegen haben 62 Prozent der Deutschen kein Problem mehr damit. Warum also hat Sachsen so ein großes Problem mit küssenden schwulen Männern? SCHWULISSIMO fragte nach bei  Alexander Bahr und Danilo Ziemen vom LGBTI*-Beratungsverein Gerede e.V. in Dresden, der vor allem Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Rat und Tat zu Seite steht, aber auch viele weitere Treffen organisiert  – für Regenbogenfamilien ebenso wie für schwule Väter oder homosexuelle Männer 50+.

In der OECD-Studie liegt Sachsen in puncto Landesaktionsplan zwar im Mittelfeld, bei der Frage, wie die Einwohner aber auf küssende Homosexuelle oder Regenbogenfamilien reagieren, auf dem allerletzten Platz. Der Lesben und Schwulenverband erklärt sich das unter anderem mit einer Mischung aus Ressentiments gegenüber LGBTI* und dem Zusammenspiel anderer Faktoren wie Rassismus. Was sagt ihr dazu?

Danilo: Menschenverachtende Einstellungen sind in Sachsen besonders ausgeprägt, was diverse „Mitte“-Studien zeigen. Auch ist dies an den hohen Wahlergebnissen der AfD zu sehen. Was wir aber in der letzten Zeit beobachten, ist die zunehmende Sichtbarkeit von queeren Themen und Anliegen auch im sogenannten ländlichen Raum. So gibt es in immer mehr sächsischen Kleinstädten CSDs oder queere Gruppen. Gleichwohl stellen wir aber eine fehlende Sensibilität in der Verwaltung, der Polizei und auch auf politischer Ebene fest.

Alex: Gleichzeitig bietet es sich hier an, noch mal einen Schritt zurückzutreten. Michael Lühmann, ein Demokratieforscher und Politikwissenschaftler, der sich intensiv mit Sachsens Rechtsextremismus auseinandergesetzt hat, verweist „besonders auf die Gebiete südlich und östlich der Stadt Dresden – jener vermeintlichen ´Opfer-Stadt´, die schon um 1900 Hochburg des parteipolitischen Antisemitismus war, später Zentrum der nationalsozialistischen deutschen Kirche, im vergangenen Jahrzehnt Aufmarschort der größten europäischen Nazi-Kundgebungen und Heimat von Pegida, zugleich Partei- und Regierungszentrale des wohl am weitesten rechts stehenden CDU-Landesverbandes, der sein Heil künftig wohl noch weiter rechts suchen will“. Entsprechend wird der Freistaat seit 1990 durchgängig durch die CDU in teils unterschiedlichen Koalitionen regiert, wobei die CDU immer die Mehrheit in der Regierung hatte.

Neben dieser konservativen Kraft gab und gibt es noch unterschiedliche rechte Parteien. Betrachten wir die Landtagswahlen seit der Wiedervereinigung, nehmen die Zustimmungswerte zu rechts-konservativen Parteien in Sachsen in den letzten beiden Wahlen zu, wobei sie generell nicht als niedrig anzusehen waren. 2019 erreichten konservative bis rechte Parteien einen Stimmenanteil von 63,6 % der Wähler*innen. Das ist erschreckend und verdeutlicht gleichzeitig auch die wieder vonstattengehende hegemoniale Landnahme dieses Spektrums. Die Anwesenheit rechter Politik- und Identitätsangebote seit den 1990er Jahren in drastischem Ausmaß in Gesellschaft und Politik normalisiert, wie es David Begrich so treffend auf den Punkt bringt: „Dort wird eine soziale Praxis rechter Ideologie gar nicht mehr als solche erkannt, sondern gilt als legitimer Teil von Meinungsbildung und Lebensgestaltung.“

Wir haben es in Sachsen leider mit einer langen Kontinuität konservativer bis rechter Ideologien zu tun. Dass es in Sachsen mittlerweile einen Landesaktionsplan zur Akzeptanz der Vielfalt gibt, der sich derzeit in der Überarbeitung befindet, ist insbesondere den Parteien der SPD und Grünen sowie der Linken aus der Opposition und nicht zuletzt den zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zu verdanken. Diese haben über viele Jahre auf unterschiedlichsten Ebenen die Gleichstellung und Gleichberechtigung vorangebracht.

