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 Schwule Afghanen erwartet in eigens dafür eingerichteten Foltergefängnissen die Hölle auf Erden: Waterboarding, Verbrennungen und Peitschenhiebe sind an der Tagesordnung.

Schwul in Afghanistan Ein sicheres Todesurteil!

ms - 03.12.2022 - 17:00 Uhr

Homosexuelle in Afghanistan leben in Todesgefahr, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Taliban alle getötet haben.

Seit August 2021 haben sich diverse Menschenrechtsgruppen wie der Lesben- und Schwulenverband Deutschland die Finger wund geschrieben mit der Bitte, die Bundesregierung möge nach dem Abzug der US-Truppen und ihren Verbündeten zeitnah und schnell alle LGBTI*-Menschen aus Afghanistan retten. Was folgte, waren vierzehn Monate des Schweigens von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sowie auch von Innenministerin Nancy Faeser (SPD).

Dann endlich vor wenigen Wochen die scheinbare Kehrtwende – Baerbock erklärte, dass künftig über 1.000 Personen monatlich aus Afghanistan evakuiert werden würden. Zudem werde erstmals auch eine Zugehörigkeit zur LGBTI*-Community als Fluchtgrund anerkannt. In einem ersten Reflex sorgte das scheinbare Einlenken der beiden Ministerien für Jubel bei mehreren NGOs. Alsbald setzte allerdings Ernüchterung ein, denn von schneller Hilfe kann offensichtlich nach wie vor nicht die Rede sein. Verkommt die groß versprochene Hilfsaktion zu einer politischen Nullnummer? SCHWULISSIMO wollte es genauer wissen und fragte nach bei Soziologe Dr. Jörg Hutter, der zusammen mit seinem Bremer Verein Rat und Tat seit der Machtübernahme der Taliban rund 200 Anträge im Namen von  LGBTI*-Afghanen bei den Ministerien eingereicht hat.

Jörg Hutter blickt noch hoffnungsvoll nach vorne, auch wenn die Zeit immer knapper wird, um LGBTI*-Afghanen überhaupt noch zu retten. © Jörg Hutter

Die Bundesregierung will endlich helfen. Das klingt erst einmal nach einem guten Plan, doch bald stellte sich heraus, so ganz einfach wird es wohl nicht werden. Wieso?

Zum einen kommt diese Ankündigung einfach viel zu spät, sodass mit jedem weiteren Tag die Frage im Raum steht, wie viele LGBTI*-Menschen überhaupt noch am Leben sind. Zu einigen Personen, die wir in den letzten Monaten beraten haben, ist der Kontakt bereits abgebrochen. Zum anderen ist es zwar gut, dass das Alleinstellungsmerkmal LGBTI* erstmals jetzt berücksichtigt worden ist, aber es ist noch völlig offen, wie viele von den 1.000 Menschen, die monatlich nach Deutschland evakuiert werden sollen, dann auch LGBTI* sind. Des Weiteren erschwert die Bürokratie die Arbeit enorm. Die rund 200 Anträge von unserem Verein müssen alle noch einmal in ein neues Tool online beim Auswärtigen Amt eingegeben werden, das kostet viel Zeit. Rund vier Wochen nach Bekanntgabe haben zudem einige NGOs wie auch wir bis heute keine Logindaten für das Tool.

 

Ein weiterer Aspekt ist ja auch, dass die Visa-Vergabe von Außen- wie Innenministerium unabhängig geprüft werden wird und das hintereinander. Hier verstreicht wahrscheinlich abermals wertvolle Zeit. Wie lang schätzt du dieses Verfahren ein?

Das lässt sich derzeit schwer einschätzen, ich gehe aktuell von einigen Wochen aus, will aber optimistisch bleiben, dass es so schnell wie möglich gehen wird. Nach dem Wechsel von der schwarz-roten Regierung zur neuen Ampel-Koalition gab es ja noch ein sogenanntes Brückenprogramm, bei dem ein “tätigkeitsbezogenes Merkmal“ in Bezug auf die Menschenrechtsarbeit vorhanden sein musste, um überhaut für ein Visa infrage zu kommen. Das ist jetzt weggefallen, oder?

