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Chemsex // © Alexander Vorotyntsev

Gefahr ChemSex Mit {quapsss} zur Selbsthilfe

id - 13.10.2020 - 10:00 Uhr

Drogen und Sex in Kombination gibt es nicht erst seit einigen Jahren. Im Laufe der Zeit haben sich allerdings die verwendeten Drogen geändert. In den letzten Jahren werden mehr synthetische Drogen genommen. Verwendet werden dabei häufig Substanzen wie GHB/GBL, Mephedron, Ketamin und Crystal Meth. Teilweise wird auch Poppers hinzugezählt.

Damit einhergehend tauchte der Begriff „ChemSex“ auf. Seit Ende 2019 gibt es nun von der Deutschen Aidshilfe (DAH) in Zusammenarbeit mit örtlichen Kooperationspartnern und durch Förderung des Bundesministeriums für Gesundheit ein Projekt, welches sich dieser Thematik annimmt. Der Name: {quapsss}.

{quapsss} ist dabei ein innovatives und dynamisches Gruppenangebot für Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben, ChemSex praktizieren und ihre Lebensumstände verbessern wollen. Das Grundkonzept des Projektes basiert auf den Prinzipien der Selbsthilfe und wird dialogisch und evidenzbasiert durchgeführt. Derzeit sind in den Städten Berlin, Köln, München, Hamburg, Frankfurt a.M. und Kassel Gruppen auf Basis des {quapsss}-Konzeptes existent. Dabei handelt es sich entweder um gänzlich neue Gruppen bzw. haben bestehende Gruppen ihre Angebote dahingehend erweitert. Die jeweiligen Gruppen finden in der Regel wöchentlich statt. In der Anfangsphase werden sie von speziellen Gruppenleitern angeleitet.

Das Hauptaugenmerk liegt vor allem darauf, sich an den verschiedenen Lebenswelten der Teilnehmer zu orientieren. Auch deren Bedürfnisse und/oder Zielsetzungen können durchaus unterschiedlicher Natur sein. Dabei gibt es Teilnehmer, die keine Abstinenz von Substanzen beabsichtigen, solche, welche eher in Richtung Abstinenz tendieren oder auch diejenigen, die bereits wieder abstinent leben. Diese Mischung kann für die Gruppen durchaus vielerlei Austausch fördern. 

Die einzelnen {quapsss}-Gruppen sollen sich dabei trotz des bundesweiten Konzeptes durchaus an die regionalen Gegebenheiten anpassen können. Dabei setzen sie auf die Erfahrungen, die die kooperierenden Organisationen vor Ort mit- und einbringen. Dazu gehören sprachliche Besonderheiten, städtespezifische Codes und Orte usw.

Neben den klassischen Gesprächsrunden einer Selbsthilfegruppe sieht das Konzept von {quapsss} sogenannte Kompetenzmodule vor. In diesen werden bestimmte Themenblöcke intensiver bearbeitet, die im engen Zusammenhang mit ChemSex stehen, wie beispielsweise Sexualität, Körperlichkeit, Konsumverhalten oder Soziale Kompetenzen.

Urs Gamsavar // © DAH

Urs Gamsavar, M.A. (34) ist Projektleiter und Projektkoordinator von {quapsss} bei der Deutschen Aidshilfe, freiberuflicher Sexualtherapeut bei Lust.Punkt. & Dozent an der evangelischen Hochschule Berlin. SCHWULISSIMO sprach mit ihm über das laufende Projektprogramm {quapsss}.

Was genau verbirgt sich hinter dem Projekt {quapsss}? Wie wird es finanziert?
{quapsss} ist ein Akronym und entstammt dem Projekttitel: „Qualitätsentwicklung in der Selbsthilfe für MSM, welche psychoaktive Substanzen im sexuellen Setting konsumieren“.

{quapsss} ist dabei ein Modellprojekt der DAH und wird vom Bundesministerium für Gesundheit finanziert. {quapsss} startete im April 2019 und war ursprünglich bis März 2021 angedacht. Durch die Pandemie bedingten Verzögerungen wurde das Projekt bis Dezember 2021 verlängert.