Der Freistaat umschreibt seinen Landesaktionsplan mit „Vielfalt statt Einfalt“. Die Bemühungen werden von der OECD im deutschen Mittelfeld eingeordnet, mit Blick auf die negativen Bewertungen im allgemeinen Umgang mit Homosexuellen, stellt sich dann allerdings die Frage: Kommt der Landesaktionsplan bei den Bürgern in Sachsen einfach nicht an?

Danilo: Vor allem sehen wir hier die fehlenden finanziellen Ressourcen. Viele Maßnahmen lassen sich nur mit entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen umsetzen, welche langfristig gewährt werden müssen, sodass auch langfristige Implementierungen stattfinden können. Auch braucht es klare und deutliche Botschaften seitens der Kommunal- und Landespolitik.

Alex: Der bisherige Landesaktionsplan war ein erster Aufschlag. Im Prozess seiner Erstellung waren viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen beteiligt, eine Menge toller Ideen und Maßnahmen wurden gemeinsam erarbeitet und flossen in ihn ein. Doch ein Entwurf ist halt noch lange kein verabschiedeter Aktionsplan; in der weiteren Bearbeitung seitens der Regierung wurden viele wichtige Maßnahmen herausgenommen, Ziele wurden weicher formuliert, Finanzierungen nicht ausreichend zur Verfügung gestellt. Von Jahr zu Jahr verbessert sich die Situation, wir sind allerdings immer noch weit von einer bedarfsgerechten Umsetzung des Aktionsplans entfernt. Wir setzen hier auch Hoffnung in die derzeitige Überarbeitung des Aktionsplans. Um auf Danilo noch kurz einzugehen: neben den deutlichen Botschaften aus der Landesregierung braucht es zudem ein deutliches und konsistentes Handeln – nicht nur aus einzelnen Ministerien.

Vertreter der Regierung von Mecklenburg-Vorpommern, die teilweise ähnlich schlecht in der Studie weggekommen sind wie Sachsen, erklärten mir, bei allen Bemühungen seitens der Politik liege es ein Stück weit auch immer an der Bevölkerung. Sie müsse bereit sein, Änderungen und Verbesserungen für LGBTI*-Menschen auch anzunehmen. Liegt das Problem in Sachsen also ein Stück weit auch in der Bevölkerung selbst?

Danilo: Schuldzuweisungen sind unseres Erachtens nicht sinnvoll. Es ist bekannt, dass zum Beispiel eine positive und angemessene Berichterstattung über queere Themen hilfreich für Veränderungen sein kann. Auch ist eine rechtliche Gleichstellung förderlich. Ebenso gilt es, queere Themen, welche immer auch Menschenrechtsthemen sind, in den Bildungseinrichtungen als Querschnittsthema zu integrieren.

Alex: Gleichzeitig liegt es auch in der Aufgabe einer Regierung, ihre Bevölkerung und insbesondere marginalisierte Gruppen vor Anfeindungen und Gewalt zu schützen sowie deren Rechte zu gewährleisten. Dort, wo Grenzen überschritten werden, müssen staatliche Institutionen zur Stelle sein und eingreifen. Das dies noch ausbaufähig ist, zeigt die Studie zur Hasskriminalität gegenüber queeren Menschen in Sachsen, die die LAG Queeres Netzwerk Sachsen veröffentlicht hat. Gleichzeitig möchte ich Danilo beipflichten, dass uns Schuldzuweisungen nicht helfen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, queere Menschen und andere marginalisierte Gruppen zu schützen, zu unterstützen und zu akzeptieren.

Der Verein Gerede e.V. in Dresden berät auch viele LGBTI*-Jugendliche. Welche Sorgen und Ängste sind bei jungen homosexuellen und queeren Menschen in Sachsen derzeit am stärksten vertreten?

Danilo: Vor allem das Coming-Out in der Schule und in der Familie. Kontakt zu anderen queeren Jugendlichen sowie Unterstützung seitens von Lehrkräften, Schulsozialarbeit… und eine gute medizinische Versorgung beim Trans-Weg.

Auch thematisch ist der Verein breit aufgestellt, von schwulen Senioren und Gay-Väter über Trans-Themen, Kinderwunsch und QueerKids. Welche Punkte sind derzeit für die Community in Sachsen am wichtigsten?

Alex: Ich glaube, da gibt es nicht das eine Thema, es werden viele unterschiedliche sein. Vermutlich sind wir uns aber alle darin einig, dass wir alle ein möglichst gerechtes, schönes und vor allem sicheres Leben führen wollen.

Alex, Danilo, vielen Dank für das Gespräch!

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