Ja, aber für LGBTI*-Afghanen bleiben die Hürden trotzdem groß, denn sie müssen nach wie vor nachweisen, dass sie individuell gefährdet sind, einfach nur schwul, lesbisch oder transsexuell zu sein, reicht nicht aus. Genau aber das zu belegen, ist für beinahe alle LGBTI*-Menschen vor Ort extrem schwierig, denn diese Personen haben ja die letzten Monate und auch Jahre vor der Machtergreifung der Taliban alles getan, um eben nicht als LGBTI* aufzufallen. Es droht, dass viele von Ihnen auch jetzt wieder durchs Raster fallen, wenn sie beweisen sollen, als LGBTI* persönlich gefährdet zu sein. So einen Nachweis zu verlangen, ist realitätsfremd, absurd und zeugt von einem hohen Maß an Menschenverachtung oder komplettem Unverständnis der Situation vor Ort gegenüber.

Bald wird gar keine Hilfe mehr nötig sein, denn dann werden alle LGBTI*-Menschen in Afghanistan zu Tode gefoltert sein.

Wie ist die Lage der LGBTI*-Menschen derzeit?

Mit jedem Tag, der vergeht, wird die Situation dramatischer. Die Taliban verfolgen alle LGBTI*-Afghanen ohne Erbarmen. Nach ihrer Verhaftung werden sie in der Regel brutal gefoltert und vergewaltigt. Wer nicht entkommen kann, der wird hingerichtet, zum Beispiel durch zu Tode peitschen, durch das Verbrennen mit glühendem Eisen oder offenem Feuer, durch Köpfen, Steinigung oder die Opfer werden direkt lebendig begraben. Die Lage spitzt sich immer weiter zu, weil die Taliban im ganzen Land große Razzien in allen Ortschaften durchführen. LGBTI*-Menschen finden kaum noch einen Platz, wo sie sich verstecken können, meistens verweilen sie nur kurz an einem Ort, fast alle hungern inzwischen. Jetzt im Winter droht ihnen zudem die Gefahr, draußen auf der Flucht schlicht zu erfrieren. Bald wird wahrscheinlich gar keine Hilfe mehr nötig sein, denn dann werden alle LGBTI*-Menschen in Afghanistan zu Tode gefoltert, inhaftiert oder auf der Flucht umgekommen sein.

 

Der Verein Rat und Tat hat auch zahlreiche Fotografien gesammelt, die die ganze Grausamkeit von Folter und Mord festhalten. Reichen denn wenigstens diese Bilder aus, um die Gefährdungslage eindeutig beweisen zu können?

Es sollte auf den Fotos die jeweilige Person eindeutig zu erkennen sein, ansonsten kann auch das schwierig werden. Bei der gesamten Herangehensweise wird verkannt, dass im Grunde alle LGBTI*-Menschen irgendwann für die Taliban verdächtig werden, denn das lässt sich niemals auf Dauer ganz verbergen. Ein zu buntes Kleidungsstück, eine Tätowierung, ein unmännlicher Gang, ein falscher Blick, zu wenig Bartwuchs, unverheiratete Menschen über 25 Jahre… es gibt tausend Gründe für die Taliban, einen Menschen als LGBTI*-verdächtig einzustufen und ihn dann in eigens für LGBTI* geschaffene Folter-Gefängnisse wegzusperren. Oftmals schlagen und foltern auch die eigenen Familienmitglieder ihre LGBTI*-Kinder, sperren sie ein, lassen sie hungern, vergewaltigen sie. Wir können uns das hier in Deutschland gar nicht so wirklich vorstellen.

Nur “echte“ Männer erregen keinen Verdacht – schon ein zu kurzer Bart oder ein Tattoo können ausreichen, um einen jungen Mann als schwul zu brandmarken. © IMAGO/UPI Photo

Die Suizidraten unter LGBTI*-Menschen in Afghanistan sind zuletzt rapide angestiegen. Auf der anderen Seite überlegen einige LGBTI*-Menschen, die entkommen konnten, wieder zurückzukehren. Wie kommt es zu diesen beiden Entwicklungen?

Die Suizide sind sehr einfach erklärt, immer mehr LGBTI*-Menschen können einfach nicht mehr, sie finden keinen Unterschlupf mehr, sie leben in ständiger Todesgefahr, oftmals kommen Morddrohungen eben auch aus der eigenen Familie. Die Grenzen sind weitestgehend dicht und sie haben auch kein Geld mehr. Für viele stellt sich dann vermeintlich nur noch die Frage, ob sie sich selbst umbringen oder sich über kurz oder lang auffinden lassen und dann langsam von den Taliban. zu Tode gequält werden. Bei den Afghanen, die es bis nach Deutschland geschafft haben, stellt sich indes in der Tat ab und an die Frage, ob sie wieder zurück in ihre Heimat gehen und sich den Taliban stellen, in dem sicheren Wissen, getötet zu werden. Dahinter steckt die Vorgehensweise der Taliban, die wenigen solidarischen Angehörigen, Freunde und Familienmitglieder einer LGBTI*-Person ebenso zu jagen. Finden sie jemanden, foltern sie beispielsweise die Mutter, den Vater oder den Neffen eines schwulen Afghanen, der nach Deutschland geflüchtet ist. Solange, bis dieser “freiwillig“ zurückkommt.  