Weshalb braucht es ein solch spezifisches Projekt? Es gibt doch deutschlandweit genügend Drogenberatungsstellen, die hier tätig werden könnten?
Es geht bei ChemSex nicht nur um den Konsum vom Chems oder anderen psychotropen Substanzen, sondern auch um Sex. Das ist an sich schon eine sehr spezifische Schnittmenge und kann nicht selbstverständlich von Drogenberatungsstellen geleistet werden. Die Lebenswelten von MSM und z.B. von Heterosexuellen unterscheiden sich. Das ist nichts Neues, und dass sich daraus spezifische Bedarfe für die Zielgruppen ergeben auch nicht.

Viele Drogenberatungsstellen haben nicht die Erfahrung mit dieser Zielgruppe und mit schwulen bzw. queeren Lebenswelten. Wenn sich an diesem Punkt MSM erstmal erklären oder gar rechtfertigen müssen, dann ist das für viele ein zusätzlicher Stressor.

Aber auch Beratungsstellen für MSM haben beziehungsweise hatten nicht zwangsläufig die Kompetenz, in Konsumfragen fachlich zu beraten. Da wurde in den letzten Jahren zumindest viel nachgebessert. Mittlerweile entstehen gute Netzwerke, welche die unterschiedlichen Akteur*innen, z.B. Suchtberatungen, Aidshilfen, Mediziner*innen, Psychotherapeut*innen etc., zusammenbringen und die Fachkompetenzen bündeln. So entstehen wertvolle Synergien.

Worin genau liegen bei {quapsss} die Unterschiede zu vergleichbaren Angeboten in der Suchtberatung?
Es gibt soweit keine vergleichbaren Gruppenangebote in Deutschland. Es handelt sich hierbei also um einen neu entwickelten Ansatz.

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Drogenkonsum innerhalb der schwulen Szene sehr gewandelt. Waren es früher beispielsweise Kokain oder in den 90er-Jahren vor allem Ecstasy und Co., so sind dies heute verschiedenste psychoaktive Substanzen in Verbindung mit dem Sex. Ist hier eine andere Gefahr im Vergleich zu früheren Jahren auszumachen?
Kann man wirklich von „gewandelt“ sprechen? Ich würde sagen, es sind nur noch mehr Substanzen hinzugekommen. Klar gibt es auch Trends, aber im Grunde würde ich annehmen, dass sich das Substanzspektrum erweitert hat. Der Dauerrenner ist allerdings nach wie vor Alkohol. Dieser wird zwar nicht unter „Chems“ subsumiert, muss aber auch betrachtet werden.

Für viele ist allerdings Polytox - also die Einnahme mehrerer Substanzen - die Regel. Das kann aufgrund von Wechselwirkungen gefährlich werden. Auch Wechselwirkungen mit der ART (antiretrovirale Therapie bei einer HIV-Infektion) sind nicht selten. Jede Substanz birgt eigene Risiken. Empfehlenswert ist es, sich über die Substanzen und „Safer use“ zu informieren.

ChemSex-Packs // © Thomas Schützenberger

In sechs Städten, darunter Berlin, Hamburg und München, läuft das Projekt seit Januar. Für wen genau ist dieses Angebot überhaupt gedacht?
Das Projekt ist für ChemSex praktizierende „MSM, die ihre Lebenssituation verbessern wollen“ entwickelt worden und wird derzeit mit dieser Zielgruppe umgesetzt. Das bedeutet, dass die Teilnehmer freiwillig an dem Projekt teilnehmen.

Dabei kann sowohl ein Abstinenzwunsch (von psychotropen Substanzen – nicht vom Sex), als auch der Wunsch nach einem kontrollierten Konsum ausschlaggebend sein. Im Großen und Ganzen splitten sich die Gruppen auch in diese beiden Bereiche. Sprich: abstinenzorientiert oder konsumakzeptierend. Eine Vermischung dieser beiden Zielspektren ist nicht vorgesehen. Ausschlaggebend für die Ausrichtung der Gruppe ist die Veränderungsmotivation der Teilnehmer.

Was passiert bei den Treffen konkret? Sie werden zumindest zum Beginn von ausgebildeten Trainern angeleitet. Doch wie läuft es später weiter?
Die Trainer begleiten die Gruppe die vollen 12 Monate. Auch wenn sie nicht immer direkt an den Gruppen beteiligt sind. Sogenannte Kompetenzförderungsmodule werden immer von den Trainern/Gruppenleitern durchgeführt und angeleitet. Sofern die Gruppe das wünscht, kann der Gruppenleiter auch die ganze Zeit dabei sein. Allerdings hören wir aus bereits bestehenden Selbsthilfegruppen, dass es oftmals eine viel intensivere Auseinandersetzung gibt, wenn kein Gruppenleiter dabei ist und Teilnehmer nur unter sich sind. Darum empfehlen wir, dass sich die Gruppen in Phasen der Zirkulationstraining (basierend auf einem Konzept der dialogischen Selbsthilfe) zurückziehen.

„Selbsthilfegruppe“ klingt heutzutage ja schon etwas altbacken. Wie genau will man Teilnehmer dazu animieren, sich einer solchen Gruppe anzuschließen?
Ich spreche lieber von einem strukturierten und dynamischen Gruppenangebot, welches auch Anteile der dialogischen Selbsthilfe beinhaltet. Das Neue an quapsss ist die Verzahnung von Sitzungen aus dialogischer Selbsthilfe und speziell für quapsss entwickelte Kompetenzförderungstrainings. Hier stehen die Themenfelder: Soziales, Sexualität, Konsum/Sucht, Körperwahrnehmung und Selbstbestimmung/Autonomie im Vordergrund. Diese können je nach Gruppenprozess eingebracht werden. In Einheiten der dialogischen Selbsthilfe geht es vor allem um den Austausch zur Alltagsbewältigung, aber auch um ein Gruppenerlebnis jenseits der ChemSex-Kontexte.

Welches Ziel steht für die Teilnehmer am Ende der zwölf Monate? Diese können schließlich für jeden Einzelnen sehr individuell sein. Einige möchten vielleicht nur ihren Konsum einschränken, andere hingen wollen damit ganz aufhören. Kann man diese verschiedenen Ziele überhaupt unter einen Hut bekommen?
Nein, das lässt sich nicht so einfach zusammenbringen. Darum unterteilen wir die Gruppen in abstinenzorientierte Gruppen und Gruppen für den kontrollierten Konsum. Interessant ist jedoch, dass die Gruppen mit einer Abstinenzorientierung gut angenommen werden, während die Gruppen für den kontrollierten Konsum noch Kapazitäten frei haben. Die Zielgruppe ist recht schwer zu erreichen. Darum haben wir uns für den Weg des „Harm-Reduction“ entschieden und „Safer ChemSex Packs“ entwickelt.

Was genau kann man unter solch einem „ChemSex-Pack“ verstehen?
Wir folgen mit den „Safer ChemSex Packs“ dem Ansatz der Schadensminimierung. Konkret geht es um die Vermittlung von Konsumkompetenzen und Safer Sex um beispielsweise Überdosierungen und die Übertragung von Infektionen zu verringern. Die Packs sind für die unterschiedlichen Konsumformen zusammengestellt: Sniefen, Slammen, Booty Bump und zum Trinken. Jedes Pack enthält saubere Utensilien und wichtige Hinweise für die entsprechende Konsumform sowie die bekannten Cruising Packs mit Gleitgel und Kondom.

Das Projekt ist zunächst als Pilotprojekt angelegt. Wie werden im Anschluss Auswertung bzw. Ergebnisanalyse passieren?
Das Projekt wird von Anfang an durch Univation in Köln evaluiert. Es wird einen Abschlussworkshop und eine Veröffentlichung der Ergebnisse geben. Wenn das Projekt ein Erfolg wird, dann können regional Mittel für weitere {quapsss}-Angebote realisiert werden.

Kontakt zu {quapsss}-Gruppen

Berlin
Mann-o-Meter: quapsss@mann-o-meter.de
Berliner Aids-Hilfe: quapsss@berlin-aidshilfe.de
Kokon: selbsthilfe@kokon.de

Köln
Aidshilfe Köln: quapsss@aidshilfe-koeln.de

Hamburg
Hein & Fiete: christoph@heinfiete.de
Therapiehilfe e.V. quapsss@therapiehilfe.de

München
Sub e.V. - Schwules Kommunikations- und Kulturzentrum: chems@subonline.org

Frankfurt a.M.
Aidshilfe Frankfurt: quapsss@ah-frankfurt.de

Kassel
Aidshilfe Kassel: quapsss@kassel.aidshilfe.de

Weitere Infos zu HIV & Drogen: www.hiv-drogen.de

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