 

Die Grenzen werden von den Taliban immer mehr geschlossen, bedeutet das, dass beispielsweise Deutschland die LGBTI*-Menschen aus Afghanistan rausholt, wenn ein Visa-Antrag positiv beschieden wurde?

Nein. Selbst bei einer Zusage seitens der beiden Ministerien muss die betreffende Person mit einem pakistanischen Visum über die Grenze nach Pakistan flüchten. Sie muss es dann bis in die Hauptstadt Islamabad schaffen, von dort werden LGBTI*-Menschen dann nach Deutschland ausgeflogen. Auch deswegen arbeitet die Zeit gegen LGBTI*-Menschen. Jede Woche, die die Überprüfung eines Antrags dauert, bedeutet vor Ort noch weniger Chance, überhaupt noch fliehen zu können. Offensichtlich sind die Taliban derzeit dabei, ihre Gewaltherrschaft weiter auszubauen und zu stabilisieren, etwa durch den Aufbau von Milizen nach dem Vorbild der SA und SS, die dann auch in der Lage sein werden, nicht nur massenhaft Menschen in eigenen Gefängnissen an der Justiz vorbei zu foltern und zu ermorden, sondern auch Grenzen zu den Nachbarländern komplett abzuriegeln, sodass gar kein Entkommen mehr möglich sein wird. Es ist daher davon auszugehen, dass Ausreisen schon in wenigen Monaten nicht mehr möglich sein werden. Die Menschen vor Ort werden kurz gesagt im Stich gelassen. So gering übrigens die Chancen überhaupt sind, noch die Grenze nach Pakistan zu überschreiten, für Frauen ist eine Flucht noch schwieriger. Frauen dürfen ohne eine männliche Begleitung nicht einmal das Haus verlassen. Es ist ein Skandal, dass wir im August 2021 fluchtartig Afghanistan verlassen haben, nachdem wir dort doch die Demokratie verteidigen wollten. Ich meine, wir reden von ein paar hundert Menschen, um die es geht. Dass das so viel Arbeit und Bürokratie abverlangt, um effektiv Leben zu retten, das ist schon… schade.

ZUR PERSON
Dr. Jörg Hutter

Dr. Jörg Hutter (Jahrgang 1958) ist ein Soziologe und Buchautor. Er ist Mitinitiator des Projektes Schwul-Lesbische Studien Bremen, schrieb mehrere Bücher zum Thema und hält bis heute zahlreiche Vorträge. Heute arbeitet Hutter zudem in enger Zusammenarbeit mit der ILGA-Asien (International Lesbian and Gay Organisation), dem LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschland) sowie den Vereinen Rat und Tat in Bremen, Trans-Recht und CSD Bremen/Bremerhaven. Kernthemen seiner Arbeit sind Bürgerrechte, Ausgrenzung von Homosexuellen, HIV-Infektionen sowie Rechts- und Nationalsozialismus. Hutter lebt mit seinem Freund in Bremen.

 

Auch finanzielle Hilfe wird dabei immer schwieriger, oder?

Ja. Es gibt keine offiziellen Möglichkeiten für Spendengelder. Wir arbeiten mit Organisationen wie der ILGA zusammen, die versucht, Geldmittel zu den Betroffenen nach Afghanistan zu bekommen, ab das ist sehr aufwendig und dauert Wochen. Gleichzeitig müssen wir auch sehr vorsichtig sein mit jeder Art von Datenweitergabe. Die Taliban versuchen immer wieder auch bei uns an die Kontaktdaten von LGBTI*-Menschen heranzukommen, beispielsweise auch, in dem sie sich uns gegenüber als Homosexuelle ausgeben, die aus dem Land flüchten wollen. Ich habe noch immer die Hoffnung, dass wir jetzt einige der LGBTI*-Menschen vor Ort retten können, aber dafür brauchen wir deutlich weniger Bürokratie und mehr Menschlichkeit.

Jörg, vielen Dank für das Gespräch!

 

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